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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

altes Familienschmuckstück. Dicksatt hatte er das Halsband aus Bernstein, an welchem jedes Glied ein versteinertes Würmlein umschloß. Er vermochte es gar nicht mehr zu ersehen, wenn sie darin an ihm vorüberwandelte mit dem zarten Antlitz und den großen dunklen Augen, die so ernst blickten.

Ihn schaute sie nie an, er mochte ihr nun in den fürstlichen Sälen begegnen, oder zum niedrigen Fenster der Kanzleistube sich hinauslegen, wenn sie abends um sieben Uhr nach der Burgmühle hinüber schritt, wo ihre gänzlich verarmte Mutter einen Gnadensitz von der Herrschaft erhalten hatte.

Welche Zeit mochte es wohl jetzt sein?

Er zog seine schlagende Halsuhr hervor. Fünfmal erklang ihr helles Stimmchen. Und da war der Meilenstein, der ihm anzeigte, daß er noch zwei Wegstunden bis Weimar zurückzulegen hatte.

Aber wahrhaftig! Es fiel ihm nicht ein, durch das Wasserthor des Lustgartens heimzureiten. Was ging es ihn an, daß die andere Hofjungfrau, die blonde Benigna, sich von ihm hatte aufbinden lassen, er kehre durch dasselbe zurück, und nun wahrscheinlich dort herumtrippelte? Er würde durch das Kegelthor einziehen, wenn es auch ein Umweg war und ihn an der Burgmühle vorüber führte. Zum Teufel! Er fürchtete sich wahrlich nicht vor dem kleinen Tugendspiegel.

„Nun Schritt!“ befahl er seinem Gefolge. „Vor sieben Uhr brauchen wir nicht in Weimar zu sein, und ich denke nicht daran, meinen Schecken zu Schanden zu reiten.“


Als die Tage kamen, an denen die Sitzungen der Palmgenossen und der Tugendlichen stattfinden sollten, machte der Heitersberg, der alte Wetterprophet für die Residenzstadt Weimar, seinem Namen Ehre: klar hob sich sein breiter Rücken vom blauen Himmel ab.

Schon am frühen Morgen waren die Bewohner der Stadt auf den Füßen, um von den fremden Gästen so viel als möglich zu erschauen. Aus dem abgelegenen Rosmaringäßlein sprangen die kleinen Handwerker über die Schrittsteine nach dem Geleitshaus, wo die Einziehenden das Wegegeld entrichten mußten. Wohlhäbige Bürger wandelten auf dem schönen neuen Pflaster der fürnehmen Rittergasse, in welcher die Häuser des auswärtigen Adels lagen, der zu dem Fest erwartet wurde. In der Schloßgasse fanden sich die entferntesten Muhmen und Basen ein, geschmückt mit frisch gestärkten Halskrausen, das schönste Messer an die Gürtelkette gehangen, und nahmen Platz in den Erkern.

Und alles Volk schaute auf und horchte, wenn die Palmgenossen hoch zu Roß einzogen, einander mit ihren Ordensnamen zurufend: „Grüß’ Gott, Nutzbarer!“ „Schönen Dank, Wohlbekommender!“ und die Tugendlichen aus den langen Kutschen, in denen sie saßen, mit Frühlingssternen und Himmelschlüsseln sich Grüße zuwinkten. –

Auch aus einem Fenster der Burgmühle sah ein feines ältliches Frauenantlitz voll Antheilnahme auf die Reiter und Wagen, die über die Kegelbrücke zogen.

Der Schnitt der steifen Haube, die diademartig das schmale Gesicht fest umschloß, und die vornehme Haltung der Frau verriethen, daß sie nicht in die Sippe des Müllers gehörte. Sie zollte auch den mit Säcken heran und hinwegtrabenden Eseln nicht die mindeste Beachtung.

„Michel,“ rief sie einem krummen Knecht zu, der vor der Thür an einem Sägebock stand und einen ebenso krummen Weidenstamm klein schnitt. „Ist das dort nicht der Lehnsvetter, der unser Gut bekam, als mein seliger Eheherr starb, ohne Sohne zu hinterlassen? Das Gesinde trägt weiß und blau, die Hellingenschen Wappenfarben. Den wird der Wirth ,Zum güldnen Ring’ arg bezwacken; einem Edelmann berechnet er allezeit achtzehn Pfennige für die Nächtigung.“

Der Knecht schaute auf. Dann brummte er:

„Hierher zu fahren, dazu haben sie Geld. Das Altenhäuschen, darin Ihr mit der Jungfrau Trude von Rechtswegen einen Sitz hattet, konnten sie nicht wieder ausflicken, als es von den Kaiserlichen bei der Einlagerung zerstört worden war.“

„Du mußt nicht immer murren gegen die Fügungen Gottes,“ verwies Frau von Heilingen. „Er hat alles wohl gemacht. Ohne unsre Noth wäre die fürstliche Herrschaft nicht darauf gekommen, die Trude als Hofjungfrau zu nehmen, und mir hat ihre Gnade dieses sichre Losament in Dero Mühle angewiesen, wo auch Du einen Unterschlupf gefunden hast. Während Du das geschenkte Holz spaltest, solltest Du nur voll Dankbarkeit sein.“

Der Knecht brummte etwas in seine alte Weide hinein und sägte weiter.

„Michel,“ ertönte wieder die Stimme. „Hoffentlich hat der Schneider sein Bedenken über das Hofkleid, welches er für mich machen soll, bei Seite gestellt, und ich bekomme selbiges zur rechten Zeit.“

Michel zog die schiefe Schulter noch höher empor. „Der Meister kratzte sich gewaltig hinter den Ohren, als ich ihm Euren Befehl ausrichtete, daß er das Vordertheil von dem alten aschenfarbigen Brokatmäntelchen des seligen Herrn, das Rücktheil aus Eurem Zindelrock machen sollte.“

„Das versteht Ihr Leute nicht,“ sagte mit ruhiger Würde Frau von Heilingen. „Bei Hofe zeigt man sich nicht von hinten.“

Der Knecht sägte und brummte weiter.

„Michel,“ erscholl es wieder über ihm. „Sorge, daß ein paar Steine in den Schmutz der Straße geworfen werden, auf denen ich morgen hinüber schreiten kann, wenn ich zu Hofe gehe.“

„Der Quadt ist arg,“ sagte der Knecht, „solltet lieber zu Hause bleiben.“

„Das verstehst Du nicht,“ belehrte sie ihn von oben herab. „Eine Edelfrau darf sich ihr Recht nicht nehmen lassen, der fürstlichen Herrschaft aufzuwarten. – Vergiß nicht, daß Dein blau und weiß getheilter Mantel wohl ausgebürstet sei, wenn Du mit dem Spieß mir folgst, wie es sich für die alte Frau von Heilingen geziemt.“

Jetzt stellte Michel die Säge aus der Hand. „Gestrenge Frau! In dem getheilten Mantel lachen mich alle aus. Itzunder haben die Knechte, Lakaien werden sie genannt, Wämser und Hosen von einer Farbe, und kein Mensch trägt einen Spieß hinterher, sondern abends ein Stablicht voraus.“

Frau von Heilingen schaute gelassen und erhaben auf ihren gekränkten Knecht herab. „Laß sie lachen! So bin ich schon zu Hofe gegangen bei der Großfraumutter der jetzigen Herzöge und habe immer mit Ehren bestanden. Und der liebe Gott wird mich schon behüten, daß ich auch ohne Stablicht nicht in den Quadt falle.“

„Der liebe Gott soll auch alles machen,“ rief der Knecht unwirsch.

„Wenn Er will, werden wir auf Engelsfittigen getragen,“ entgegnete sie zuversichtlich und schob mit der schmalen welken Hand geruhig das Fenster zu. –

(Fortsetzung folgt.)
Wie eine Oper entsteht.
Von Josef Lewinsky.

Wie eine Oper entsteht? Nichts einfacher. Man nimmt eine Hand voll Text, eine Hand voll Noten, ein paar Dutzend Sänger und Sängerinnen und ein Schock Musikanten. Das Ganze wirft man in einen Topf, rührt es tüchtig durcheinander und läßt es gehörig schmoren. Soll der Schmaus einen pikanten Geschmack erhalten, so wirft man auch einige Fingerspitzen oder besser Fußspitzen Ballet hinein und die Oper ist fertig. Probatum est!

Nach diesem Rezept – so behauptete ein in culinarischen Dingen erfahrener Freund - vollzöge sich die scenische Zubereitung einer neuen Oper. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Ich mußte mich selbst überzeugen. Doch wie? Ich wandte mich an einige Autoritäten. Der Lampenanzünder wußte es nicht; der Theaterdiener zuckte die Achseln und der Instrumententräger rümpfte die Nase. Endlich traf ich eine theilnahmsvolle Seele, welche mich in das große Geheimniß einweihte und mir alle die Kräfte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_714.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)