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verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Gaststube des stattlichen Postwirthshauses umzusehen. Da hängt ihre Tafelrunde als Bildniß an der Wand, eine Kohlenskizze von F. Prölß, die als Holzschnitt unsern Artikel schmückt. Abends aber, wenn das Tagwerk treulich gethan ist, kommen sie selber zur Thür herein, markige Gestalten mit ausgeprägten Charakterköpfen, von welchen keiner trotz des städtischen Berufs die Bergheimath verleugnet. Da sitzen sie dann beisammen und spielen friedfertig ihren „Rumpel“, der eine ein Instrumentenfabrikant, dessen Zithern und Geigen durch ganz Europa klingen; neben ihm der Lehrer des Orts, dann der Instrumentenverleger, der Arzt und der Kaufmann, der Posthalter und der Thierarzt. Schon manchem Fremdling, den das großartige und prachtvolle Gebirgsthal festgehalten hat, ward das Scheiden schwer, nicht allein von der Natur, sondern auch das Scheiden von den gemüthvollen treuherzigen und lebensfrohen Menschen, die da hausen, aus ihrer unverwüstlichen Bergnatur wie aus ihrer kunstsinnigen Beschäftigung beständige Anregung schöpfend. Die Mittenwalder wissen auch wohl, wem sie die Erhaltung ihres geistigen und materiellen Wohlstandes danken; ein schönes Denkmal für den Gründer der Mittenwalder Geigenindustrie wird demnächst Zeugniß von dieser Dankbarkeit wie vom künstlerischen Sinne der Bevölkerung ablegen. In diesem Sommer befand sich dasselbe, aus dem Atelier von F. v. Miller stammend, in der Münchener internationalen Kunstausstellung.

Der Markt selber ist äußerst malerisch. Die alten Häuser, größtentheils mit Fresken reich bemalt, zeugen noch von der ehemaligen Blüthe des Ortes mit ihren zierlichen Erkern, Vorsprüngen und Eisenornamenten. Und über die schiefen Dächer schauen dräuend und gewaltig die Felskolosse des Karwendelgebirges herein. Das baut sich, vier Ketten hinter einander, als ungeheurer Grenzwall auf zwischen Bayern und Tirol. Und zwischen diesen Ketten ziehen die unbeschreiblich einsamen Thäler hinan, aus welchen die Quellbäche der Isar hervorbrechen. Wer Mittenwald am frühen Morgen verläßt, um eines dieser Thäler hinaufzuwandern und eins der wilden Joche zu überklettern, die nach Tirol hinüberleiten, dem mag es leicht begegnen, daß er bis zum Abendroth keine menschliche Gestalt erblickt und keinen Laut vernimmt, als etwa in weiter Ferne den scharfen Knall eines Gewehrs. Die Felsenhäupter des Oedkar und Birkkar schauen in schweigender Größe auf ihn herab; um ihre Schultern hangen selbst im Hochsommer Schneefelder, und grauenhafte Schutthalden ziehen sich aus ihrem zerklüfteten Geschröff bis zur Thalsohle herunter. Legt sich aber der Wanderer am Ende eines dieser Hochthäler in den Schatten der letzten Bäume, wenn der Bergwind durch dieselben rauscht, dann kann er wohl jenen singenden Ton vernehmen, der den Bäumen dieser Thäler eigen ist. Und wenn man einst diesen Baum niederwerfen und zersägen wird, um Geigen aus ihm zu schnitzen, so wird sein Holz immer feiner und klarer den Ton der Saiten mitempfinden und nachklingen lassen, als spürte das Instrument ein unvergängliches Heimweh nach der Bergeinsamkeit, die seine Wiege war.

Max Haushofer.     




Der Briefträger in der Dichtung.

Der Postillon und sein fernhin tönendes Horn sind in zahllosen Dichtungen gepriesen worden, und die gefeiertsten Lieblinge der Musen haben es nicht verschmäht, beide zum Gegenstande stimmungsvoller Verse zu machen. Ja, der „Urvater der Harmonie“, der große Meister Johann Sebastian Bach, hat das Signal des Posthornes sogar für die Musik verwerthet, indem er die großartige Posthornfuge, Fuga all’ imitazione di Posta, schuf. Aber auch der Ueberbringer der Briefe – der Schiffe des Gedankens auf dem Ozeane der Entfernungen, wie Stephan sie geistreich bezeichnet – ist von unseren deutschen Sängern gebührend gewürdigt worden. Besonders waren es seine Unermüdlichkeit, sein Pflichteifer, seine unwandelbare Treue in der Ausübung seines mühevollen Berufes, die nicht selten zum Vorwurfe für Dichtungen gewählt worden sind. Und ist dies nicht wirklich ein Vorwurf, der sich vor vielen anderen zu dichterischer Behandlung eignet? Wer jemals die süßen Empfindungen erwiderter Liebe im Herzen getragen hat, der weiß es, mit welcher Sehnsucht der Bote Stephans oft erwartet wird. Ist er doch auf dem Lande und in den kleinen Städten oft genug der Vertraute der Liebenden, der ihre Freude theilt, wenn er die Botschaft des fernen Geliebten überbringt. Und wer die Seligkeit des alten Mütterleins gesehen und mitempfunden hat, welcher der moderne Merkur die Grüße des in fremden Landen weilenden Sohnes bringt, der wird nicht sagen dürfen, daß der Beruf des Postboten des Hauches der Poesie entbehrt. Seht ihn euch an, den wackeren Landbriefträger, wie er in Hitze und Kälte, in Sturm und Regen, in Schnee und Eis munter und unverdrossen dahinwandert und, wenn er an seinem Bestimmungsorte angelangt ist, für jeden ein freundliches Wort hat und von jedem als willkommener Gast froh begrüßt wird!

Es sei uns gestattet, in möglichster Kürze dafür den Nachweis zu führen, daß der Postbote zu Fuß, dieser würdige Vertreter des vaterländischen pflichttreuen Beamtenthums, von den Sängern des deutschen Dichterwaldes ebenso gut verherrlicht worden ist wie der hoch zu Rosse dahertrabende oder stolz zu Wagen einherfahrende Postillon, mit welchem sich der Artikel in Nr. 24, Jahrg. 1885 der „Gartenlaube“ so warm beschäftigte.

Die erste poetische Schilderung von dem Leben und Treiben des Postfußboten, die mir bei meiner flüchtigen Nachforschung aufstößt, ist ein Nürnberger fliegendes Blatt aus dem 16. Jahrhundert, das gleich mit den Worten beginnt:

„Ich bin die Post zu Fuß …“

Dieses von einem Bilde, das den Postboten mit seinem Stabe und seinem Hunde zeigt, begleitete Gedicht ist betitelt „Der Neue Allamodische Postpot“ und zeigt uns den Vermittler des brieflichen Verkehres dichterisch behandelt, wenn auch von einer nicht gerade sehr rühmenswerthen Seite. Der Merkur des 16. Jahrhunderts denkt nicht viel an sein Amt und seine Pflicht, sondern bringt alles, was ihm auf seinem Wege aufstößt, mit sinnlichen Genüssen in Verbindung. Er sagt von sich selbst:

„Ich bin die Post zu Fuß. Ich trage dieß und daß;
Denck an den kühlen Wein, so bald ich werde naß.
Geh’ ich durch einen Thal und höre Vögel singen,
So denck ich zu dem Tisch, da die Schalmeyen klingen.
Ich gehe durch den Wald und mancher Dörner Strauß
Und traure, daß noch weit ist zu deß Wirthes hauß.“

Wie anziehend ist dagegen das Bild, welches uns Fritz Reuter von dem Postboten des 19. Jahrhunderts in seinem prächtigen, tiefempfundenen Gedichte „Grußmutting, hei is dod!“ entwirft. Der Briefträger von heutzutage denkt nicht zuerst an den gedeckten Tisch, wo die Schalmeien klingen, oder an den „kühlen Wein“, sondern vor allein an seine Pflicht, und das Vergnügen, den Leuten „unverschnauft zwölf Dutzent Lügen“ zu sagen, wie es weiter in der angeführten Dichtung heißt, würde ihm der Generalgewaltige des Postwesens gar bald verwehren. Ich kenne keine schönere Schilderung von der Unermüdlichkeit, von der Pflichttreue und der Gewissenhaftigkeit des deutschen Postboten, als die Verse des mecklenburgischen Humoristen, welche diesen Beamten geradeswegs als den Sendling des Schicksals selbst darstellen. Doch der Leser höre und urtheile selber:

„As dat Schicksal ut Nacht, su kümmt hei heran, as dat Schicksal ut düstere Firn,
Aewer Feller un Haiden, ümmer tau, ümmer tau; em lücht kein Man[1] un kein Stirn.
Dor is von Wannern[2] in Lust keine Red’, dor is de Befehl, dat hei möt,
So girn hei ok woll mit sin Fru un sin Kind an den Aben[3], den warmen, mal set.
Dat helpt em nich: hei möt un hei möt, ümmer tan dörch Storm un dörch Regen;
Hei is de Bad[4] ut de düstere Nacht, hei kümmt von Schicksals wegen;
In de ledderne Tasch, dor dröggt hei de Kund, dor dröggt hei Freuden und Leiden,
Dor dröggt hei Geburt, dor dröggt hei dat Graww un de letzten Grüß von de beiden.
Hei drängt sick heran an de Hütt un dat Sloß, sin Schülligkeit is ahn Erbarmen;
Wat dat lacht oder weint, em is dat egal, kloppt an bi Riken un Armen.“


  1. Mond.
  2. Wandern.
  3. Ofen.
  4. Bote.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_683.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)