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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Wie ich Dir sage, Wolf, ich weiß nicht, was ich von der Sache denken soll. Ich habe mich weder um die Stellung bemüht, noch überhaupt davon gewußt, und jetzt wird sie mir angeboten, mir, der ich hier an der andern Grenze des Reiches in dem abgelegenen Oberstein sitze – da lies selbst!“

Mit diesen Worten reichte Benno Reinsfeld seinem Freunde ein Schreiben hin, das gestern eingetroffen war. Sie befanden sich in der Wohnung des Doktors, und Elmhorst schien gleichfalls überrascht zu sein, denn er las den Brief aufmerksam durch.

„In der That sehr günstige Bedingungen!“ sagte er. „Neuenfeld ist eines unserer größten Eisenwerke, ich kenne es wenigstens dem Namen nach; die Bevölkerung bildet eine ganze Kolonie für sich und Du kannst dort bei den zahlreichen Beamten auf die angenehmsten Beziehungen rechnen; überdies ist die Provinzialhauptstadt in unmittelbarer Nähe und das Gehalt beträgt fünf- bis sechsmal soviel wie Dein bisheriges Einkommen. Du mußt annehmen, das versteht sich von selbst, Du hast ja schon einmal einen Glücksfall von der Hand gewiesen.“

„Aber damals bemühte ich mich eingehend um den Posten,“ wandte Benno ein. „Ich sandte eine meiner wissenschaftlichen Arbeiten, die mir denn auch den Vorzug sicherte; trotzdem ließ man mich fallen, als ich den Termin nicht einhalten konnte. In Neuenfeld habe ich ober gar keine Beziehungen, kenne überhaupt keinen Menschen, und bei solchen Bedingungen würden sich die Bewerber dutzendweise melden. Woher weiß das Direktorium denn überhaupt, daß in Oberstein ein Doktor Reinsfeld existirt?“

Wolfgang blickte nachdenkend vor sich hin und überflog noch einmal den Brief, den er in der Hand hielt.

„Ich glaube, ich kann Dir das Räthsel lösen,“ entgegnete er endlich. „Mein Schwiegervater hat die Hand dabei im Spiele.“

„Der Präsident? Unmöglich!“

„Im Gegenteil, sehr wahrscheinlich! Er ist mit bedeutenden Summen an den Werken betheiligt und hat den jetzigen Direktor in das Amt gebracht, sein Einfluß reicht ja überall hin.“

„Nun, dann wird er diesen Einfluß sicher nicht für mich geltend machen. Du warst ja Zeuge davon, wie eisig er mich empfing bei dem ersten und einzigen Male, wo ich die Ehre hatte, ihn zu sprechen.“

„Ich glaube auch nicht, daß es Wohlwollen ist, was ihn veranlaßt, in solcher Weise einzugreifen sondern – Benno, weißt Du wirklich gar nichts Näheres über jenen Bruch zwischen Deinem Vater und Nordheim? Erinnerst Du Dich nicht irgend einer Aeußerung, einer Andeutung wenigstens?“

Benno schien nachzusinnen, schüttelte dann aber verneinend den Kopf.

„Nein, Wolf; als Kind achtet man ja nicht auf solche Dinge. Ich weiß nur, daß, wenn ich später einmal nach dem Onkel Nordheim fragte, mein Vater mir mit ganz ungewohnter Härte verbot, von ihm zu sprechen. Bald darauf starben meine Eltern, und in den harten Zeiten, die nun für mich begannen, hatte ich anderes zu thun, als alten Kindheitserinnerungen nachzuhängen – aber warum fragst Du?“

„Weil ich jetzt überzeugt bin, daß damals etwas sehr Ernstes vorgefallen ist, dessen Stachel sich nach zwanzig Jahren noch nicht abgestumpft hat. Ich habe deswegen die erste Differenz mit meinem Schwiegervater gehabt, der seinen Groll auch auf Dich, den ganz Unbetheiligten, überträgt.“

„Möglich; aber um so weniger wird er sich Mühe geben, mir eine vorteilhafte Stellung zu verschaffen.“

„Wenn es kein anderes Mittel giebt, Dich aus seiner Nähe zu entfernen, wird er das allerdings thun und ich fürchte, die Sache verhält sich in der That so. Er wollte ja nicht einmal Deine ärztlichen Besuche bei Alice dulden. Ich habe Dir nicht davon gesprochen, weil es Dich mit Recht verletzt hätte, und er gab auch scheinbar nach; in diesem Anerbieten aber von ganz fremder Seite, das Dich in einer voraussichtlich dauernden Stellung an einen Ort fesseln will, der von hier ebenso weit entfernt ist wie von der Hauptstadt, glaube ich entschieden seine Hand zu erkennen.“

„Das wäre ja eine förmliche Intrigue,“ warf Reinsfeld ungläubig ein. „Traust Du das dem Präsidenten wirklich zu?“

„Ja,“ sagte Elmhorst kalt. „Aber wie die Sache auch zusammenhängen mag, eine so vortheilhafte Stellung wird Dir nicht leicht zum zweiten Male angetragen, also besinne Dich nicht lange und sage zu.“

„Wenn sie mir aus solchen Beweggründen geboten wird?“

„Das ist vorläufig nur eine Vermuthung, und selbst wenn sie wahr sein sollte, so weiß man in Neuenfeld jedenfalls nichts von dem Zusammenhang, sondern giebt nur der Fürsprache eines einflußreichen Mannes nach. Vielleicht sieht er auch ein, wie ungerecht es ist, den alten Groll auf Dich auszudehnen, und will Dir, dessen Nähe ihm nun einmal peinlich ist, eine Art von Genugthuung damit geben.“

Wolfgang wußte sehr gut, daß die letzte Annahme ausgeschlossen war; das Gespräch mit dem Präsidenten hatte ihm gezeigt, daß von einem Akte der Gerechtigkeit oder Großmuth hier nicht die Rede sein konnte, aber er wollte seinem Freunde, dessen peinliches Zartgefühl er kannte, die Annahme jener Stellung ohne jedes Bedenken ermöglichen. Für Reinsfeld war es unter allen Umständen ein Glück, aus den beschränkten und armseligen Verhältnissen seiner jetzigen Praxis fortzukommen, gleichviel wer ihm dazu verhalf.

„Wir sprechen noch heute Abend darüber, wenn Du zu mir kommst,“ fuhr Elmhorst fort, indem er seinen Hut vom Tische nahm. „Jetzt muß ich fort, mein Wagen wartet draußen, ich fahre nach der unteren Bahnstrecke.“

„Wolf,“ sagte Benno mit einem besorgten, forschenden Blicke in das Gesicht seines Freundes. „Hast Du die Nacht geschlafen?“

„Nein, ich hatte zu arbeiten Das kommt bisweilen vor.“

„Bisweilen! Aber bei Dir ist es jetzt zur Regel geworden; ich glaube, Du schläfst gar nicht mehr?“

„Wenigstens nicht viel, aber das läßt sich nicht ändern. Die sämmtlichen Bauten müssen bis zum Eintritt des Winters vollendet sein. Da häuft sich natürlich die Arbeit, und ich habe als Chefingenieur für alles einzustehen.“

„Du überarbeitest Dich aber dabei in einer geradezu gefährlichen Weise. Ein anderer könnte das überhaupt nicht leisten, was Du leistest, und Du kannst es auf die Dauer auch nicht. Wie oft habe ich Dir schon vorgestellt –“

„Das alte Lied!“ unterbrach ihn Wolfgang ungeduldig. „Laß mich in Ruhe, Benno, es geht nicht anders.“

Der Doktor wußte leider aus Erfahrung, wie wenig seine Ermahnungen in diesem Punkte zu nützen pflegten, aber er schüttelte sorgenvoll den Kopf, als er seinen Gast hinausbegleitete. Er war ja auch unermüdlich thätig in seinem Berufe, aber er wußte freilich nichts von jener Fieberstimmung, die in der Arbeit nur Betäubung und Vergessenheit sucht, gleichviel um welchen Preis.

In dem Hausflur trafen sie mit Veit Gronau zusammen, der mit Waltenberg von Heilborn herübergekommen war und nun die Gelegenheit benutzte, um in Oberstein einen Besuch abzustatten. Die Herren begrüßten sich flüchtig, dann bestieg Elmhorst seinen Wagen und fuhr davon, während die andern beiden in das Haus zurückkehrten.

„Der Herr Chefingenieur war ja sehr eilig,“ sagte Gronau, während er sich in dem lederüberzogenen Armstuhl niederließ, dem das vierte Bein glücklich wieder angeleimt war. „Er nahm sich kaum Zeit, zu grüßen, und wie ein glücklicher Bräutigam sieht er auch nicht gerade aus. Immer blaß und finster wie der steinerne Gast! Und er hätte doch wahrhaftig alle Ursache, mit seinem Schicksal zufrieden zu sein!“

„Ja, Wolf macht mir ernstliche Sorge,“ erklärte Benno. „Er ist gar nicht mehr wiederzuerkennen, und ich fürchte, die so ersehnte erste Stellung wird ihm noch verhängnißvoll werden. Diese fieberhafte Thätigkeit, in die er sich nun schon seit Wochen gestürzt hat, kann selbst seine eiserne Natur nicht aushalten, das geht vom Morgen bis zum Abend, und auch noch die Nacht hindurch. Er ist überall auf der ganzen Bahnstrecke und gönnt sich nie und nirgends Ruhe, ich warne und bitte vergebens.“

„Ja, er ist überall, nur nicht bei seiner Braut!“ bemerkte Gronau trocken „Das Fräulein scheint freilich sehr anspruchslos zu sein; eine andere ließe es sich schwerlich gefallen, daß der Herr Bräutigam immer nur Lokomotiven und Tunnels und Brücken im Kopfe hat und, wenn er wirklich einmal kommt, schon aus der Schwelle erklärt, daß er gleich wieder fort müsse; aber sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_651.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)