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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Der Kampf gegen den „Hopbitter“.
Ein Beitrag zur Bekämpfung des Geheimmittelunwesens.

Unser „aufgeklärtes Jahrhundert“ ist nicht minder reich an Quacksalbern wie frühere Zeitalter. Ja, man kann sogar mit Recht behaupten, daß, wie alles in unserer Zeit, so auch die Quacksalberei Riesenfortschritte gemacht hat; das Kurpfuscherthum hat neben der Ausbreitung der medizinischen Wissenschaft sich zu behaupten gewußt; es hat sich den Zeitverhältnissen angepaßt und eine neue Organisation angenommen. In dem Inserat und der Reklame findet es eine der mächtigsten Stützen und weiß sie gehörig auszubeuten. Wo wir nur hinblicken, überall finden wir Anpreisungen von Geheimmitteln; Millionen werden von Kurpfuschern alljährlich für Inserate ausgegeben, und diese Thatsache allein genügt, um die große Verbreitung dieser dunklen Industrie begreiflich zu machen.

Der Kampf, welcher gegen den Geheimmittelschwindel von verschiedenen Seiten geführt wird, ist darum keineswegs so leicht: er gleicht einer Sisyphusarbeit; denn kaum hat man dieses oder jenes Geheimmittel unschädlich gemacht, so tauchen dafür zehn andere aus. Um so mehr verdienen diejenigen Anerkennung, welche unermüdlich die Ausbeutung leichtgläubiger und unglücklicher Kranken mit aller Kraft zu verhindern suchen; um so mehr ist es nöthig, daß dieses gemeinnützige Vorgehen Unterstützung und Nachahmung finde. Der Ruf nach neuen Gesetzen gegen Kurpfuscher und Geheimmittel genügt allein nicht; die Gesellschaft, in deren Schoß das Unkraut so üppig in die Höhe gesprossen ist, muß auch in sich selbst Kraft genug finden, um das Unkraut auszurotten; sie darf nicht immer auf das Einschreiten des Staatsanwalts warten; sie muß vielmehr unverzüglich zur Selbsthilfe greifen.

Daß ein solches Vorgehen von den besten Erfolgen begleitet sein kann, das beweist uns die Geschichte einer jungen Vereinigung in Holland, aus der wir ein Kapitel im Nachstehenden erzählen wollen.

Im Jahre 1881 wurde in Leuwaarden auf Anregung von Dr. Vitus Bruinsma der „Verein gegen die Quacksalberei“ gegründet. Anfangs zählte er nur 163 Mitglieder, die zumeist Aerzte und Pharmaceuten waren. Der Vorstand begann seine Thätigkeit mit der Herausgabe einer kleinen Zeitschrift, des „Monatsblattes des Vereins gegen die Quacksalberei“, welche auf Vereinskosten gedruckt und gratis vertheilt wurde. Das Unternehmen fand Anklang; am Schluß des Jahres zählte der Verein bereits 357 Mitglieder, und er vertheilte im Laufe des Jahres 22 840 Exemplare des Journals. von nun an wuchs die Zahl der Mitglieder beständig, bis sie 1886 1082 erreichte. Während aber die Gesellschaft vor einigen Jahren noch 108 940 Exemplare ihres Journals vertheilen konnte, war sie zuletzt in der Lage, nur etwa 40 000 Exemplare drucken zu lassen; denn sie war in diesem Kampfe gegen die Charlatanerie auch von den Wechselfällen, wie sie ein jeder Krieg mit sich bringt, betroffen worden. Einige der Geheimmittelfabrikanten fühlten sich durch die satirischen Aufsätze des Journals beleidigt, und es war zwei Herren gelungen, ein Urtheil gegen den Verein zu erlangen, welcher ihnen Buße zahlen mußte. „Die niederländischen Richter,“ schreibt der Gründer des Vereins, „entschieden in der That, daß, wenn man verbürgte Thatsachen zur Belehrung und Warnung des Publikums veröffentlicht, die Ausdrucksweise eine sorgfältig gewählte sein müsse, damit sie den betreffenden Quacksalber nicht beleidige.“ Das kleine Journal war also in dem Kampfe gegen das Unwesen weniger glücklich, als der Ortsgesundheitsrath zu Karlsruhe; denn im Jahre 1880 haben die deutschen Richter in einem ähnlichen gegen den Vorstand des genannten Rathes, Bürgermeister Schnetzler, angestrengten Processe wie folgt entschieden:

„Es existirt ein gutes Recht, einen Schwindler als einen Schwindler zu bezeichnen, wenn dies zur Verwirklichung eines gemeinnützlichen, auf andere Weise nicht erreichbaren Zweckes und zur Abschaffung eines gemeingefährlichen, vom sittlichen Standpunkt zu verurtheilenden Treibens nothwendig ist.“ (Vergl. auch Jahrg. 1880 der „Gartenlaube“.)

Die Buße, welche der „Verein gegen die Quacksalberei“ zahlen mußte, traf seine Finanzen recht empfindlich, und seit der Zeit werden alle Artikel des genannten Monatsblattes vor dem Druck einem Rechtsanwalt vorgelegt, welcher in ihnen alles das streicht, was die Herren Quacksalber beleidigen könnte.

Das Monatsblatt des Vereins findet man in Hunderten von Cafés, Bahnhöfen etc.; es wird Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften, den Ministern und gegen 300 Zeitungsredaktionen zugeschickt und außerdem durch die Mitglieder nach Kräften verbreitet. Es bekämpft das Kurpfuscherthum und das Geheimmittelunwesen in durchaus wirksamer Weise. Es ist vor allem nicht langweilig geschrieben, ja zum Theil sind die Artikel humoristisch; da in dem lächerlichen Gebaren der Quacksalber oft ein unwillkürlicher Humor sich findet.

Darauf beschränkt sich jedoch keineswegs die Thätigkeit des Vereins. Er nimmt auch einzelne Schwindler aufs Korn und agitirt so lange gegen dieselben, bis sie in Holland ihre Flagge einziehen müssen. Dr. Vitus Bruinsma erzählt in dem ersten Heft der „Internationalen Revue der Verfälschungen von Nahrungsmitteln“[1] ausführlich von einem solchen Duell zwischen dem Verein und einem Geheimmittelfabrikanten.

Im Oktober 1882 tauchte in Holland ein neues Heilmittel auf, welches gegen alle möglichen Leiden helfen sollte. Es hieß „Hopbitter“, bestand aus Wasser, in dem einige Bitterstoffe aufgelöst waren, und kostete 5 Franken, während der wirkliche Werth der Ingredienzien 20 Centimes betrug. Gleich beim Erscheinen der ersten Riesenannoncen erließ der Verein Warnungen gegen das neue Heilmittel; aber der Fabrikant verdoppelte nunmehr seine Anstrengungen; von seinem Hauptquartier in Breda sandte er nach allen größeren Städten Agenten, welche Tausende von Broschüren vertheilen mußten, in denen der „Hopbitter“ angepriesen wurde. Als dies der Vorstand des Vereins erfuhr, ließ er sofort Tausende kleiner Blätter drucken, in welchen es klar und deutlich zu lesen war, daß die Industrie des „Hopbitter“ nur eine elende Schwindelei sei, welche lediglich den Zweck verfolge, Geld zu verdienen. Diese Blättchen sollten überall dort vertheilt werden, wo die Agenten des „Hopbitter“ zuvor ihre Broschüren abgegeben hatten. Die Gesellschaft appellirte dabei an den Eifer ihrer Mitglieder in den holländischen Städten, und sie fand auch die eifrigste Unterstützung. Kaum waren hier oder dort die „Hopbitter“-Agenten aufgetaucht, da depeschirte man sofort an das Komité in Leuwaarden, und die Gesellschaft sandte unverzüglich nach den bedrohten Punkten einige tausend ihrer Blättchen, die unter Aufsicht der Mitglieder in denselben Straßen vertheilt wurden, in welchen vorher die „Hopbitter“-Broschüren aufgetaucht waren.

So dauerte der Kampf drei Monate hindurch in Amsterdam, Rotterdam, im Haag, in Utrecht, Leuwaarden, Groeningen etc. 53 000 Blätter ließ die Gesellschaft vertheilen, und der Erfolg blieb auf ihrer Seite. Anfangs 1883 war der „Hopbitter“ in Holland unmöglich – war todtgemacht, während der Unternehmer noch einige Jahre später in Belgien gute Geschäfte machte.

Diese Art der Vereinsthätigkeit hat wie jede Selbsthilfe ungemein große Vorzüge. Ihr Hauptverdienst liegt nicht allein in dem Unschädlichmachen einiger Geheimmittel. Dadurch daß sie Mitglieder wirbt und von ihnen Propaganda für die gute Sache fordert, trägt sie unendlich viel zur Klärung der richtigen Anschauungen im Volke bei. Im Großen und Ganzen ist das Geheimmittelunwesen ein betrügerisches Ausbeuten des Volkes, und es ist wahrlich endlich an der Zeit, daß die Gesellschaft sich der Parasiten erwehrt, die durch fremdes Unglück reich werden möchten.

Das Vorgehen des Vereins gegen die Quacksalberei ist nachahmenswerth und auch für die Verhältnisse in Deutschland zu empfehlen. –

C. Falkenhorst.     




Blätter und Blüthen.

Professor Wilhelm Engelhard. (Mit Illustration S. 689.) Wenn einer unserer lebenden Bildhauer es verdient, über den Kreis der Fachgenossen hinaus bekannt zu werden, so ist es Professor Wilhelm Engelhard in Hannover, der Schöpfer der beiden trefflichen Figuren der freisprechenden und der verurtheilenden Justiz, welche im Holzschnitte die vorliegende Nummer unseres Blattes schmücken. Aber nicht jedes Verdienst wird von den Zeitgenossen anerkannt, beziehungsweise erkannt, und Professor Engelhard ist dem großen Publikum bisher fast ganz fremd geblieben, wenn auch die Fachgenossen seine geniale Begabung schon lange gewürdigt haben. Erst in neuester Zeit suchen einzelne Berufene den allzu bescheidenen Künstler größeren Kreisen vertraut zu machen und die C. R. Stollesche Hofbuchhandlung in Harzburg erwirbt sich das Verdienst, durch eine Prachtausgabe von photographischen Abbildungen der Schöpfungen des Meisters diesen dem allgemeinen Verständniß näher zu rücken. Nach zweien dieser Photographien sind unsere obengenannten Holzschnitte hergestellt und auch sie möchten an ihrem Theile dazu beitragen, dem Künstler den wohlverdienten Lorbeer zu erringen.

Der Lebensgang desselben ist nicht ohne Interesse, wenn er auch sensationelle Wendungen keineswegs aufweist. Friedrich Wilhelm Engelhard wurde am 9. September 1813 in Grünhagen bei Lüneburg geboren; er begann, herangewachsen, zuerst mit der Elfenbeinschnitzerei. Die Königin Friederike von Hannover, welche das Talent des Jünglings erkannte, veranlaßte ihn, sich ganz der Bildhauerei zu widmen. Engelhard ging 1840 nach Kopenhagen, um sich unter des großen Thorwaldsen Leitung in dieser Kunst auszubilden. Er war des Meisters letzter Schüler. Nach Verlauf einiger Jahre begab sich der junge Künstler nach München, wo der berühmte Schwanthaler sein Führer und Lehrer ward. Engelhard blieb 6 Jahre in München und wurde Schwanthalers „rechte Hand“. In München schuf er seine erste Figur von Bedeutung: einen „Germanen“, daneben aber noch mehrere, wie die später sehr bekannt gewordene „Loreley“ und das herrliche Reiterstandbild „Heinrich der Löwe“. Daneben bildete sich der junge Künstler auch in der Malerei aus. Sein schöpferischer Drang war stets auf das Große, Heldenhafte, Erhabene, Deutsche gerichtet. So erscheint es auch natürlich, daß sich Engelhard mit seinem ganzen Fühlen und Denken in die nordische Götter- und Heldenwelt hineinversenkte. In München wurde noch kurz vor Schwanthalers Tode Engelhards Hauptwerk, der „nordische Fries“, fertig und der Meister rieth seinem Jünger, damit nach Schweden zu gehen. Engelhard blieb aber in Hamburg, woselbst er viele Aufträge erhielt, verheiratete sich mit einer hochgebildeten jungen Dame und trat nun die Reise nach Rom an. Im Jahre 1857 siedelte der Meister nach Hannover über, wo er im Kreise seiner Familie in glücklichen Verhältnissen lebt.

Engelhards Schaffenskraft ist eine schier unversiegbare; er hat gegen 100 Gruppendarstellungen und Einzelfiguren geschaffen und in allen


  1. Revue internationale scientifique et populaire des falsifications des denrées alimentaires. Amsterdam. Albert de Lange.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_704.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)