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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Aerger ein um so schlimmerer Gast. Söhnen Sie sich aus mit der so ganz gegen Ihre Absicht, vielmehr durch Ihre überquellende Liebenswürdigkeit herbeigeführten ärgerlichen Situation. Machen Sie gute Miene zum bösen Spiel, das sicher nicht bös gemeint ist, und plagen Sie sich nicht mehr mit dem Steigen ab. Setzen Sie sich auf eines der Thiere, und wenn der Weg oben wieder ebener wird, will ich Ihrem Beispiel folgen.“

Ein Zug von Rührung ging über das erhitzte Antlitz des an ein behagliches Schlendern durch die Lustgärten des Lebens gewöhnten Rittergutsbesitzers. Von dieser Dame, die ihre aristokratische Abkunft so schön bewährte, fühlte er sich verstanden. Und warum sollte er nicht das Maulthier besteigen? Er machte zu Pferd eine gute Figur, das wußte er. Einige Schritte weiter fing der Weg an breiter und ebener zu werden. Er ließ die Treiber mit ihren Thieren dort halten und bestieg das vordere derselben.

Frau Professor Schröder machte ihm ein Kompliment über die dabei entwickelte Gewandtheit. Es war ihr wirklich drückend, den auf seine Weise stets aufmerksamen und galanten Reisegenossen verstimmt zu sehen.

Ihr Zuspruch hatte auch die gewünschte Wirkung. Herr von Tümpling richtete sich, soweit es sein Embonpoint erlaubte, elegant im Sattel empor und machte dabei mit den Füßen eine Bewegung, als gälte es, einem gelernten Reitpferd die Sporen in die Weichen zu drücken. In dieser Beziehung aber verstand das in der Freiheit der Berge nur mangelhaft dressirte Maulthier keinen Spaß. Im Nu bäumte es auf, stellte sich auf die Hinterbeine, bockte nach vorn, und dann jagte es auf dem schmalen Bergpfad, ohne der Zügel seines Reiters zu achten, vorwärts. Und als ob die zwei unbenutzt bleibenden Muli nur auf dies Beispiel gewartet hätten, stürzten sie dem Durchgänger nach. Die überraschten Treiber suchten sie unter Schreien und Drohen einzuholen. So ging es wie die wilde Jagd an der erschreckten Dame vorbei. Zum Glück war das Terrain gerade an dieser Stelle nicht besonders gefährlich, und als der Pfad wieder steiler bergan zog, mußten die Thiere von selbst wieder in eine ruhige Gangart zurückfallen. Während die Frau Professorin in dieser Betrachtung beruhigenden Trost fand, kam Herr von Tümpling, dem der aufgespannte Sonnenschirm bei dem schnellen Ritt entfallen war und der sich nun krampfhaft an der Mähne des wilden Thieres festhielt, an jene Stelle, wo die Steigung wieder begann. Von demselben Trostgedanken geleitet, daß hier die Sache ein Ende haben müsse, ließ er die Mähne fahren, um wieder die Zügel zu ergreifen, denn er hatte Geistesgegenwart genug, darauf bedacht zu sein, daß er in seiner peinlichen Lage auf das vorausgeeilte übermüthige Fräulein keinen komischen Eindruck mache. Ja, die Sache hatte ihr Ende erreicht, aber dasselbe kam anders, als er gehofft hatte. In dem Momente, als das Terrain das Muli wieder zum Steigen zwang und der Reiter sich wieder emporrichtete, bäumte dasselbe von neuem und schleuderte dabei den Aermsten rücklings auf den Rasenabhang, so zwar, daß er vor einem weiteren Absturz geschützt war, dafür aber auf einen stachligen Stechpalmenstrauch zu liegen kam, aus dessen Zweigen er sich ganz fassungslos und wie ein Wahnsinniger schreiend mühsam freimachte. Als er zu sich kam, sah er Fräulein Müller mit einem trotz aller Anstrengung nicht zu unterdrückenden Lächeln auf den Lippen dicht über sich stehen und das nun wieder ruhig gewordene Maulthier beim Zügel halten.

„Sie haben sich doch nicht weh gethan?“ fragte sie, das Lächeln nun doch besiegend, im Tone aufrichtiger Theilnahme.

Er aber hatte das Lächeln gesehen und las aus der Frage nur Spott und Hohn. Es wurde ihm trotz alles Herumtastens klar, daß er in der That keine Blessur davongetragen, die einigermaßen dem Hilfegeschrei entsprochen hätte, das er im ersten Schrecken ausgestoßen. An allem war das bösartige Vieh schuld, das nun da lammfromm neben der Spötterin stand, als habe es an dem ganzen Malheur keinen Antheil. Nun hatte er wenigstens einen Gegenstand, an dem er seinen Zorn auslassen konnte.

„Verwünschte Bestie,“ schrie er, „rädern sollte man Dich. Hals und Beine hätte ich brechen können, wenn’s nach Dir gegangen wäre. Zerschmettert würden meine Gebeine im Abgrund liegen, wenn ich nicht rechtzeitig Deiner Herr geworden wäre! Recht so, schlagt nur zu!“ spornte er die Treiber an, die inzwischen herbeigekommen waren und nun unter Flüchen auf die Thiere eindraschen.

„Genug!“ rief aber nun auch Fräulein Müller. „Ein Glück, Herr von Tümpling, daß der Sturz so gut abgelaufen ist. Ich gratulire Ihnen herzlich. Was aber soll jetzt das nachträgliche Schlagen der Thiere nützen? Von meinem Standpunkte sah die Sache übrigens nicht so gefährlich aus; die Stelle hier war für den Unfall ungemein günstig. Auch warf Sie das Muli ziemlich sanft ab. Wenn Sie von Anfang an geritten wären, würde das Thier gewiß nicht plötzlich solche Launen bekommen haben.“

„Aber Marie!“ mahnte die herzugekommene Tante.

„Nun, ist es nicht wahr, daß dieses vierbeinige Trio uns die ganze Partie verdirbt? Herr von Tümpling thut mir ja leid –“

„Ich aber danke für Ihr Mitleid, in dem sich nur Spott und Hohn verbirgt. Theilnahme hätte ich allerdings von Ihnen erwartet nach solchem Unglücksfall. Ihr Benehmen aber belehrt mich, daß es in der That eine Dummheit von mir war, Ihnen auf dieser Fahrt mich zum Ritter anzubieten. Dem kann man ja abhelfen. Habe die Ehre, meine Damen!“

Sich verbeugend, wandte er sich ab zu den Treibern. Mit Würde wies er einen derselben an, die Damen als Führer mit einem der Muli zu begleiten. Dann schritt er dem anderen und den zwei übrigen Thieren auf dem Wege voran, den er wenige Minuten vorher in so verhängnißvoller Weise hatte zurücklegen müssen.

„Sprach’s und schlug sich seitwärts in die Büsche,“ recitirte das nunmehr doch recht ernst dreinblickende Mädchen mit gewaltsamem Humor, der ihre Verlegenheit verbergen sollte.

„Ein recht unangenehmer Auftritt, an dem, wie er jetzt verlaufen, auch gar nichts mehr komisch ist,“ sagte dagegen im Tone sanften Vorwurfs die Tante.

„Sei mir nicht böse, Tantchen,“ schmeichelte aber das Mädchen, indem es auf die mütterliche Freundin zueilte. Es barg den krausen Lockenkopf an deren Brust und küßte sie dann innig auf den Mund. „Nicht böse sein, Muttel! Ich konnte nicht anders.“

Frau Professor Schröder hatte die Tochter ihrer liebsten Schwägerin viel zu lieb, um ihr ernstlich böse sein zu können. Sie küßte das erregte Mädchen, das so jäh ihre Stimmung gewechselt, auf die Stirn, blieb aber ernst, indem sie sagte:

„Da hast Du wieder einen Freund weniger. Ich will Dein Urtheil in Herzenssachen nicht beeinflussen, aber Du erscheinst wirklich zu anspruchsvoll gegenüber der Männerwelt.“

„Herr von Tümpling – mein Freund?“

„Nun, er bewarb sich sichtlich am Dich und nannte sich Deinen Verehrer.“

„Den aber zum Beispiel die Frage, ob ich eine Gänseleberpastete auf Straßburger Art zuzubereiten verstehe, bei weitem mehr interessirte, als irgend eine meiner feineren Empfindungen.“

„Du übertreibst.“

„Nein! Drin in der Stadt, in den Gesellschaften des vorigen Winters war es mir nicht so aufgefallen, in welchem Grade dieser selbstgefällige Modejunker vom rohesten Materialismus und Egoismus beherrscht war. Hier aber in der freien Natur ist es mir klar geworden, wie ihm alle gesunde Natürlichkeit und natürliche Empfindung abgeht. Und nun gar heute. Mit Lackstiefeln auf den Säntis! Und diese alberne Komödie mit den drei Mulis. Weil er mit seinen bereits vom Zipperlein geschwächten Gliedern nicht steigen kann und deshalb reiten will, sollen auch wir es, so sehr wir von Beginn an dagegen protestirten. Ihn hat nur die gerechte Strafe ereilt. Und ich danke Gott, daß wir ihn los sind.“

Die beiden Damen waren langsam vorwärts gegangen. Nun gelangten sie an eine offene Stelle, welche einen Ausblick in das Seealpthal gewährte. Ein entzückter Ausruf drängte sich auf die Lippen der Sprecherin. Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wische sie etwas Häßliches aus.

„O Tante, welche Aussicht! Sieh, da steht eine Bank! Setzen wir uns; die Schönheit der Natur mag das unangenehme Erlebniß aus der Seele verdrängen. Wie still und verschwiegen dort in der Tiefe der dunkle Bergsee ruht, ganz umrahmt von rauschendem Wald und ragenden Felswänden. Da muß es schön sein, zu träumen.“

„Immer gleich träumen, Du närrisches Kind. Warum nicht wachen Auges dem Schönen ins Angesicht schauen?“

„Sind denn die Träume nicht schöner noch als die Wirklichkeit? Vervollständigen sie doch die Eindrücke der Natur und des Lebens zu Stimmungsbildern, welche sich unverlöschlich der Seele einprägen.“

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