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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Die innerafrikanische Steppe und ihre Plagen.

Der Norden Afrikas ist Wüste, muß Wüste sein und wird ewig Wüste bleiben. Gegenüber den ausgedehnten, von einer sengenden Sonne durchglüheten Ländermassen zwischen dem Rothen und Atlantischen Meere verlieren die erdumgürtenden Gewässer ihre Bedeutung, kommt das Rothe Meer gar nicht in Betracht, erweist sich das Mittelmeer als viel zu klein, ist selbst der Einfluß des Atlantischen Weltmeeres nur auf einen schmalen Rand längs seiner Küste beschränkt; über so weiten und heißen Flächen muß jedes Wolkengebilde zerstäuben, ohne die lechzende Erde zu befeuchten und zu befruchten. Erst viel weiter im Süden, unfern des Gleichers, da, wo auf der einen Seite das Atlantische Weltmeer tief sich einbuchtet, auf der andern das Indische Weltmeer Afrikas Küsten bespült, wo, um mich so auszudrücken, beide Meere über den Erdtheil hinweg sich die Hände reichen, ändern sich die Verhältnisse, indem hier alljährlich zu gewissen Zeiten unter Sturm und Blitz und Donner so ausgiebige Regenmassen herniederstürzen, daß vor ihnen die Wüste weichen und der lebendigeren Steppe Platz machen muß. Daher teilt sich hier das rollende Jahr in zwei von einander wesentlich verschiedene Zeiten: an die belebende und die ertödtende, die der Regen und jene der Dürre nämlich, wogegen in der Wüste einzig und allein die zeitweilig herrschenden Winde von den anderswo wechselnden Jahreszeiten Kunde bringen.

Um die Steppe zu erklären, erscheint mir eine flüchtige Schilderung ihrer Jahreszeiten unerläßlich zu sein. Denn jedes Land spiegelt das Klima wieder, welches in ihm herrscht, und jedes Gebiet ist nichts anderes als ein Ergebniß der streitenden Gewalten seiner Jahreszeiten und kann nur verstanden werden, wenn man diese und ihren Einfluß kennen gelernt hat.

Mit dem Aufhören der Regen beginnt im Innern Afrikas die ertödtende Zeit des Jahres oder der lange und furchtbare Winter, welcher durch seine Gluth genau dasselbe bewirkt, was der nordische Winter durch seine Kälte zu Wege bringt. Noch bevor sich der bis dahin oft bewölkte Himmel völlig geklärt hat, werfen einzelne der im Frühlinge ergrünten Bäume ihren Blätterschmuck ab, und mit den fallenden Blättern verlassen auch die Wandervögel, welche während des Frühlings gebrütet haben, das herbstende Land, um in anderen Gefilden ihres heimatlichen Erdtheils Zuflucht zu suchen. Die Halme der Brotfrüchte gilben noch vor dem Ende der Regen; die niederen Gräser welken und dürren. Zeitweilig fließende Gewässer versiegen, durch die Regen gefüllte Becken trocknen aus und zwingen nicht allein die in ihnen lebenden Kriechthiere und Lurche, sondern selbst die ihnen eigenen Fische, in feuchten Betten sich einzugraben und hier ein Winterlager zu suchen. Kerbthiere und Pflanzen vertrauen ihren Samen der Erde an.

Jemehr die Sonne scheinbar nach Norden sich wendet, um so rascher rückt der Winter heran. Der Herbst beschränkt sich auf einige Tage. Er bewirkt kein Verwelken und Absterben der Blätter, kein Erglühen in Gelb und Roth, wie bei uns zu Lande, sondern übt durch glühende Winde eine so vernichtende Gewalt, daß jene vertrocknen wie gemähetes Gras im Strahle der Sonne und theils noch grün zu Boden fallen, theils am Stiele zerstieben, daß die Bäume, mit sehr wenigen Ausnahmen, binnen kürzester Frist ihr winterliches Aussehen erhalten. Ueber den vor wenigen Tagen noch im Winde wogenden, mit hohem Grase bewachsenen Flächen wirbelt jetzt Staub auf; in den theilweise oder gänzlich trocken gelegten Flußläufen und Wasserbecken klafft der Boden in tiefen Spalten. Alles Angenehme schwindet, alles Unangenehme tritt bedrohlich hervor: Blätter und Blüthen, Vögel und Schmetterlinge welken, wanderten oder starben; aber Dornen, Stacheln und Kletten blieben zurück, Schlangen, Skorpione und Taranteln feiern die Hochzeit ihres Lebens. Unsägliche Gluth bei Tage, unerträgliche Schwüle bei Nacht sind die Leiden dieser Tage, und gegen das eine wie gegen das andere giebt es kein Mittel der Abwehr. Wer jene Tage nicht selbst erlebt hat, an denen der Wärmemesser im Schatten bis auf fünfzig Grad C. steigt, während deren man fortwährend schwitzt, ohne eher als im kühlen Raume zum Bewußtsein davon zu gelangen, weil die Gluth allen Schweiß verdunsten läßt, während deren eine Staubwolke nach der andern zum Himmel aufwirbelt oder trockener Dunst bleischwer auf einem lastet, vermag nicht solche Leiden sich auszumalen; wer jene Nächte, in denen man sich schlaflos auf dem Lager wälzt, weil die Schwüle verwehrt zu ruhen und zu schlafen, nicht durchseufzt hat, ist außer Stande, die Qual der Menschen und Thiere in gleicher Weise bedrückenden Zeit nachzufühlen. Selbst der Himmel ändert sein bisher selten getrübtes Blau in fahlere Farben um; denn der eben erwähnte Dunst verhüllt oft halbe Tage lang die Sonne, ohne ihr jedoch die Gluth zu rauben; im Gegentheile, gerade wenn der Gesichtskreis mit solchen Dünsten umdichtet ist, scheint die Schwüle noch zuzunehmen. Ohne irgend welche Erquickung für Geist und Leib reihen sich die Tage an einander. Kein kühlender Hauch aus Norden fächelt die Stirne, kein Blüthenduft, kein Vogelgesang, keine Zaubergemälde in leuchtenden Farben und tiefdunklen Schatten, wie das überquellende Himmelslicht der Gleicherländer sonst wohl hervorruft, erfrischt die Seele; alles Lebendige, Farbige, Dichterische ist verschwunden, in todähnlichen Schlaf gesunken, und dieser ist viel zu grausenvoll, als daß er dichterische Gefühle wecken könnte. Mensch und Thier welken, wie früher Gras und Blätter welkten, und mancher Mensch, manches Thier sinkt für immer nieder, wie jene. Vergeblich ringt trotziger Mannesmuth, von der Last dieser Tage sich zu befreien, in Seufzen und Klagen geht der festeste Wille unter. Jede Arbeit ermüdet, jede, auch die leichteste Decke wird zu schwer; jede Bewegung ermattet, jede Verletzung verwandelt sich zur bösartigen Wunde.

Doch selbst dieser Winter muß endlich dem Frühlinge weichen. Grausenvoll aber ist auch dessen Wehen. Derselbe Wind, welcher in der Wüste zum Samum wird, regt, als Herold des Lenzes, seine Schwingen, wühlt in den Ritzen des Bodens, um sogar aus ihnen noch Staub zu entnehmen, wirbelt letzteren in dichten Massen empor, baut aus ihm mauerähnliche Wolken auf und führt diese brausend und heulend durch das Land, wirft sie durch die Fenstergitter der besseren Wohnungen in den Städten wie durch die niedere Thür der Hütte des Eingeborenen und fügt neue Unannehmlichkeiten zu den gewohnten Plagen. Er allein hat endlich die volle Herrschaft errungen und übt sie unumschränkt, als wolle er alles vernichten, was bisher noch widerstand; er aber ist es auch, welcher weiter ins Süden regenschwangere Wolken zusammenballt und dem verbrannten Gelände entgegenführt. Bald will es scheinen, als verlöre er mit der sich mehrenden Stärke seine bedrückende Schwüle, als wehe er zuweilen nicht mehr glühend, sondern frisch und erquickend. Es ist keine Täuschung: der Frühling rüstet sich zum Einzuge, und auf des Südsturmes Fittichen rauschen die Wolken einher. Noch kurze Zeit, und sie dunkeln im Süden das Gewölbe des Himmels; noch wenige Tage, und zuckende Blitze erleuchten, allnächtlich fast, die düsteren Schichten; noch einige Wochen, und ferner Donner kündet den belebenden Regen.

Geschäftig regt es sich, wogt und fluthet es in und an allen Strömen, welche vom Süden herkommen. Noch haben sie sich kaum getrübt; aber sie sind lebendiger geworden, denn sie steigen von jetzt an fortwährend und senden in allen tieferen Spalten und Rissen ihrer verschlammten Uferflächen das belebende Naß nach dem Innern des Landes. Und auch die Zugvögel sind bereits wieder eingetroffen und mehren sich von Tag zu Tage. In den oberen Nilländern erschien der Storch, um wiederum Besitz zu nehmen von den alten Nestern auf den kegelförmigen Strohhütten der Eingeborenen, erschien mit ihm der heilige Ibis, um auch heute noch sein vor Jahrtausenden übernommenes Amt zu üben: Bote, Herold und Bürge zu sein, daß der alte Nilgott wiederum seiner Gnade Born und seines Segens Füllhorn über die ihm unterthanen Länder ergießen werde.

Endlich zieht das erste Gewitter heran. Beengendere Schwüle als je liegt über dem todten, verbrannten Gelände. Unheimliche Stille beängstigt Mensch und Thier. Jeder Gesang, fast jeder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_730.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)