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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Stimmlaut der Vögel ist verstummt; sie selbst haben sich am dichtesten Gelaube der immergrünen Bäume geborgen. Aber auch das Leben im Lager des Wanderhirten, im Dorfe, in der Stadt scheint zu ersterben. Besorglich schleichen die sonst so lebhaften Hunde einem stillen, sicheren Ruheorte oder Verstecke zu; alle übrigen Hausthiere gebärden sich ängstlich oder wild; die Rosse müssen gefesselt, die Rinder in ihre Umzäunung getrieben werden. In der Stadt schließt der Kaufmann seine Bude, der Handwerker seine Werkstatt, der Regierungsbeamte seinen Divan; denn jedermann sucht Zuflucht in seiner Behausung. Und dennoch rührt sich noch kein Lufthauch, vernimmt man noch kein Geflüster in den Blättern der wenigen noch Blätter tragenden Bäume. Wohl aber sieht man, wie das Gewitter sich gestaltet und naht.

Im Süden schichtet sich eine dunkle und gleichwohl flammende Wand zusammen, vergleichbar der Feuerwolke über einer brennenden Stadt, einem meilenweit in Flammen stehenden Walde. Brandroth, purpurn, dunkelroth und braun, fahlgelb, grau, tiefblau und schwarz scheinen in ihr einen Farbenreigen zu führen, vermischen und sondern sich, gehen in dem Dunkel auf und treten wiederum grell hervor. Sie liegt auf der Erde und wächst zu dem Himmel empor; sie scheint still zu stehen und rast mit Sturmeseile dahin, verengert von Minute zu Minute den Gesichtskreis mehr und mehr und hüllt alles Vorhandene in undurchdringlichen Schleier. Pfeifendes und sausendes Geräusch geht von ihr aus; auf dem Standpunkte des Beobachters aber ist noch alles ton- und klanglos.

Da braust plötzlich, kurz und heftig, ein Windstoß dahin. Starke Bäume beugen sich vor ihm wie schwache Gerten, die schlanken Palmen neigen ihre Kronen tief herab. Dem einen Stoße folgen in stetig beschleunigter Folge andere; der Wind wächst zum Sturme an, der Sturm steigert sich zum Orkan, und dieser wüthet mit beispielloser Gewalt. Sein Toben ist so gewaltig, daß der Schall des ausgesprochen Wortes das Ohr des Sprechers nicht erreicht, daß jeder Laut übertönt und verschlungen wird. Es rauscht und braust, tost und saust, pfeift und heult, dröhnt und prasselt in den Lüften, am Boden, in den Kronen der Bäume, als ob alle Elemente miteinander im Kampfe lägen, der Himmel einfallen, die Grundfesten der Erde erschüttert würden. Unwiderstehlich trifft der gewaltige Sturm die Kronen der Bäume, reißt die Hälfte der Blätter aller noch belaubten Bäume mit sich fort, bricht mannesstarke Stämme wie sprödes Glas, bemächtigt sich der Krone selbst, rollt, dreht und wirbelt sie wie einen leichten Ball über ebene Flächen hinweg und gräbt sie endlich, mit den Aesten, als der breitesten Grundlage, nach unten, dem kläglich emporstarrenden Bruchstücke des Stammes nach oben, tief ein in lockere Erde oder Sand, um sie so der vernichtenden Termite zu überliefern. Gierig wühlt er in allen Spalten und Ritzen der Erde, entnimmt ihnen Staub, Sand und Kies, erhebt diese Stoffe bis in die Wolken und führt sie mit solcher Gewalt mit sich fort, daß sie von harten Gegenständen mit vernehmlichem Prickeln und Knattern zurückprallen, verhüllt mit ihnen Himmel und Gelände, wandelt durch sie den Tag zur düsteren Nacht, so daß der geängstigte Mensch im Innern der stauberfüllten Wohnung Laternen anzündet, um an der lebendigen Flamme gleichsam sich selbst wiederzufinden oder doch zu beruhigen.

Doch das Toben der Windsbraut wird noch übertönt. Prasselnde Donnerschläge dröhnen mächtiger als sie und übertäuben ihr Heulen und Brausen. Noch immer sind die Staubwolken so dicht, daß man die Blitze nicht wahrzunehmen vermag; bald aber macht sich ein bisher noch nicht vernommenes Rasseln unter das Wirrsal der Laute und Geräusche, und damit beginnt die unnatürliche Nacht dämmernder Helligkeit zu weichen. Es ist, als ob schwerer Hagel herniederschlage, und gleichwohl sind es nur Regentropfen, welche jetzt zu Boden fallen und den aufgewirbelten Staub und Sand mit sich nehmen. Nunmehr wird man der Blitze gewahr. Einer folgt so unmittelbar auf den andern, daß man unwillkürlich die geblendeten Augen schließt und nur noch an dem ohne Unterbrechung rollenden Donner das Wetter verfolgt. Der Regen wandelt sich zum Wolkenbruche; von den Bergen rauscht das Wasser in Bächen hernieder, in den Niederungen sammelt es sich zu Seen, in den Thälern fluthet es in Strömen dahin. Stundenlang währt der Niederschlag, aber schon mit Beginn des Regens ermattet der Sturm und frischer kühlender Wind erquickt Menschen, Thiere und Pflanzen. Allmählich verringern sich die Blitze, schwächt sich der Donner, wandelt sich der Wolkenbruch wieder in Regen, dieser endlich in sanftes Rieseln; der Himmel klärt sich, die Wolken zerreißen und strahlend bricht die Sonne zwischen ihnen hervor. Frohlockend verläßt die braune Jugend, nackt, wie sie erschaffen, Häuser und Hütten, um sich in den Gewässern des Frühlings zu baden; nicht minder beglückt entsteigen deren schlammigem Grunde Kriechthiere, Lurche und Fische, und schon in der ersten Nacht nach dem Regen ertönt tausendfach die helle und laute Stimme eines kleinen Frosches, von dem man vorher nichts wahrnehmen konnte, weil er, wie einzelne Krokodile, viele Schildkröten und alle Fische der zeitweilig trocken liegenden See, in der Tiefe der Erde ein Winterlager gesucht hatte und durch den ersten Frühlingsregen ins Leben zurückgerufen wurde.

Allüberall regt sich das erwachende Leben gewaltig. Gierig saugt die lechzende Erde die ihr gespendete Feuchtigkeit ein; aber der Himmel öffnet nach Verlauf weniger Tage wiederum seine Schleusen und erweckt durch das belebende Naß alle noch schlummernden Keime. Ein zweites Gewitter sprengt die Blattknospen aller einem Wechsel unterworfenen Bäume und entlockt dem Boden sprossende Gräser; ein dritter Regenguß ruft Blüthen und Blumen hervor und kleidet das ganze Gelände in saftiges Grün. Zauberhaft, wie er gekommen, wirkt und waltet der Frühling. Was bei uns der Frist eines Monats bedarf, vollendet hier im Verlaufe einer Woche den Kreislauf seines Lebens; was in gemäßigten Gürteln nur langsam sich entwickelt hat, entfaltet sich hier in Tagen und Stunden.

Binnen wenigen Wochen aber ist der Frühling auch wieder vergangen und der kaum von ihm unterschiedene Sommer eingetreten in den Reigen des Jahres, ebenso rasch diesem der kurze Herbst gefolgt, so daß man, streng genommen, nur von einer einzigen, Frühling, Sommer und Herbst in sich begreifenden Jahreszeit sprechen darf. Und wieder steht der ertödtende Winter vor der Thür und verwehrt ununterbrochenes Entkeimen, Wachsen und Gedeihen, wie andere Gleicherländer, dank ihres größeren Wasserreichthums, es ermöglichen. Genügend aber ist dennoch die Menge der hier fallenden Regen, um die starre Wüste zu verbannen und überall da, wo sie sonst herrschen würde, einen mehr oder minder üppigen Pflanzenteppich über den Boden zu breiten oder, mit anderen Worten, anstatt der Wüste Steppe hervorzurufen.

Ich gebrauche das Wort Steppe zur Bezeichnung von jenen dem Inneren Afrikas eigenen Gefilden, welche der Araber „Chala“ oder zu deutsch „frische, grüne Pflanzen erzeugende Gelände“ nennt. Die Chala ist freilich ebenso wenig der Steppe Südrußlands und Mittelasiens, wie der Prairie Nordamerikas, der Pampa oder dem Llano Südamerikas gleich, aber doch der erstgenannten in vieler Beziehung so ähnlich, daß ich kaum der Entschuldigung bedarf, wenn ich ein uns bekannteres Wort dem unbekannten vorziehe. Die Steppe erstreckt sich über das ganze innere Afrika von der Wüste an bis zur Karu, von der Ostküste an bis zu der des Westens, umgiebt alle dort liegenden Hochgebirge und schließt alle auf ihnen wie in den tiefer eingesenkten und wasserreicheren Niederungen sich ausdehnenden Urwaldungen in sich ein, umfaßt alle Länder im Herzen Afrikas, beginnt wenige hundert Schritte jenseit des letzten Hauses der Städte, unmittelbar hinter den letzten Häusern der Dörfer, nimmt die Felder der Ansässigen in sich auf und ernährt und erhält die Herden des Wanderhirten. Wo nach Süden hin die Wüste endet, wo der Wald aufhört, wo ein Gebirge sich verflacht, macht sie sich geltend; wo der Wald durch Feuer zerstört wurde, bemächtigt zuerst sie sich der Brandstelle; wo der Mensch ein Dorf verließ, dringt sie in dessen Weichbild ein, um es binnen wenig Jahren bis auf die letzten Spuren zu vernichten; wo der Ackerbauer seine Felder aufgab, drückt sie diesen in Jahresfrist wiederum ihr Gepräge auf.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_731.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)