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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

erträumte, nur um diesen Preis zu haben ist, so mag sie hinfahren – ich will sie nicht!“

Er hatte sich hoch aufgerichtet und schleuderte mit flammenden Augen dem Präsidenten die Absage entgegen. Es lag etwas Mächtiges, Ueberwältigendes in diesem stürmischen Ausbruch des Mannes, der sich endlich frei machte von all den kleinlichen Banden des Eigennutzes und der Berechnung, die ihn so lange festgehalten hatten, dessen bessere Natur sich endlich Bahn brach und siegreich die Versuchung niedertrat, die sich noch einmal so lockend vor ihm erhob. Er wußte ja, daß bei jenem „Geschäfte“ auch für ihn eine Million abfiel; dann war er nicht mehr abhängig von dem Wohlwollen seines Schwiegervaters, dann stand er frei und fessellos da, mit der goldenen Macht in seinen Händen, die ihm all seine Zukunftsträume verwirklichen konnte. Es war nur ein Moment gewesen, wo er zauderte, dann stieß er die Versuchung von sich und rettete seine Ehre!

Der Präsident stand mit tief verfinstertem Gesichte da. Er sah jetzt auch, daß er sich getäuscht hatte, als er in .dem kühnen, ehrgeizigen Streber an gefügiges Werkzeug, eine ebenso gewissenlose Natur wie die seinige zu finden hoffte, aber an vollständiger Bruch war durchaus nicht nach seinem Sinn. Er verlor am meisten bei der Trennung; in erster Linie ging der Gewinn verloren, den ihm nur Elmhorst mit seiner Unterschrift vermitteln konnte, und überdies sagte er sich, daß es gefährlich sei, einen Mann, der so tief in seine Pläne eingeweiht war, als Feind zu entlassen. Das durfte nicht geschehen, der Bruch mußte vermieden werden, wenigstens fürs Erste, bis jener Gefahr vorgebeugt war.

„Wir wollen heute in dieser Angelegenheit nicht das letzte Wort sprechen,“ sagte er langsam. „Sie ist allzu wichtig und unsere beiderseitige Stimmung ist nicht danach, sie ruhig zu behandeln. Ich komme in acht Tagen nach meiner Bergvilla und so lange hast Du Zeit, Dir die Sache zu überlegen, für jetzt nehme ich Deine übereilte Entscheidung nicht an.“

„So wirst Du sie in acht Tagen annehmen müssen“ erklärte Wolfgang. „Meine Antwort wird auch dann nicht anders lauten. Laß die Bahn berechnen, nach ihrem Werthe – nach ihrem höchsten Werthe – und ich werde die Bestätigung nicht verweigern; dieser Berechnung versage ich meine Unterschrift, das ist mein letztes Wort. – Leb’ wohl!“

„Du willst doch nicht jetzt schon wieder fort?“ fragte Nordheim, peinlich überrascht.

„Gewiß, der nächste Kurierzug geht in zwei Stunden und das Geschäft, das mich herführte, ist erledigt. Meine Anwesenheit auf der Bahnstrecke ist unbedingt nothwendig.“

Er verneigte sich; es war nicht mehr der vertrauliche Gruß des Verwandten, des künftigen Sohnes, sondern eine kalte, fremde Verabschiedung, die einem Fremden galt, und der Präsident fühlte, was darin lag.

Als Elmhorst in die große Eingangshalle trat, fand er dort zwei Diener, die seiner harrten. Man hatte, ohne erst den Befehl Nordheims abzuwarten, seine Zimmer in Bereitschaft gesetzt und erkundigte sich nun, ob der Herr Chefingenieur noch sonstige Befehle habe; aber dieser wies die beiden Diensteifrigen mit einer kurzen Handbewegung zurück.

„Ich danke, ich muß sofort wieder abreisen und kann daher die Zimmer nicht benutzen.“

Die Lakaien machten höchst erstaunte Gesichter, das hieß ja, im Sturme kommen und gehen! Sie verbeugten sich indessen unterwürfig und fragten nur, wann der Herr Chefingenieur nach der Bahn zu fahren beabsichtige und ob der Wagen sogleich angespannt werden solle.

„Nein, ich gehe zu Fuße!“ sagte Wolfgang ruhig. Sein Blick flog noch einmal durch die prachtvolle, hell erleuchtete Treppenhalle, über die teppichbelegten Stufen, die zu jenen strahlenden Festräumen im oberen Stock führten, dann verließ er das Haus, in dem er sechs Monate lang als Sohn, als künftiger Herr gegolten hatte und dem er jetzt für immer den Rücken kehrte.

Draußen empfing ihn ein dunkler, naßkalter Oktoberabend, der Himmel war sternenlos, die Luft trübe und neblig und der scharfe Wind mahnte an das Nahen des Spätherbstes. Elmhorst zog unwillkürlich den Reisemantel fester um die Schultern, als er mit raschen Schritten vorwärts ging.

Es war zu Ende! Das wußte er mit vollster Gewißheit und er durchschaute auch vollkommen die Absicht Nordheims, der einen plötzlichen Bruch vermeiden wollte, weil er einen Racheakt des einstigen Schwiegersohnes fürchtete, der ihn preisgeben konnte, wenn er wollte. Ein verächtliches Lächeln kräuselte Wolfgangs stolze Lippen – unnötige Furcht! So niedrig war er nicht! Seine Gedanken flogen zu seiner Braut zurück, wo sie so selten geweilt hatten. Alice würde sicher nicht leiden, wenn die Verlobung gelöst wurde. Sie hatte ohne Widerspruch seine Werbung angenommen, um den Wunsch ihres Vaters zu erfüllen, und würde sich ebenso willenlos dem Machtworte des Vaters beugen, wenn er das eben erst geknüpfte Band zerriß. Von Liebe war so ohnehin nie zwischen ihnen die Rede gewesen, sie verloren gleich wenig an einander.

Wolfgang athmete tief auf. Jetzt war er wieder frei, die Wahl war ihm zurückgegeben; er konnte ihn noch immer gehen, den einsamen stolzen Weg, nur die eigene Kraft und den eigenen Muth zur Seite, aber die Stimme, welche ihn damals wach gerufen aus dem Rausche der Selbstsucht und des Ehrgeizes, würde ihm nie wieder erklingen, das schöne stolze Antlitz ihm niemals zulächeln! Der Preis gehörte jetzt einem anderen, und was er auch in Zukunft noch erringen und erreichen mochte – sein Glück war doch verscherzt, war verloren für immer!


Der Herbst hatte diesmal in der That den Charakter des Spätsommers. Die Tage waren mit wenig Ausnahmen hell und sonnig, die Luft mild und warm und das Gebirge zeigte sich in jener klaren, duftigen Schönheit, die ihm gewöhnlich erst die spätere Jahreszeit zu geben vermag.

Die Bewohner der Nordheimschen Villa hatten den Bergaufenthalt, der anfangs nur für die beiden Sommermonate berechnet war, bis in den Oktober ausgedehnt. In erster Linie war die Rücksicht auf Alices Befinden dabei maßgebend gewesen, und dann hatte man auch dem Wunsche Ernas nachgegeben, die so lange als möglich in ihren geliebten Bergen weilen wollte. Seit sie Waltenbergs Braut war und eine glänzende Partie machte, hatte sich ihre Stellung im Hause bedeutend geändert; Frau von Lasberg erlaubte sich kein Hofmeistern mehr und der Präsident kam den Wünschen seiner Nichte artig entgegen. Waltenberg selbst, der das Stadtleben mit seinen Formen und Fesseln durchaus nicht liebte, war mit der Verlängerung des Aufenthaltes sehr einverstanden, nur die Baronin seufzte über diese endlose „Verbannung“ und tröstete sich mit der Aussicht auf eine um so glänzendere Wintersaison. Jetzt, wo Erna gleichfalls Braut war und Elmhorst jedenfalls für die Wintermonate nach der Residenz kam, wenn seine Thätigkeit als Chefingenieur zu Ende war, mußte das Nordheimsche Haus seinen gesellschaftlichen Ruf rechtfertigen. Es stand zweifellos eine Reihe von Festlichkeiten zu Ehren der beiden Brautpaare in Aussicht, und Frau von Lasberg schwelgte bereits in dem Gedanken an die Hauptrolle, die sie als Vertreterin dieses Hauses dabei spielen würde.

Die beiden jungen Damen saßen in der Veranda an der Seite des Hauses, und das heitere Geplauder, das von dorther klang, kam wirklich aus dem Munde von Alice Nordheim. Es hatte freilich nichts mehr von der gleichgültigen Art, mit der sie sonst zu sprechen pflegte. Die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, grenzte in der That an das Wunderbare; verschwunden waren die krankhafte Blässe, die matten Bewegungen, der müde, theilnahmlose Blick, die Wangen hatten Farbe, die Augen Leben gewonnen. War es die Alpenluft, die hier auf den Höhen so rein und würzig wehte, oder die Behandlung des jungen Arztes, der das Uebel von einer ganz anderen Seite angriff, das junge Mädchen war in den wenigen Monaten aufgeblüht wie eine Blume, die lange im kalten düsteren Schatten gekränkelt und gesiecht hat und die nun plötzlich, wenn man sie in den hellen, warmen Sonnenschein bringt, sich entfaltet in zarter, duftiger Schönheit.

„Mich wundert, daß Dein Bräutigam noch nicht da ist,“ sagte sie soeben. „Er pflegt doch sonst immer um diese Stunde zu kommen.“

„Ernst hat mir geschrieben, daß er heute etwas später eintreffen werde, da er uns eine Ueberraschung aus Heilborn mitbringe,“ entgegnete Erna, die ihr gegenüber saß und zeichnete;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_696.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)