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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bekommt jeder Arbeiter gewöhnlich 50 Kilo Korkholz zur Verarbeitung; davon muß er wenigstens 20 Kilo große Flaschenkorke oder 15 Kilo kleinere Medizinkorke liefern, der Rest wird als Abfall gerechnet. Das dünne Holz zu Medizinkorken hat verhältnißmäßig viel Rinde und liefert deshalb auch entsprechend mehr Abfall. Der Arbeiter schneidet die ihm übergebenen Korkholzplanken in Streifen, die der Länge der zu arbeitenden Korke entsprechen, darauf zieht er die obere Rinde ab, schneidet die Streifen in Würfel und aus diesen den Kork.

Hierzu bedient er sich zweier scharfer Messer mit breiter Klinge, wovon sich das eine zum Streifen- und Würfelschneiden, das andere zum Rundschneiden eignet; diese bilden sein einziges Werkzeug. Die Kunst und zugleich die Vortheile des Arbeiters bestehen nun darin, das Holz richtig zu verarbeiten und auszunützen, das heißt, die Streifen je nach Erforderniß in breitere oder schmälere Würfel zu schneiden, wurmstichige oder werthlose Stellen ganz zu entfernen, aus jedem Würfel einen möglichst großen und dabei guten, nicht zu verbessernden Kork zu schneiden und selbst das kleinste Holzstückchen nicht unbeachtet zu lassen, so daß verhältnismäßig wenig Abfall zurückbleibt.

Ein geschickter Arbeiter kann in einem Tage aus den ihm übergebenen Korkplanken gegen 1500 Bouteillen- oder 2000 Medizinpfropfen schneiden. Schneidet er mittelmäßig, so kann er es nur auf etwa 1200 Korke von der ersteren und 1500 von der letzteren Gattung bringen. Die Arbeit ist zugleich aber derartig, daß außer dem Hausvater und den älteren Söhnen auch die Frau und die schon halberwachsenen Kinder sich an ihr betheiligen können. Ihnen fällt namentlich die weitere Verarbeitung der kleineren Würfel zu. Wir haben in den armen Rhöndörfern des Eisenacher Oberlandes, wohin von Delmenhorst aus die Korkindustrie seit ein paar Jahrzehnten verpflanzt worden ist, oft Gelegenheit gehabt, dieses friedliche Familienidyll zu beobachten. Die Männer haben um den rechten Oberschenkel ein Stück Leder geschnallt, an dem sie die beim Schneiden in die weiche poröse Korkmasse leicht stumpf werdenden Messer von Zeit zu Zeit abstreichen. Auf der Brust tragen alle ein größeres viereckiges Stück Korkholz, das durch ein um den Hals geschlungenes Band dort festgehalten wird. Es dient ihnen als Unterlage beim Abziehen der Korkrinde. Vor jedem der Schneidenden steht ein Korb aus Weidengeflecht, der die fertigen Korke aufnimmt. Auf dem Tische steht in einer irdenen gemeinsamen Schüssel das Rhöner Nationalgericht, saure Milch mit Kartoffeln, während eine Lampe mit „Stinköl“, wie der scherzhafte Rhöner Ausdruck für Petroleum ist, das lebende Bild ist ein Rembrandtsches Halbdunkel taucht. Ab und zu erhält die Scene noch ein besonderes Leben durch den Gesang eines der Volkslieder mit ihren meist schwermüthigen Weisen, bei welchen die Frau die erste und die Männer die zweite Stimme halten.

Man hat zwar öfter schon Versuche gemacht, die Maschinenarbeit auch in der Korkindustrie einzuführen, ist aber immer wieder zum Theil davon abgekommen, indem man die Erfahrung machte, daß doch die menschliche Hand hier weit besser und ausgiebiger arbeitet als die Maschine. Es liegt dies namentlich an der ungleichwerthigen Beschaffenheit des Materials. Nur für die Massenfabrikation der gewöhnlichen Flaschenkorke bedient man sich in neuester Zeit der Korkschneidemaschinen, welche in zehnstündiger Arbeit über 20 000 Stück Pfropfen zu liefern vermögen.

In der Fabrik werden die Korke durch verstellbare Siebe gesiebt, um die gleichmäßigen Größen herauszubringen. Dann werden sie noch ein- bis dreimal sortirt, um die verschiedenen Qualitäten zu trennen. Dies Geschäft besorgen besonders angestellte Sortirer, denen ein Obersortirer vorgestellt ist. Sie und die Korkholzsortirer bilden das eigentlich ständigtechnische Fabrikpersonal. Der Obersortirer lernt die Arbeiter, namentlich das junge Personal, an. Die Größe der Korke ist eine so verschiedene, daß sie herabgeht bis zu einem Größenmaße von sechs Millimetern. Wir fanden in der Delmenhorster Fabrik in einem kleinen, nur zwei Kilo wiegenden Sacke nicht weniger als 30 000 Stück solch kleiner Korke beisammen, welche 54 Mark kosteten und zu homöopathischen Zwecken dienten. Auch die Qualität und dementsprechend die Preislage ist natürlich eine sehr verschiedene.

Gute Korke schließen luftdicht, schlechte sind durch kein Mittel gut zu machen. Versuche, die man hier und da wohl machte, die Qualitäten durch Anwendung von Stearin, Wachs und dergleichen Dichtungsmitteln künstlich zu verbessern, erwiesen sich als ganz nutzlos. Eine Fälschung ist auf diesem Gebiete nicht möglich.

Die Champagnerkorke, die erst beim Binden auf die Flasche ihre eigenthümliche Form erhalten, werden fast ausschließlich in Spanien und Frankreich angefertigt. In Frankreich werden sie in neuerer Zeit theilweise aus mehreren ausgesucht schönen, dünneren Korkholzstücken zusammengesetzt. Diese Stücke werden durch ein geeignetes Bindemittel auf einander geleimt und dann wie gewöhnliche Korke geschnitten. Es geschieht dies deshalb, weil das dicke, zu hochfeinen Champagnerkorken geeignete Holz sehr selten und deshalb sehr hoch im Preise ist. So stellt sich der Fabrikpreis für vorzügliche Champagnerkorke schon auf 150 Mark fürs Tausend.

Der Abfall beim Korkschneiden wurde früher für wertlos geachtet und dem Arbeiter überlassen, der damit gewöhnlich seinen Ofen heizte. Er fand höchstens eine Verwendung als Polstermaterial oder wurde gemahlen als Füllmittel bei der Verpackung von Weintrauben und anderen Früchten benutzt. Später formte man wohl aus der grob gemahlenen Masse eine Art Luftbacksteine, welche den Vortheil boten, daß die aus ihnen errichteten Wände den Schall nicht durchließen und als schlechte Wärmeleiter einen gewissen Schutz gegen Kälte und Wärme gewährten. Man benutzt diese Korksteine aus letzterem Grunde hauptsächlich für die Innenwände von Eiskellern und wegen ihrer Leichtigkeit zur Herstellung von Scharwänden, die ein Fundament nicht bedingen. Die Hauptfabrikation dieser Korksteine besorgt eine chemische Fabrik in Ludwigshafen am Rhein.

Erst in neuerer Zeit ist der Korkabfall zu einem nicht unwichtigen Werthobjekt geworden, der zugleich einen ganz neuen Industrieartikel ins Leben gerufen hat. Es ist dies die Linoleum- oder Korkteppichfabrikation. Das Linoleum besteht aus fein gemahlenem Korkabfall, der mit oxydirtem Leinöl zusammen vermischt und auf Juteleinwand aufgetragen wird. Ist der Hauptsache dient es als Fußbodenbekleidung und zeichnet sich gegen ähnliche derartige Stoffe dadurch aus, daß es eine große Widerstandsfähigkeit gegen Feuchtigkeit, sowie gegen Hitze und Kälte bietet, leicht gereinigt werden kann und das Geräusch des Gehens stark vermindert. Das neue Fabrikat, das jedenfalls noch eine große Zukunft hat und das durch aufgedruckte bunte Muster auch dem ästhetischen Geschmack Rechnung trägt, wurde anfangs nur in England fabrizirt. Inzwischen sind in Delmenhorst, Köpenick, Rixdorf etc. größere derartige Fabriken entstanden, die einen bedeutenden Absatz erzielen.

Neuerdings findet der Korkabfall ferner Verwerthung zur Herstellung von Korkpackpapier, das sich zur Verpackung von Glas, Porzellan und anderen zerbrechlichen Gegenständen sowie zur Verpackung gefüllter Gefäße mit werthvollem Inhalt gut eignen soll. Auch wird der Kork, seitdem für bestimmte Waarengattungen die Werthzölle durch Gewichtszölle ersetzt sind, seiner Leichtigkeit wegen zum Füllen der Puppenleiber benutzt, und wir sahen in der großen Puppenfabrik von Fischer, Naumann und Comp. in Ilmenau eine eigene Mühle, welche Korkabfälle zu grobkörnigem Mehle centnerweis vermahlt.

Die bereits gebrauchten Korke können dagegen eine fabrikmäßige Verwendung nicht mehr finden, weil sie meist von der Flüssigkeit, zu deren Verschluß sie dienten, durchdrungen sind.

Außer zu Pfropfen wird das Korkholz noch zu einigen anderen Artikeln verarbeitet. So namentlich zu Korksohlen, zu Schwimmern für Fischnetze, zu Schwimm- und Rettungsgürteln und -Kleidern, zu Ankerbojen, als Hutfutter und zu verschiedenen anderen technischen Zwecken.

Bekanntlich hat sich auch die bildende Kunst in höherem Sinne des Korkmaterials bemächtigt und besonders in den plastischen Nachbildungen von Baudenkmälern mancherlei geleistet. Der Erfinder dieser „Phelloplastik“ genannten Kunst war der Architekt August Rose in Rom, der Ende vorigen Jahrhunderts lebte.

Mit dem stetig wachsenden Bedarf hat sich auch die Korkindustrie mehr und mehr ausgebreitet und sie ist bei uns längst nicht mehr auf ihren ursprünglichen Herd beschränkt. Fürsorgende Regierungen haben sie namentlich in arme, von großen Verkehrswegen und Arbeitsmärkten entfernte Gegenden eingeführt, und für diese wurden sie oft eine Quelle von Segen. So finden wir sie außer in dem Oldenburgischen seit etwa 25 Jahren, wie schon

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