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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Hasenbraten, und es ist spaßhaft anzusehen, wie er im Vorgefühl des Genusses, schnuppernd und sich die Nase beleckend, schwelgt – einem Feinschmecker unter den Menschen ähnlich. Rohes Fleisch an sich frißt er gar nicht, wohl aber wenn es geschabt und mit Pfeffer und Salz zubereitet worden. Im übrigen ist er, obwohl stets mäßig und niemals gleich anderen Hunden gefräßig, doch kein Kostverächter, denn er frißt von allem, was ihm vorgesetzt wird, mit einzelnen Ausnahmen; seltsamerweise verschmäht er durchaus Hühnerfleisch, während er Gänsefleisch und jedes andere, gekocht und gebraten, gern annimmt. Leckereien, gleichviel welche, so Zucker, Kuchen u. a., läßt er unberührt, dagegen hat Pfefferkuchen einen besonderen Reiz für ihn.

Zu seinen Liebhabereien gehört das Fahren auf der Eisenbahn. Wenn die Familie bei einem Spaziergang, namentlich Sonntags, in die Nähe eines Bahnhofs gelangt, so läuft er voller Freuden voran, die Vortreppe hinauf, um schwanzwedelnd zur Fahrt einzuladen. Aber auch eine solche in der Droschke macht ihm Vergnügen; nicht selten ist es vorgekommen, daß er auf der Heimkehr von einem ermüdenden Spaziergange, auf dem er sich tüchtig umhergetummelt, in eine entgegenfahrende Droschke gesprungen ist, in der Meinung, jetzt sei es doch viel besser, nach Hause zu fahren, als mühselig zu gehen. Anstatt hinter der Pferdebahn gleich anderen Hunden herzulaufen, schlüpft er, wenn’s irgend möglich ist, hinein und verbirgt sich still und regungslos unter dem Sitz.

Ein schöner, fast rührender Zug offenbart sich in seinem Schuldbewußtsein. Hat er etwas Uebles begangen, so kommt er unter den demüthigsten Gebärden, schwanzwedelnd und mit förmlich flehendem Blick zu seiner Herrin, und wird er von dieser abgewiesen, so geht er von einem der Hausgenossen zum andern, ja selbst zu zufällig anwesenden fremden Personen, leckt ihnen die Hände und bittet und bettelt so ausdrucksvoll, daß jeder es versteht, um Fürsprache. Den Ausspruch: „Der Box soll abgeschafft werden“, kennt er nach seinem Inhalt genau und ruht dann nicht eher, als bis er endlich die Worte hört: „Na, denn wollen wir nur wieder gut sein“.

Billigerweise fragen die Leser nun wohl, wie die Herrin des Box den Hund so abgerichtet oder, wie man zu sagen pflegt, dressirt habe – und seltsam wird ihnen die Antwort dünken, er sei gar nicht abgerichtet. Ein kluges Thier, wie dieser Hund, lernt im fortwährenden Umgang mit gesitteten Menschen nicht bloß alle Gewohnheiten derselben, ihre Lebensweise und alles, was zum täglichen Leben gehört, ganz von selber kennen, sondern er entwickelt auch in so hohem Maß ein eingehendes Verständniß für Handlungen und Vorkommnisse, daß dasselbe dem Uneingeweihten geradezu wunderbar erscheinen kann, während es doch thatsächlich nur ganz natürlich ist. Freilich ist zuzugeben, daß unser Freund Box immerhin eine Ausnahme bildet und es nicht leicht ist, jeden Hund, und sei derselbe auch reich begabt, auf eine solche hohe Stufe der Klugheit zu bringen.


Eine Bitte für arme Kinder.

Wie wandelt sich’s am Sommermorgen schön
Vom Thale aufwärts zu den Bergeshöh’n!
Was in der Tiefe dunst’ges Nebelgrau
Glänzt auf der Höhe als demant’ner Thau
Das blitzt und funkelt der Sonne Gold,
Als ob die Welt ein Eden werden wollt’!
Ja, selbst das Blatt, das kränkelnd hängt am Stamm,
Umflammet nun ein Lichtschein wundersam.
In Perlenschnüren werden Spinneweben,
Wenn über sie die Sonnenstrahlen schweben,
Und jauchzend künden’s helle Vogelzungen
Wie alles rings von Lebensgluth durchdrungen!
Sieh, auf dem Schulweg Mädel dort und Knaben!
Karg sind für sie des reichen Daseins Gaben,
Nackt ist der Fuß, die Wange hohl und bleich;
Doch schau’, es hat aus seinem Königreich
Der Sommer diese Kleinen auch beschenkt! –
Sieh, wie der Bursch’ den Busch mit Beeren schwenkt,
Wie dort das Mägdlein sich des Apfels freut! –
O, es sind Kinder armer, armer Leut’,
Bei denen mit dem Glanz vom Morgenroth
Beginnen muß der saure Kampf ums Brot,
Bei denen, wenn der Abendstern erblinkt,
Behagen nicht nach harter Arbeit winkt,
Ein dumpfer Schlaf auf Lumpen nur und Stroh –
Der Sommer aber macht auch diese froh
Und läßt in seiner Milde sie vergessen,
Wie schmal für sie das Erbtheil zugemessen! –
Nun aber wird es anders allgemach.
Weiß schimmert oft der Reif auf Baum und Dach.
Kein Lied der Vögel ist mehr zu erlauschen;
In jedem Windhauch dürre Blätter rauschen.
Mit ihrem warmen Strahl die Sonne kargt –
Nur kurze Zeit – und es ist eingesargt
Des Sommers Pracht ringsum in Eis und Schnee. –
O Gott, wie thut alsdann die Armuth weh!
Wie schmerzt dem blassen Kind der nackte Fuß,
Der auf gefror'nen Schollen wandern muß!
Wie hat verlernt das Bürschlein den Gesang,
Das frohen Sinns den Busch mit Beeren schwang!
Im scharfen Nord des Mädels Odem raucht,
Das frierend in die magern Händchen haucht
Und hastig strebt, im Schulhaus anzukommen. –
In warmer Stube wird es aufgenommen,
Und lernen soll es nun wie’s Pflicht und Brauch.
Ach, warum irrt das matte, trübe Aug’
So oft umher, was zittert in der Hand
Der Griffel? – – – – – – – – – – – –
Habt ihr Hunger je gekannt?
Seid ihr durchfroren nach der langen Nacht
Einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
Habt mit dem ersten Blick nur Noth geschaut
Und dann als Imbiß trock’nes Brot gekaut? –
Fürwahr, wenn ihr es einmal nur gesehen,
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen,
Und könnt ihr auch nicht alles Elend wenden,
Ihr gebet gern und gebt mit vollen Händen! –
Wohlan denn! Laßt den Druck der Armuth lindern
Vor allem uns bei armen, schwachen Kindern,
Bei jener Jugend, siech und hungersmatt,
Für die der Lebenslenz nicht Blüthen hat!
Die frosterstarrt und ungesättigt nah’n
Der Schule, ihrer nehmt euch liebend an!
Ein Becher Milch, ein Brot – ihr ahnt es kaum,
Welch Labsal für den jungen Lebensbaum
Solch’ kleine Gabe! Wenn der Winter rauh
In Eiskristallen wandelt schnell den Thau
Wenn er der Sonne Glanz mit Wolken deckt,
Sein Scepter über Wald und Fluren reckt,
Dann bring’ die Menschenliebe Sonnenschein,
Dann soll das Mitleid reich die Gaben weih’n!
Wir wissen’s ja, wie man am Weihnachtsfest
So gern den Aermsten auch sich freuen läßt,
Wie man den Christbaum für den Dürft’gen schmückt,
Wenn alles mit Geschenken sich beglückt!
Gesegnet sei, wer lindert Gram und Noth!
Doch eins vor allem: „Unser täglich’ Brot,
Das gieb uns heute!“ Höher dies Gebet
Noch höher als die schönste Festtagsspende steht,
Und kann man auch nicht helfen allen, allen,
Die auf der Armuth Dornenwegen wallen,
Den hagern Mündlein, die da hungernd beben,
Das Frühbrot laßt uns jenen Kleinen geben!
Ein Becher Milch, ein Brot – und sonst nichts mehr! –
Mit leerem Magen ist das Lernen schwer,
Doch, wenn die Wohlthat bringt das Angebind,
Vergessen ist des Tages Leid geschwind,
Da wächst im Kind, wie wenig ihm auch bliebe,
Das Gottvertrau’n, der Glaube an die Liebe,
Da winkt Genesen für den Schwachen, Kranken!
Die Enkel werden’s einst den Vätern danken,
Wenn ein Geschlecht erstanden, das erkennt,
Wie glühend noch der Liebe Flamme brennt,
Daß Lüge spricht der Mund der Haßpropheten,
die laut verkünden: Ausgesaugt, zertreten
Wird von den Reichen, wer da arm und schwach! –
– – – – – – – – – – –
Du fromme Menschenliebe, werde wach!
Gedenk’ der Kleinen auf der Schülerbank,
Der armen Menschenkinder, schwach und krank! –

  Herbst 1888   Emil Rittershaus.

Um Nachdruck dieses Gedichts in öffentlichen Blättern wird gebeten. Die Redaktion der „Gartenlaube“.

Blätter und Blüthen.

Alarich in Rom. (Mit Illustration S. 672 und 673.) Der Schrecken war in Rom! Es stand – was seit den Zeiten des furchtbaren Afrikaners Hannibal, seit sechshundert Jahren, nicht geschehen war – ein fremder und waffenmächtiger Feind, ein Barbarenheer, vor den Thoren der stolzen Stadt, die noch immer und trotz der Theilung des römischen Reiches in sich die Macht des ganzen Erdkreises umfaßte.

Alarich! Ein Mann, der seit dreizehn Jahren schon vom morgenländischen Konstantinopel bis nach Italien mit sich steigernder Unruhe genannt wurde, der die beiden Kaiser da und dort in Furcht, ihre Reichsminister und ihre Generale in Ungewißheit erhielt, ob er Freund oder Feind sei – Alarich, der junge König der Westgothen aus dem Herzogsgeschlecht der Balten, lagerte vor Rom. Ein zweiter Alexander, war er gleich diesem aus dem Innern der Balkanhalbinsel mit seinen kriegslustigen Scharen ehrgeizig ausgezogen, sich ein Reich zu erobern, und gleich diesem, den die von ihm besiegten Griechen zu ihrem Oberbefehlshaber auf sein Verlangen ernennen mußten, hatte er mit seinem drohenden Gothenschwert dem griechischen Kaiser Arcadius dieselbe Macht- und Ehrenstellung in Ostillyrien abgenöthigt. Nicht befriedigt damit, brach er nach Italien auf, kämpfte 403 mit den altberühmten römischen Legionen bei Pollentia und Verona und errang, wenngleich er in beiden Schlachten geschlagen wurde, doch eine Feldherrnstelle unter dem westlichen Imperator Honorius, welcher ihn sich dadurch zum Freunde zu gewinnen hoffte.

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