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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Nur Frau von Tautenburg war auf Seiten der Palmgenossen. „Ist das ein verrückter Anschlag unseres fürstlichen Fräuleins!“ murmelte sie ihrem Ehegesponsen ins Ohr. „Wenn ich die Frau Herzogin wäre!“

Aber der Schloßhauptmann schlug sich auf die Seite der Schäferinnen. „Ich finde nichts Schlimmes dabei,“ entgegnete er. „In den Spinnstuben der Bauern wird ein Schmätzlein geraubt, bei Hofe werden den Schäfern kleine Freiheiten erlaubt. Ich bin gesonnen, einen galanten Schäfer zu spielen.“

Sie rückte ihre Perlenhaube auf Sturm. „Ich verhoffe,“ sagte sie nachdrücklich, „mein vielwerther Eheherr wird mit mir vereint ein besorgtes Ehepaar in dieser Komödie fürstellen.“ –

Aengstlich lugte Achatius in jeden Gang, ehe er seinen Fuß hinein setzte. Wie hatte nur sein Sinn sich so gänzlich gewandelt seit dem Augenblick, da die Gertrud Heilingen ihrer Mutter zärtlich zuwinkte! Als er am Abend die alte fürnehme Frau in ihrer ärmlichen Kleidung so geduldig ohne daß sie einen Augenblick die ruhige Würde verlor, in der zugigen Schloßpforte harren sah, bis die prutzigen Herren und Frauen den Weg räumten, da wurde es ihm heiß im Herzen; er vergaß seinen gerechten Zorn gegen die Sippe Heilingen und brachte sie zu Ehren. Und als sie ihm dann vertrauensvoll gedankt hatte, wie eine alte hilfsbedürftige Mutter ihrem braven jungen Sohn, da geschah es ihm, daß er auf einmal die jungen Bettelmädchen auszankte und den alten Werbern die Henkeltöpfe füllen ließ.

Gleich einem Alb drückte ihn in der Nacht die Erinnerung an die Stelldichein, die er sich über den Hals gerissen hatte. Wie konnte er ihrer nur wieder ledig werden? Wie kam er an all den Stauden und Grotten vorüber, die er zu zärtlichen Zusammenkünften bestimmt hatte, ohne von den verliebten Nymphen erwischt zu werden?

Ueberall schimmerten die bunten Bänder der Schäferstäbe, überall suchten die Damen ihre Amants zu küren.

Seine Gedanken hielten an. Würde Sie sich auch einen solchen wählen? Gewißlich! Aber wen? Etwa den Sauerhaften, den fürstlichen Rath, dem allezeit ein Aktenstück aus der Brusttasche ragte? Er wollte doch gleich einmal sehen.

Achatius vergaß die Vorsicht und rannte fürbaß.

(Fortsetzung folgt.)




Die Campagna bei Rom.
Von Fritz Wernick.

Am 20. September 1870 zog das geeinte Italien in Rom ein, um dasselbe zur Hauptstadt des Königreichs zu machen. Neapel, Turin, Florenz, die bisherigen großen Residenzen, hätten keine der anderen den Vorrang als Hauptstadt gegönnt, nur gegen Rom traten sie freiwillig zurück. Rom, das ewige, das einst Mittelpunkt der ganzen damals bekannten Welt gewesen, mußte auch die Hauptstadt des modernen bürgerlichen Staates werden. Aber die lokalen Verhältnisse, die unüberwindlichen Schwierigkeiten schienen dies zur Unmöglichkeit zu machen.

Mit das schlimmste Hinderniß bot die Umgebung der Stadt. Ein meilenweites Todtengefilde, von giftigen Dünsten unbewohnbar gemacht, ohne andere Ansiedelungen als einige Rohrhütten der Hirten für den Winter, einige Weinschenken auf erhöhten Stellen am Wege, zu denen die Fieberdünste nicht hinaufgelangen, Ruinen außerdem und alte Römergräber, das war alles, was die nahe Umgebung der neuen Hauptstadt zu bieten vermochte. Während der heißen Monate des Sommers konnte selbst ein kurzes Verteilen in der Campagna von Rom tödlich werden; im Winter besserte sich die Luft, da die kältere Witterung das Aufsteigen der Giftdünste niederhielt. In dieser traurigen, nur von Hirten bevölkerten Oede sollte Rom wieder zu früherer Herrlichkeit und Größe gelangen; das schien unmöglich.

Das alte, mächtige Rom hat günstigere Lebensbedingungen gehabt, erst spät und allmählich ist die Campagna verödet. In allerfrühester Zeit ist ja die spätere Weltstadt ein armes Bergnest gewesen, bewohnt von Bauern, Hirten, wilden Gesellen, die gern räuberische Streifzüge in die Umgebung machten. Da lag, wenige Meilen entfernt, eine Menge ähnlicher Dörfer und Städtchen auf natürlichen Erhöhungen des Bodens, deren Bewohner ihre Aecker bestellten, ihre Herden zur Weide trieben, dem damals fruchtbaren Gefilde der Campagna gute Erträge abgewannen, gesund in gesunden Orten wohnten. Rom hat sie nach und nach alle bezwungen. Diese Dutzende kleiner Flecken verschwanden, wurden zerstört oder von Römern kolonisirt – bald hieß die weite, blühende Campagna römischer Ackergrund.

Nun ward die Stadt immer mächtiger und größer, die Zeit der Kaiser kam und mit ihr ein Glanz, eine Pracht, wie die Welt sie bisher nicht gekannt hatte. Da verwandelte der Fruchtacker sich in Lustgefilde. Die Landschaft ist ja von hoher, malerischer Schönheit. Die weite, in sanften Hügelwellen bewegte Campagna wird im Westen vom blauen Meere begrenzt; im Osten umrahmen sie die hohen, röthlichgrauen Kalksteinwände der Sabiner Gebirge, wie dieser Theil des Apennin heißt; da blicken Schneehäupter über die vorderen Ketten, da schieben begrünte Hügel sich am Fuße vor, besiedelt mit Schlössern und Landhäusern der Großen. Dort hat Kaiser Hadrian Lustanlagen geschaffen mit Rennbahnen, Badehallen, Tempeln, Theatern; in den kühlen Thalgründen der Gebirgsflüsse lebten römische Dichter unter dem gastlichen Dache ihrer hohen Gönner. Ein anderes Gebirge schob sich im Süden mitten in die Campagna von Rom. Dort hatte einst unterirdisches Feuer den Boden gehoben, Lavaströme sich über das Gebiet ergossen, das jetzt die römische Campagna heißt. Nun sind die Krater der Vulkane erloschen, feuriger Wein wächst auf dem warmen Boden, an dessen gerundeten, waldbedeckten Bergkuppen ebenfalls Schlösser, Landhäuser, Lustgärten der römischen Großen lagen.

Aber auch das Gefilde zwischen der Stadt und diesen Gebirgszügen wurde damals von dem reichen und üppigen Rom völlig in Anspruch genommen. An den durch die Campagna führenden großen Landstraßen wurden nach damaliger Sitte die Vornehmen in herrlichen Grabtempeln von Marmor. bestattet. Zu beiden Seiten dieser Straßen standen Säulen, Urnen, Obeliske, Tempelchen, hohe Thürme, alles mit Bildwerk aus Marmor geschmückt, dicht neben einander. Neunzehn verschiedene Wasserleitungen führten auf hohen Bogenbauten die kühlen Quellen der Gebirge durch die Campagna zur Stadt. Es entstanden Landhäuser mit weiten Gärten, es wurden Rennbahnen für die Wettkämpfe zu Pferde und in Wagen erbaut, die viele Tausende Zuschauer faßten. Der Fruchtacker damit zerstört, der Boden sollte keinen anderen Ertrag liefern, sondern den Besitzern und dem vergnügungslustigen Volke nur zur Lust dienen.

Die Herrlichkeit des alten Rom hat nicht ewig gedauert, der heidnische Staat ging zu Grunde, das junge Christenthum eroberte Rom und seine Campagna. In den Katakomben, den höhlenartigen Gängen und Hallen, von denen das mürbe vulkanische Gestein durchzogen war, hatte das Christenthum sich geheim befestigt und ausgebreitet; nun stieg es hervor ans Tageslicht, um Rom in Besitz zu nehmen, dort zu herrschen. Auch die Campagna verwandelte sich damit. Die altrömische Pracht verfiel, die Grabtempel wurden in Kapellen und Kirchen verwandelt, die großen Geschlechter des Mittelalters, die ewig im Kampf miteinander lagen, bauten ihre plumpen Vertheidigungsthürme auf den Fundamenten der Schlösser, umgaben die hohen Grabstätten mit Zinnenmauern, setzten ihre Burgen auf die Vorsprünge des Gebirges, theilten den Boden unter sich und mit der Kirche. Die Campagna von Rom verödete immer mehr. Die Wasserleitungen waren geborsten, ihr Inhalt ergoß sich auf den porösen Boden von Bimstein, Lava, Tuff, der ihn gierig aufsog und, wenn die Sonne brannte, die faulige Flüssigkeit in giftigen Fieberdünsten wieder abgab. Die Feudalherren gaben den Acker, den sie selbst nicht bewirtschaften wollten, an Pächter für ein Billiges, die Kirche, die Klöster und Stiftungen ließen ihn meist gänzlich ruhen; das weite Blachfeld wurde zu einer unendlichen Viehweide, die Wohnstätten verschwanden.

Damals hat die Campagna von Rom den Charakter angenommen, der ihr bis heute eigen ist, den eines weiten Todtengefildes, einer majestätischen Grabstätte der großen Vergangenheit. Im September nach den ersten Herbstregen bedeckt die hügelige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_763.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)