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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Die Fürstinnen aus den schwer betroffenen Häusern der ernestinischen Sachsen legten die langen Leidschleier ab, die sie um drei gebliebene Herzöge von Weimar und Altenburg getragen hatten. Die noch lebenden kampflustigen Herren kehrten in ihre Erblande zurück und gönnten sich eine kurze Waffenruhe.

Dazu war der Lenz gekommen, in welchem allezeit die Lebenslust neu erwacht.

Ein lauer Tag des Wonnemondes ging zur Rüste. Die sinkende Sonne blitzte noch einmal in den Fenstern der Dornburg, welche auf schroffem Felsen über dem Saalthal sich erhebt. Dann verblaßten gemeinsam die goldenen Linien an den Giebeln und überdachten Schornsteinen; ein rosiger Schein überhauchte den Abendhimmel. In dem Städtlein Dornburg, das hinter dem Schlosse seine spitzen Ziegeldächer in altersgrauen Mauern zusammendrängte, wurde Feierabend geläutet.

Da schallte Hufschlag und Waffengeklirr durch die krummen Gassen. Aber die Bürger im Rathskeller blieben geruhig beim Broihan sitzen. Die Reiter waren trotz Krebs und Sturmhaube keine Kriegsleute. In den unruhigen Zeitläufen, wo Ueberfälle von Waldfischern und Strauchhechtlein als alltägliches Abenteuer galten, bewehrte sich jeglicher Reisende bis an die Zähne, ging der Friedfertigste mit einem Morgenstern statt des Wanderstäbleins über Feld. Um so eiliger hatten es die Frauen, die Fenster aufzuschieben und vor die Thüren zu laufen.

War das ein schönes Mannsbild, das den Reitertrupp führte! Biegsam gleich einer Weidenruthe wiegte der junge Herr sich im Sattel. Er trug den künstlich gearbeiteten Harnisch wie ein gewohntes Gewandstück; aber grüne Sammetpuffen bauschten darunter hervor, ein spinnwebfeiner Spitzenkragen legte sich darüber. An den hohen Stiefeln gleißten silberne Radsporen, und der Federhut war auf lange, wohl gekräuselte Locken gedrückt. Nein, das schmale bräunliche Gesicht, das sich ihnen mit honigsüßem Lächeln zuwandte, als sie in der singenden Mundart der Gegend die Tageszeit boten, gehörte keinem rauhen Kriegsknecht an; deren Fäuste trugen nicht so feine Stulphandschuhe, winkten nimmer solch holden Gruß. Schier behext sahen sie dem Reitersmann nach.

Der strich sein spitzes braunes Bärtchen empor und schaute mit den blitzenden Augen triumphirend noch einmal sich um, ehe er zu dem zinnigen Stadtthor hinausritt, das auf den Burgweg führte.

Par Dieu! Er war ja ein „alamoder“ Monsieur! Solch einem hing allerorten das Frauenzimmer mit Passion an. Er hatte gelernt, wie man selbiges ködert, da er vor einem halben Jahrzehnt seinem Herzog Wilhelm von Weimar unter die Fahne Christians von Braunschweig gefolgt war, der seine französische Sitte liebte. Als ein ungeleckter deutscher Bär zog er dazumal aus im eisernen Harnisch, mit der thörichten Fürstellung behaftet, daß ein Mann sein ganzes warmes Herz einsetzen müsse, um eine holde Frau zu gewinnen. Da er zurückkehrte, verstand er, feines Spitzenwerk dem Eisen zu vereinigen, zu parliren und den galanten Schäfer zu spielen. Und vor allem war ihm die Erkenntniß aufgegangen, daß in der Liebe gerade derjenige siegt, der den kühlsten Kopf behält. Nun! dessen vermochte er sich wohl zu rühmen!

Der zweite seiner gnädigen Herren, Herzog Albrecht, war zwar ein erklärter Feind des Alamodewesens und blickte ihn schier verächtlich an, wenn er dem Frauenzimmer des fürstlichen Hofstaates mit zärtlichen Seufzern und schmachtenden Blicken huldigte. Indeß er war sich bewußt, daß man bei ihm durch die Finger sah, dieweil er einen großen Stein im Brett hatte bei seiner Herrschaft. Und wer konnte sagen, was die Zukunft brachte?

Sein kecker Blick richtete sich auf die Dornburg, die vor ihm dunkel in den erblassenden Abendhimmel hineinragte.

Das schwarz-gelbe Banner auf dem Thurm wallte ihm entgegen, als biete es den schwarzen und gelben Federn auf seinem Hut vertrauten Gruß.

War das ein günstiges Vorzeichen?

Jetzt hielt er am Burgthor. Die Wachen sperrten mit gekreuzten Hellebarden den Weg.

Aus der Thorstube rief ihm der Wachtmeister zu: „Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?“

Herrisch entgegnete der Reiter:

„Achatius von Krombsdorff, Hofmeister Ihrer fürstlichen Gnaden, der Herzöge von Weimar, kommt in einer Sendung seiner gnädigen Herren zu Ihrer fürstlichen Gnaden, der Frau Herzogin Witwe Anna Maria von Altenburg.“

„Passirt!“ befahl der Wachtmeister respektvoll. Die Hellebardiere schulterten die Waffen. Der Hufschlag der Pferde dröhnte durch das Thorgewölbe.

In dem von hohen Gebäuden umschlossenen Hofe war es schon Abend geworden. Ueberall schimmerte Licht und zeigte neugierig zusammenlaufendes Ingesinde. Unter einer aufgesteckten Fackel drängten sich Stallbuben und junge Dirnen, die aus dem Wirthschaftshofe herbeikamen, der Schein des Herdfeuers beleuchtete die Küchenmägde und den dicken Koch, und in der erhellten Kellerluke wachte das rothe Gesicht des Kellermeisters auf.

Sattelknechte sprangen herzu, um das Pferd des Hofmeisters in Empfang zu nehmen.

„Treffe ich den Herrn Schloßhauptmann von Tautenburg zu Haus an?“ fragte er, sich abschwingend.

Ein Lakai in schwarzem, mit gelben Borden besetztem Wams trat vor.

„Der Herr Schloßhauptmann ist noch nicht aus den Weinbergen zurück, allwo heute die Reben angebunden werden.“

„Aber die Frau und die Jungfrau Katharine sind hoffentlich daheim?“ erkundigte der Hofmeister sich weiter.

Ehe der Lakai antworten konnte, tönte eine kräftige Frauenstimme aus der Tiefe des Kellers:

„Was brennt in der fürstlichen Küche an? Ich rieche es bis hierher. Meister Koch, gebt dem Bratenwender eine Maultasche, daß er seinen Spieß ordentlich drehe. Und Ihr, Kellermeister, habt Acht, damit das Faß mit dem guten Kunitzer Wein sicher herunter geschrotet wird. Das weiß Gott: die Frau muß selber sein die Magd, will sie im Hause schaffen Rath.“

Die Stimme aus der Tiefe wirkte Wunder. Jeglicher Dienstbote kehrte zu seinem Geschäft zurück. Der Lakai aber sagte:

„Ihr hört, daß die gestrenge Frau zu Haus ist.“

Achatius hatte den Mund beim Namen des Weines zusammen gezogen. Jetzt lachte er, kniff die rothbackigste Küchenmagd in die Wangen und wandte sich dem Wohngelaß des Schloßhauptmanns zu.

An der rundbogigen Pforte blieb er lauschend stehen. Vom Residenzhause her schwirrten Klänge eines musikalischen Instrumentes.

„Die junge Herzogin Dorothea geruht, den französischen Tanz Mimi auf Dero Klavicymbel zu reißen,“ flüsterte er lächelnd vor sich hin. „Ob das fürstliche Fräulein wohl auch vermöchte, einen hochgebietenden Herrn nach dieser Weise tanzen zu lassen?“

In dem lustigen Takt des Mimi stieg er die Wendeltreppe empor und klinkte die braune Stubenthür auf.

Eine rosig gleißende kupferne Lampe hing von dem Deckengebälk herab und beleuchtete das niedrige holzgetäfelte Gemach.

Vor einer geöffneten Truhe stand Käthchen, das siebzehnjährige Töchterlein des Schloßhauptmanns, mit einem Körbchen voll duftender Kräuter.

„Vetter Achatius!“ schrie sie auf, und die silberglänzenden Blätter der Spika fielen auf den Estrichboden, statt zwischen die aufgeschichteten Leinenschätze. „Ach, der Schreck! Mir zittern alle Glieder. Woher kommt Ihr?“

Wie ein einziehender Herrscher schritt Achatius über das gestreute Grün klirrend zu ihr hin.

„Unter des kleinen Gottes Cupido Geleit geradeswegs aus Weimar. Aber beim Einspruch eines freundvetterlichen Gastes gebraucht eine holde Jungfrau ihre Purpurlippen zu etwas anderem, als zu einem Zetergeschrei. Mit Eurer Permission, holdes Bäschen!“

Er zog sie an seine Brust und hauchte mit gespitzten Lippen einen zarten Kuß auf ihren Mund. Dann entließ er sie sanft aus seinen Armen.

Verwirrt, dunkelroth zupfte sie den steif gestärkten Halskragen wieder glatt.

„Nun habe ich gerade heute den schlechten karteknen Rock angezogen,“ klagte sie. „Ich dachte, nur der Junker Utz von Hagenest käme zum Abendbrot; da wäre er lange gut genug gewesen.“

„Ihr seid auch so schön,“ tröstete Achatius. „Wie ein Nymphlein der Feldflur erscheint Ihr mir. Hell gleich reifen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_670.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)