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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zwingen, die er freiwillig niemals geben würde. Du wirst das freilich nicht thun, wie ich Dich kenne.“

„Nein, niemals!“ sagte Benno gepreßt. „Ich gehe nach Neuenfeld und werde Alice nicht wiedersehen!“

Sie wurden unterbrochen durch die Meldung, daß Herr Waltenberg da sei und den Herrn Chefingenieur zu sprechen wünsche. Elmhorst erhob sich sofort und auch Reinsfeld machte Anstalt aufzubrechen.

„Gute Nacht, Wolf!“ sagte er, ihm treuherzig die Hand bietend. „Wir bleiben doch, was wir uns stets gewesen sind, trotzalledem - nicht wahr?“

Wolfgang erwiderte fest und warm den Händedruck.

„Ich komme morgen zu Dir − Gute Nacht, Benno!“

Er geleitete ihn bis zu der Thür, durch welche in demselben Augenblicke Waltenberg eintrat; man wechselte einen Gruß und einige gleichgültige Worte, dann ging der junge Arzt, und die beiden anderen waren allein.

Ernst schien auf seinem stundenlangen, einsamen Ritt die Selbstbeherrschung zurückgewonnen zu haben; er war äußerlich wenigstens kalt und ruhig, nur in seinen Augen glühte noch immer jenes unheimliche Feuer, das nichts Gutes verhieß.

„Ich störe Sie hoffentlich nicht, Herr Chefingenieur?“ sagte er, indem er langsam näher trat.

„Nein, Herr Waltenberg, ich habe Sie erwartet,“ lautete die ruhige Antwort.

„Um so besser, dann kann ich mir die Einleitung ersparen. Ich danke!“ unterbrach er sich, als Elmhorst ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen einlud. „In unserem Falle sind diese Höflichkeitsformen überflüssig. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, weshalb ich Sie aufsuche. Wir fassen wohl beide den Vorfall von heute nachmittag anders auf, als die Fremden, welche Zeugen davon waren, und ich habe einige Worte mit Ihnen darüber zu reden.“

„Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung,“ erklärte Wolfgang mit eisiger Höflichkeit.

Ernst kreuzte die Arme und seine Stimme gewann einen Anflug von Hohn, als er fortfuhr:

„Ich bin mit Baroneß Thurgau verlobt, wie Sie ja wissen, und bin nicht gesonnen, meiner Braut eine so stürmische Theilnahme an der Gefahr eines anderen zu gestatten − doch das werde ich mit ihr selbst ausmachen. Für jetzt wünsche ich nur zu wissen, inwiefern Sie daran betheiligt sind. Lieben Sie Fräulein von Thurgau?“

Die Frage klang dumpf und drohend, aber Wolfgang zögerte nicht mit der Antwort. „Ja!“ sagte er einfach.

Ein Blitz tödlichen Hasses zuckte aus den Augen Waltenbergs und doch sagte ihm dies Geständniß nichts Neues. Er wußte es ja aus Ernas eigenem Munde, daß sie einen anderen geliebt hatte, aber er glaubte, diesen anderen im Grabe, unter den Schatten suchen zu müssen. Jetzt stand er lebend vor ihm, der Mann, der keiner reinen und großen Liebe fähig gewesen war, der eine Erna dem elenden Mammon geopfert hatte, und stand so hochaufgerichtet, die Stirn so stolz erhoben, als brauche er sie vor niemand auf der Welt zu beugen. Das reizte Ernst nur noch mehr.

„Und diese Liebe datirt vermuthlich nicht erst von heut oder von gestern?“ fragte er. „So viel mir bekannt ist, verkehrten Sie schon jahrelang im Hause des Präsidenten, bevor ich nach Europa zurückkehrte, bevor Baroneß Thurgau gebunden war.“

„Ich bedaure, eine solche Erörterung ablehnen zu müssen,“ erklärte Wolfgang in demselben eisigen Tone wie vorhin. „Ich werde Ihnen Rede stehen auf jede Frage, zu der Sie ein Recht haben; examiniren lasse ich mich nicht.“

„Das glaube ich!“ rief Waltenberg mit bitterem Auflachen. „Sie würden auch schlecht bestehen bei diesem Examen als − Bräutigam von Alice Nordheim!“

Elmhorst biß sich auf die Lippen; das traf seine verwundbare Stelle; aber schon in der nächsten Minute hatte er sich gefaßt.

„Vor allen Dingen, Herr Waltenberg, ersuche ich Sie, diesen Ton zu ändern, wenn Sie überhaupt wünschen, daß wir das Gespräch fortsetzen. Ich dulde keine Beleidigungen, das sollten Sie nachgerade wissen, und von Ihnen dulde ich sie am wenigsten.“

„Es ist nicht meine Schuld, wenn die Wahrheit Sie beleidigt,“ gab Ernst hochmüthig zurück. „Widerlegen Sie meine Worte und ich bin bereit, sie zurückzunehmen. Bis dahin erlauben Sie mir wohl, mein eigenes Urtheil über einen Mann zu haben, der eine junge Dame liebt oder zu lieben vorgiebt, während er sich gleichzeitig um eine reiche Erbin bewirbt. Sie können doch unmöglich Achtung verlangen für eine solche Erbärm −“

„Genug!“ fiel ihm Wolfgang mit mühsam beherrschter Stimme ins Wort. „Es bedarf keiner Beschimpfung, um Ihren Zweck zu erreichen. Ich errathe vollkommen, was Sie hergeführt, und werde Ihnen nicht ausweichen. Dergleichen Worte aber verbiete ich Ihnen − ich bin in meinem Hause!“

Er stand todtenbleich, aber ungebeugt vor dem Gegner. Dieser Elmhorst hatte nun einmal etwas Imponirendes, selbst in der Art, wie er die verdiente Verachtung zurückwies; es war ihm nicht beizukommen damit, das fühlte Ernst, wenn auch widerwillig genug.

„Sie sprechen ja in sehr hohem Tone!“ sagte er mit herbem Spotte. „Schade, daß Ihre Braut nicht Zeuge dieser Unterredung ist, vielleicht würden Sie ihr gegenüber nicht so selbstbewußt auftreten.“

„Ich habe keine Braut mehr!“ erklärte Wolfgang kalt.

Waltenberg trat aufs äußerste betroffen einen Schritt zurück.

„Was − wollen Sie damit sagen?“

„Nichts! Ich theile Ihnen nur eine Thatsache mit, um Ihnen zu zeigen, daß die Voraussetzung, auf welche hin Sie mich beleidigten, nicht mehr zutrifft, denn ich war es, der zurücktrat.“

„Und wann? Aus welchem Grunde?“ Die Frage klang in athemloser Hast.

„Darüber bin ich Ihnen wohl keine Rechenschaft schuldig.“

„Vielleicht doch, denn wie mir scheint, wird hier auf meine Großmuth gerechnet. Darin täuschen Sie sich aber. Ich gebe Erna niemals frei und sie selbst wird diese Freiheit auch nie von mir erbitten, das weiß ich. Sie giebt nicht heute ihr Wort, um es morgen wieder zu brechen, und sie ist viel zu stolz, sich einem Manne nachzuwerfen, der das Geld ihrer Liebe vorzog.“

„Hören Sie doch endlich auf, die alte Waffe zu brauchen, sie hat ihre Spitze verloren,“ sagte Wolfgang finster. „Was wissen Sie, der in der Fülle des Reichthums aufgewachsen ist, dem nie die Entbehrung, nie die Versuchung nahte, von dem Kämpfen und Ringen eines Emporstrebenden, der sich um jeden Preis freie Bahn schaffen will, von dem glühenden Ehrgeiz, der ein großes Ziel vor Augen hat! Ich bin der Versuchung erlegen, ja; aber jetzt habe ich mich frei gemacht und biete Ihnen und Ihrem Tugendhochmuth die Stirn. Sie wären auch unterlegen, wenn Ihnen das Leben Glück und Genuß versagt hätte, Sie zuerst! Aber Sie hätten sich vielleicht nicht daraus emporgerissen wie ich, denn leicht ist das wahrlich nicht.“

Es lag eine so zwingende Wahrheit in den Worten, daß Ernst davor verstummte. Er, dem der schrankenlose Genuß eine Lebensbedingung war, hätte schwerlich vor der Versuchung bestanden; aber eben weil er das fühlte, haßte er um so mehr den Mann, der Sieger geblieben war in dem schwersten Kampfe, in dem Streite mit sich selbst.

„Und nun gehen Sie hin und halten Sie Ihre Braut fest an dem gegebenen Worte,“ fuhr Wolfgang bitter fort. „Sie wird es nicht brechen und sie wird mir nicht verzeihen, was geschehen ist, darin haben Sie recht. Ich habe meine Schuld mit meinem Glücke bezahlt. Erzwingen Sie sich die Hand Ernas, ihre Liebe werden Sie sich nie erzwingen, denn die gehört mir − mir allein!“

„Ah, Sie wagen es −!“ fuhr Ernst wie ein Rasender auf, aber Wolfgangs Blick begegnete mit kühnem, stolzem Triumph dem seinigen, in dem es unheilverkündend glühte.

„Nun, weshalb wollen Sie denn sonst mit mir rechten? Daß ich Ihre Braut liebe, ist doch wohl keine Beleidigung; daß ich geliebt werde, können Sie nicht verzeihen − ich weiß es freilich auch erst seit heute!“

Waltenberg sah aus, als hätte er sich am liebsten auf den Gegner gestürzt, um das Wort zu rächen, das er nicht mehr Lügen strafen konnte;seine Stimme klang halb erstickt vor Leidenschaft, als er antwortete:

„Nun, dann werden Sie es begreifen, daß ich die Liebe meiner Braut mit keinem anderen theilen will, wenigstens mit keinem, der mir lebend gegenübersteht!“

Elmhorst zuckte nur die Achseln bei dieser Drohung.

„Soll das eine Forderung sein?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_768.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)