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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Felsen, der die Dornburg trägt, waren mit weißen Blüthen übersäet. Drunten im Thal glitzerten zwischen den grünen Wiesen die Wellen der Saale und rauschten unter der altersbraunen überdachten Brücke auf, die nach dem von blühenden Kirschbäumen umkränzten Dörfchen Dorndorf führte. In den Sonnenstrahlen sprangen übermüthig die Fische aus dem Gestrudel empor, und drüben in der Feldschlucht jagten sich Hasen, machten Männchen und spitzten die langen Ohren.

Auch die Gedanken der Frau Witwe begannen ein Fädlein zu spinnen, aber nicht in spitzfindiger alamoder Art, sondern nach treuherzigem alten Brauch. Stand ihr Fuß nicht so weich und warm auf dem braunen Bärenfell, das ihr von Herzog Albrecht verehrt worden war? Es hatte dem letzten Bären am Inselsberg angehört und war von ihrem Lieblingsneffen erbeutet worden, auf einer Jagd bei seinem alten Vetter, dem Herzog von Eisenach. Sie schuldete ihm noch ein Gegengeschenk. Jetzt gedachte sie des zur Hasenjagd trefflich abgerichteten Hündleins Kiekebusch, das sie von ihrem ältesten Sohn erhalten hatte, weil Hasenbraten ihr Leibessen war. Dies Hündlein wollte sie als seltsame Verehrung dem jungen fürstlichen Herrn durch den Hofmeister senden. Denn in ihrer Jugend hatte man für freundliches Entgegenkommen freundliche Erwiderung gehabt, nicht solange Verstecken gespielt, bis man sich gar nicht mehr zu finden vermochte. –

Indessen ging Achatius wieder nach der Wohnung des Schloßhauptmanns hinüber. Er schaute zu dem Fenster mit dem Rosmarinsträuchlein auf. Dasselbe war leer. Aber bevor er sich noch weiter nach Käthchen umzusehen vermochte, stand schon ein Diener vor ihm, der meldete, daß der Schloßhauptmann ihn zu einem Imbiß erwarte.

Und nun ging alles wie am Schnürchen von statten, daß Achatius kaum zur Besinnung kam.

Er hatte getafelt, mit dem Schloßhauptmann eine Kanne Wein ausgestochen, sein Staatskleid gegen den Reiseanzug vertauscht – er wußte nicht, wie. Jetzt war sein Felleisen bereits von flinken Händen geschnürt und wurde in den Hof getragen, wo seine Leute schon vorritten.

Dem bedächtigsten Knecht setzte der Schloßhauptmann das Hündlein Kiekebusch auf das Pferd. Das fand sich dort schnell zurecht; denn es war gewohnt, mit auf die Jagd zu reiten; man ließ es erst laufen, wenn es an das Aufspüren der Hasen ging.

„Ich danke Euch für die herrliche Traktation,“ sagte Achatius ganz schwindelig von der schnellen Bedienung zu Frau von Tautenburg.

Da kam Käthchen gesprungen. Noch hing ihr vom Taubenschlag her ein Strohhalm, ein Federchen an Kleid und Haar.

Ihre Eltern erschraken. „Wo hast Du Deine Turteltauben?“ fragte ihr Vater.

„O, mit denen hat es gute Weile,“ erwiderte sie athemlos. „Die fliegen mir nicht davon. Ich habe sie einstweilen wieder in ihren Käfig gesperrt.“

Dem Hofmeister ging ein Licht auf. Wartet! dachte er, Ihr sollt Euch und mich umsonst abgehetzt haben. Er nahm eine schwermüthige Miene an, seufzte und sprach zu Käthchen:

„Die Stunden, da ich traulich bei Euch weilen durfte, sind fortgelaufen wie Wasserbäche. Bald sitze ich wieder in meinem öden Haus am Schloßplatz seelenallein.“ Er sah Käthchen herzbrechend an.

„Dann kommt vielleicht endlich Eure Geckerei zur Ruhe,“ fuhr Frau von Tautenburg dazwischen.

Vor der Hand war dieselbe noch nicht einzudämmen. Er legte die Hand aufs Herz und flüsterte mit bebender Stimme: „Nun geb’ ich Euch das ewige Adieu und letzte Bewahr Dich Gott!“

Er schwang sich auf das Pferd. Seine Augen flogen an alle Fenster der Dornburg.

Sie waren von Frauenköpfen besetzt. Da bog sich die rundliche Hofmeisterin heraus; dort lugten, durch die Butzenscheiben ein wenig schief gezogen, die ältlichen Gesichterchen der Hofjungfrauen herab. Selbst aus der Dachluke guckten noch zierliche Kammermägdlein.

Er nahm den Federhut ab, schwenkte ihn rings im Kreis gegen all die Frauen und Mägdlein, die ihre Hälschen nach ihm ausreckten, und ritt davon.

Käthchen stand und sah dem Scheidenden nach. Unter dem Thorgewölbe schaute er noch einmal sich um und warf einen Kuß zurück. Dann war er verschwunden.

Sie lauschte auf die immer ferner klingenden Hufschläge; nun erstarben auch diese. Ach, wenn sie doch eines ihrer Täublein wäre, die sich droben auf dem Dach des Thurmes sonnten Die konnten ihn noch erschauen, wie er, den Arm in die Seite gestemmt, auf seinem Schecken saß und so keck die Welt über die Achsel ansah.

Der Schloßhauptmann raunte seiner Ehegesponsin zu: „Ich glaube, die Käthe weint.“

Sie warf einen Seitenblick nach dem jungen Mädchen. „Stellet Euch, als ob Ihr es nicht sähet. Denn wenn man solchen Liebeshandel erst ausgerufen und benamset hat, dann ist er nimmermehr aus der Welt zu bringen. Er kommt ihr ja jetzt aus den Augen.“

Der Schloßhauptmann rückte bedenklich sein Hausbarett hin und her. „Nu, nu! unsere Herrschaft reist nach Weimar und hat befohlen, daß Ihr Euch ihrem Gefolge anschließen sollt!“

Frau von Tautenburg hob die Arme gen Himmel.

„Auch die Käthe? Sollen wir das Lamm dem Wolf in den Rachen treiben? Und sie ist aus allen ihren Fähnchen herausgewachsen. Gott sei Dank, daß der leberfarbene Seidenkamelot noch da liegt. Grethe! lauf nach dem Schneider! Töffel, morgen früh reitest Du nach Jena und holst Goldbrokat zu einem Brustlatz! Suse, ist noch Spikanardiwasser vorräthig zum Besprengen der Gewänder?“ Sie stürmte hinter dem Ingesinde her.

Käthchens Thränen wären schnell versiegt. Sie schlug vor Freude die Hände zusammen. „Nach Weimar? Und ich bekomme einen leberfarbenen Seidenkamelotrock? Was wird Vetter Achatius für Augen machen!“ –

Vetter Achatius hatte in seinen Gedanken dem Bäschen wirklich das ewige Adieu gegeben. Noch einmal sah er sich nach der Dornburg um. Dort lag das graue Gebäu mitten im Maiengrün. Das runde Haupt der Burglinde schaute über die Ringmauern; an der Mittagseite wehten mit Blüthenquästchen betroddelte Birken; gen Mitternacht zog sich der Hain am Burgberg herab. Nur die uralte Ulme ragte dunkel über die Buchen empor, wie es der Art des finstren Baumes gemäß war, unter dem einst dem Donnergott Opfer geschlachtet wurden. Denn nicht von Rosendornen, sondern vom alten deutschen Gott Torr leitet die Dornburg ihren Namen her.

Der Blick des Hofmeisters suchte nicht das steile Dach über dem Wohngelaß des Schloßhauptmanns. Er richtete sich auf die so hoch herab und so weit in das Land hinausschauenden Fenster des Residenzhauses, hinter denen die schöne Dorothea weilte.

Wie lautete die Lösung des Räthsels, das ihre Fragen ihm aufgegeben hatten? Nachdenklich setzte er seinen Weg fort.

Aber endlich wippte er leichtsinnig mit der Reitpeitsche in die Luft. Ach, hudelt euch weg, ihr grüblerischen Gedanken! Diese Nüßlein zu knacken war Sache des Herzogs Albrecht. Die Sonne hatte sich auf ihren goldenen Wagen gesetzt, der Vögel kleine Kumpanei spazierte tirillirend durch das Feld. Dort pflanzten braune Nymphen grüne Kräutlein in die warme Erde. Wie wäre es, wenn er gleich Pan mit ihnen um die Stauden tanzte?

Kaum noch mit den adligen Insassinnen einer Burg karessirt und nun ein Bauerndirnlein geschwenkt: also changirt ein alamoder Monsieur mit feister Passion. Ihm gehört ja das ganze Frauenzimmer.

Da tauchte vor seinem innern Auge eine Gestalt auf, schlank und zart, mit einem von dunklem Haar umschlossenen Köpfchen.

Ob ihm die Gertrud von Heilingen auch gehörte?

Diable! Er hätte sie noch gar nicht gewollt. Sie war ihm viel zu langweilig, um ihrer zu gedenken.

Er gab seinem Schecken die Sporen und sprengte an den braunen Nymphen vorüber, ohne sie nur zu sehen.

In langem scharfen Trabe suchte er der langweiligen Erinnerung zu entfliehen. Aber sie saß mit ihm zu Pferde, und als er demselben endlich ein Verschnaufen gönnte, machte sie sich wieder mausig.

Schier unausstehlich dünkte ihn die blasse Hofjungfrau in ihrer großen weißen Schürze, mit der sie allezeit angethan war. Nein! Bei Festlichkeiten, wenn sie in dem Staatsrock von braunem seidenen Vorstatt erschien, den der Herzog Wilhelm den Hofjungfrauen seiner Gemahlin zu Weihnachten geschenkt hatte, entstellte das Vortuch sie nicht. Dafür trug sie alsdann ebenso unabänderlich ein

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