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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Der Vorwand klang sehr glaubhaft und wurde auch von all den Umstehenden geglaubt; er erklärte vollkommen das stürmische Erscheinen der jungen Dame, ihre sichtbare Angst und Aufregung. Es war ein Glück, daß man das scheue Pferd noch rechtzeitig aufgehalten hatte.

Nur zwei ließen sich nicht täuschen, Wolfgang, dem jene angstvollen Minuten eine Gewißheit gegeben hatten, die jetzt freilich zu spät kam, die er aber doch um keinen Preis hingegeben hätte, und Ernst, der noch immer an seinem Platze hielt, ohne das Auge von den beiden zu wenden; es lag ein bitterer Hohn in seiner Stimme, als er antwortete:

„Dann hätten wir ja ein zweites Unglück haben können! Hast Du Dich jetzt erholt, Erna?“

„Ja!“ versetzte sie tonlos.

„So wollen wir unseren Weg fortsetzen! − Auf Wiedersehen, Herr Elmhorst!“

Wolfgang verneigte sich mit kalter Gemessenheit, er verstand vollkommen, was dies „Auf Wiedersehen!“ bedeutete; aber er wandte sich ruhig zu den beiden Verwundeten, deren Verletzungen sich in der That als ungefährlich herausstellten; auch seine eigene Wunde war nur leicht, ein Steinsplitter hatte ihm im Vorüberfliegen die Stirn gestreift. Der ganze Vorfall schien unerwartet glücklich vorübergegangen zu sein.

Aber es schien nur so, denn wer Waltenbergs Gesicht sah, mußte doch anderer Meinung werden. Er ritt stumm an der Seite seiner Braut, ohne ein Wort zu sprechen, ohne sich ihr ein einziges Mal zuzuwenden; das dauerte Minuten, dauerte eine Viertelstunde lang, bis Erna es nicht mehr zu ertragen vermochte.

„Ernst!“ sagte sie halblaut.

„Du wünschest?“ fragte er.

„Laß uns umkehren, ich bitte Dich! Das Wetter wird drohender und wir können den Rückweg ja über die Bergstraße nehmen.“

„Wie Du befiehlst.“

Sie wandten die Pferde, um auf einem anderen Weg zurückzukehren, und wieder trat jenes Stillschweigen ein. Erna wußte nur zu gut, daß sie sich verrathen hatte; aber sie hätte den wildesten Ausbruch der Eifersucht ihres Verlobten leichter ertragen als dies dumpfe Brüten, das etwas Furchtbares hatte. Sie zitterte freilich nicht für sich, aber eben deshalb sollte und mußte es zu einer Erklärung kommen, sobald man das Haus erreicht hatte.

Doch ihre Absicht wurde vereitelt, vor der Thür der Villa half ihr Ernst zwar vom Pferde, stieg aber sofort wieder in den Sattel.

„Du willst wieder hinaus?“ fragte sie betroffen.

„Ja − ich muß heute noch ins Freie!“

„Bleib’, Ernst, ich wollte Dich bitten −“

„Leb’ wohl!“ unterbrach er sie kurz und schroff, und ehe sie noch einen weiteren Versuch machen konnte, ihn zurückzuhalten, sprengte er bereits davon und ließ sie allein mit einer namenlosen Angst, die ihr das Herz zusammenpreßte, sie wußte ja nicht, was er plante.

Als Ernst den Wald erreicht hatte, mäßigte er den Lauf seines Pferdes und ritt langsam dahin unter den dunklen Tannen, in deren Wipfeln der Herbstwind brauste. Er wollte keine Erklärung, brauchte keine mehr; er wußte ja alles, alles! Aber mitten durch den Sturm, der in seinem Inneren wühlte, brach eine wilde, glühende Genugthuung; der Schatten, der ihn so lange gequält und gemartert, hatte endlich Fleisch und Blut gewonnen; jetzt konnte er mit ihm kämpfen − und ihn vernichten!




Es war Abend geworden, Elmhorst befand sich in seinem Arbeitszimmer mit dem Doktor Reinsfeld, der vor einer halben Stunde gekommen war, und man sah es an den Mienen beider, daß der Gegenstand ihres Gespräches ein tiefernster war, Benno besonders schien sehr erregt zu sein.

„So steht die Sache!“ schloß er jetzt eine längere Auseinandersetzung. „Gronau kam unmittelbar nach der Unterredung mit dem Präsidenten zu mir und ich habe vergebens versucht, ihn von seinem Entschluß abzubringen. Ich gab ihm zu bedenken, daß es ihn seine Stellung bei Waltenberg kosten wird, der ein solches Vorgehen gegen den Oheim und Vormund seiner Braut nicht dulden kann; daß er keine direkten Beweise in Händen hat, daß Nordheim alles dran setzen wird, ihn als Lügner und Verleumder hinzustellen − umsonst! Er warf mir mit den bittersten Worten Feigheit und Gleichgültigkeit gegen das Andenken meines Vaters vor; Gott weiß es, daß er mir damit unrecht thut, aber − ich kann nicht mit einer Anklage auftreten!“

Wolfgang hatte schweigend zugehört, nur um seine Lippen spielte ein unendlich bitteres und verächtliches Lächeln. Es war hohe Zeit gewesen, daß er sich von dem Bündniß mit diesem Manne losmachte, er zweifelte auch nicht einen Augenblick daran, daß Gronau die Wahrheit gesprochen hatte.

„Ich danke Dir für Deine Offenheit, Benno,“ sagte er. „Es wäre sehr verzeihlich gewesen, wenn Du gar keine Rücksicht auf mich genommen und Dich nur als Sohn Deines Vaters gefühlt hättest. Ich weiß, was Du mir mit diesem Vertrauen giebst.“

Benno schlug die Augen nieder bei diesem Danke, denn er war sich bewußt, ihn nicht verdient zu haben. Es war ja nicht der Freund gewesen, den er schonen wollte, als er jene Entdeckung begraben zu sehen wünschte.

„Ich konnte keinen Schritt in der Sache thun, das begreifst Du,“ entgegnete er leise. „Ich muß Dir das überlassen, Du wirst mit Deinem Schwiegervater reden −“

„Nein!“ unterbrach ihn Wolfgang kalt.

Reinsfeld sah ihn erstaunt an.

„Du willst nicht?“

„Nein, Benno; Gronau hat ihm ja offen und rückhaltlos den Krieg erklärt, wie Du sagst; er ist also vorbereitet und übrigens hat sich meine Stellung zu ihm vollständig geändert. Wir haben uns ein für alle Mal getrennt.“

Der Doktor fuhr in grenzenloser Ueberraschung auf.

„Getrennt? Und Deine Verlobung mit Alice −?“

„Ist aufgehoben! Erlaß es mir, Dir das ‚Warum‘ ausführlich auseinander zu setzen. Nordheim hat sich auch mir von der Seite gezeigt, von der Du ihn jetzt kennen gelernt hast; er stellte mir Bedingungen, die ich nicht für vereinbar mit meiner Ehre hielt, und darauf bin ich zurückgetreten.“

Reinsfeld starrte ihn noch immer ganz fassungslos an; er begriff nicht, wie der Mann, der einst alles an diese Verbindung gesetzt hatte, mit solcher Ruhe von dem Scheitern seiner Pläne sprechen konnte.

„Und Alice ist frei?“ stieß er endlich hervor.

„Ja,“ sagte Wolfgang befremdet. „Aber was hast Du denn? Du bist ja ganz außer Dir.“

Benno sprang in heftiger Bewegung auf.

„Wolf, Du hast Deine Braut nie geliebt, ich weiß es ja, sonst könntest Du auch nicht so ruhig, so kalt von ihrem Verlust sprechen. Ich glaube, Du fühlst es nicht einmal, was Du mit ihr verlierst, Du wußtest ja auch nie, was Du an ihr besaßest.“

Die Worte klangen in so leidenschaftlichem Vorwurfe, daß sie alles verriethen. Elmhorst stutzte und heftete einen halb erstaunten, halb ungläubigen Blick auf das Gesicht des Doktors.

„Was soll das bedeuten? Benno, wäre es möglich – Du liebst Alice?“

Der junge Arzt hob die ehrlichen blauen Augen, in denen kein Falsch war, zu dem Freunde empor.

„Du brauchst mir keinen Vorwurf daraus zu machen. Ich bin Deiner Braut mit keinem Worte genaht, das ich nicht vor Dir vertreten kann; und als ich die Unmöglichkeit einsah, meine Liebe zu bekämpfen, da entschloß ich mich zum Gehen. Glaubst Du denn, ich hätte jemals die Stellung in Neuenfeld angenommen, von der ich argwöhnen muß, daß sie von der Hand des Präsidenten kommt, wenn mir ein anderer Ausweg geblieben wäre? Aber ich hatte keine Wahl, wenn ich von Oberstein fort wollte.“

In Wolfgangs Zügen malten sich die widerstreitenden Empfindungen, welche diese Entdeckung in ihm hervorrief. Er hatte freilich seine Braut nie geliebt, aber das Geständniß Bennos berührte ihn doch seltsam und es lag etwas wie Bitterkeit in seiner Stimme, als er antwortete:

„Nun, ich stehe Dir ja jetzt nicht mehr im Wege, und wenn Du Hoffnung hast, Deine Liebe erwidert zu sehen −“

„So wäre es doch umsonst!“ fiel Reinsfeld ein. „Du weißt ja jetzt auch, was zwischen unseren Vätern vorgefallen ist, das trennt mich und Alice für immer!“

„Wie Du nun einmal geartet bist, vielleicht! Ein anderer würde es im Gegentheil benutzen, um Nordheim zu einer Einwilligung zu

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