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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Geltung, denn der schöne Park ersetzt vielen, welche aus irgend einem Grunde die heißen Monate in Berlin zubringen müssen, einen Badeaufenthalt. Wer aus bestimmten gesellschaftlichen Kreisen es ermöglichen kann, wendet sich dann hierher, Stadt- und Pferdebahn vermitteln den Verkehr aus dem Innern der Residenz, und daneben rollen unaufhörlich Droschken und Equipagen an den weitgeöffneten Portalen vor; sichtlich gern giebt sich hier die elegante Welt ein Rendezvous. Und man kann es ihr nicht verdenken, denn der Aufenthalt, namentlich vor dem großen Restaurant mit seinen verschiedentlichen breiten Plateaus, ist ein ganz allerliebster und gewährt den Augen eine Fülle anregender Eindrücke. Das ist auf der Promenade dort am Neptunteich, in den sich rauschende Kaskaden ergießen und dessen Wasserspiegel durch allerlei ausländisches kriechendes und fliegendes Gethier belebt ist, ein stetes Hin- und Herwogen lachender, schwatzender, plaudernder Menschen, ein unaufhörliches Kommen und Gehen, ein fortwährendes Bilden und Auflösen kleinerer Gruppen, die sich hier und da scharf von dem Gesammtbilde abheben – dort eine Schar junger Mädchen in hochmodernen, luftigen, hellen Toiletten, da ein Trupp Offiziere, herumspazierend, säbelrasselnd, hier eine Schar buntbemützter Studenten, sichtlich von einem recht ausgedehnten Frühschoppen kommend, und überall Fremde, jeglicher Nationalität angehörend und jegliche Sprache redend, Franzosen, Engländer, Italiener, Amerikaner, Türken – es ist kaum ein civilisirter Staat nicht vertreten. Dazu die flotteste Militärmusik von zwei sich ablösenden Kapellen, der blaue Himmel über uns – wahrlich, man trennt sich schwer von diesem Fleckchen Erde, zumal wenn sich eine laue Sommernacht herniedersenkt und mit einem Male die elektrischen Flammen ihr magisches Licht verbreiten, während stimmungsvoll der Wagnersche Tannhäusermarsch von dem Podium herniederrauscht und seine tönenden Weisen das Echo der friedlichen, stillen Natur erwecken.

Und nun – als Gegenstück – der erste Sonntag eines Monats! Ist das noch derselbe Zoologische Garten, der Alltags eine gewisse aristokratische Vornehmheit aufweist? Man sollte es kaum glauben. Eine wahre Völkerwanderung ergießt sich dann von den frühen Morgenstunden an hierher, an den Kassen herrscht ein fast lebensgefährliches Drängen und Schieben, Tausende und Abertausende begehren Einlaß, der an diesen Sonntagen nur 25 Pfennig kostet und der dieselben zu richtigen Volksfesten stempelt; daneben aber auch zu langdauernden, denn die zuerst Erschienenen machen nicht etwa den später Kommenden Platz, o nein, dieser Tag wird vollständig ausgenutzt. Proviant bergen ja die rundbauchigen Körbe, welche fürsorglich „Mutter“ mitgenommen, Bier giebt es aller Ecken und Enden, denn da die Restaurationsräumlichkeiten bei weitem nicht ausreichen, wird überall das „Bayerische“ frisch vom Faß verzapft, hier bei den Tigern und da bei den Giraffen und dort bei den Elefanten. Jetzt kommen auch die Thiere wieder zu ihrem Recht, und wenn sie nur ein klein bißchen Verstand hätten, sie würden stolz sein über ein derartiges Anstaunen und Bewundern, aber sie würden noch öfter Einspruch erheben gegen derartige, laut werdende kühne zoologische und geographische Kombinationen! Fortgewischt sind die sonst hier zu treffenden eleganten Gestalten der Fremden und Einheimischen; das echte Berlinerthum hat an diesem Tage Besitz vom „Zapperlotschen Garten“ genommen, und wo das erst der Fall ist, da bleiben die ungezählten Scharen fest und unentwegt bis in die Nacht hinein und schieben die Heimkehr bis zur letzten Minute auf, mit dem festen Vorsatze scheidend: auf Wiedersehen am nächsten Ersten!

Weist der Zoologische Garten nur einmal in vier Wochen an solches Volksleben auf, so kann man dies dafür an jedem Tage, mit bedeutender Verstärkung aber Sonntags, in der Hasenhaide beobachten. Hasenhaide – armer Fremdling, der du dir bei diesem Namen einen schattigen Wald mit freundlichen Ruheplätzchen und Lichtungen vorstellst, welch bittere Enttäuschung harrt deiner, wenn du nach diesem Paradiese zahlloser Berliner hinauspilgerst! Die Hasen sind ebenso verschwunden wie es die Haide ist; wo noch einige spindeldürre Tannen stehen, hat der Militärfiskus Schießplätze für die Berliner Garnison angelegt, und die strengsten Bestimmungen warnen vor dem Betreten dieses Terrains. Einst lag dasselbe weit von der Stadt entfernt, in jenen Jahren, wo hier „Vater Jahn“ den ersten Berliner Turnplatz anlegte und wo die heldenmüthigen Männer, welche in den Schlachten von Großbeeren, Dennewitz und Hagelsberg den Tod für das bedrängte Vaterland starben, hier ihre letzte Ruhe fanden. Heute strecken sich die steinernen Arme der Weltstadt bereits bis zur Hasenhaide aus und umschlingen sie an einzelnen Stellen; wer weiß, wie lange es dauert, daß nur noch dunkle Sagen von dieser sogenannten Haide und ihrem lustigen Volkstrubel künden!

Gegenwärtig ist letzterer noch in seiner ganzen Ursprünglichkeit und Ausdehnung dort zu finden. Ein Sonntagnachmittag in der Hasenhaide – ihr Götter, beschützt unsere Ohren und unsere Lungen! Staub und Lärm und Lärm und Staub – das ist der erste überwältigende Eindruck, den wir, den breiten sandigen Weg entlang schreitend, erhalten. Allmählich nur unterscheiden wir das brüllende Schreien der Ausrufer, das Quieken der Karousselmusik, das Klappern der Würfelbuden, die donnernde Ankündigung der Sehenswürdigkeiten – hier „Menschenfresser aus Aegypten“, dort eine „elektrische Jungfrau“, daneben ein „unübertreffliches Raritätenkabinet“ u. dgl. m. – das Fiedeln der Tanzkapellen, den Spektakel der Kinderinstrumente, das Knallen in den Schießständen; und mitten in dem Lärm wandeln sie zu Tausenden herum, die hier von harter Wochenarbeit Erholung suchen und merkwürdigerweise auch finden, kleine Beamte, Handwerker, Arbeiter und Soldaten, mit ihnen in traulichem Bunde junge Arbeiterinnen, Laden- und Nähmamsells, Dienstmädchen, Kinderwärterinnen, nun eben alle die, welche sich hier mit innigem Behagen wohl fühlen, und deren giebt es nicht wenige in Berlin! Das zeigen uns die den Weg einsäumenden Vergnügungslokale, theils „Kaffeeküchen“ in des alten Berliner Wortes Bedeutung, theils Ausschankstätten der angesehensten Berliner Brauereien mit gewaltigen Gärten und in diesen wieder ein selbständiger Vergnügungsapparat: Schaukeln, Karoussel, Kegelbahn, Tanzsaal, Skatingrink, Kraftmesser, Turngeräthe, und so in bunter Folge fort. Sie sind häufig schon nachmittags überfüllt und weisen gegen Abend kaum ein leeres Plätzchen auf; selbst das umfangreichste Etablissement, die „Neue Welt“, scheint dann in einen wimmelnden Menschenhaufen verwandelt zu sein, und wer sich nicht höchst eigenbeinig und eigenhändig um sein Bier und sein Essen kümmert, der muß häufig durstig und hungrig den Heimweg antreten.

Etwas mehr Natur, wenn man überhaupt davon in der Hasenhaide sprechen kann, findet man nun doch in dem Vororte Berlins, Weißensee, wo ein thätiger Unternehmer ein ebenso amüsantes wie kolossales Vergnügungslokal, „den Sternecker“, nach dem Vorbilde des Kopenhagener Tivoli, geschaffen hat. Hier trifft man vor allem auf einen wirklich schönen Park mit prächtigen Partien kerniger Bäume und seltener Sträucher, mit sorgsam gepflegten Bosketts und sauber gehaltenen, überall lauschige Ruheplätzchen darbietenden Pfaden mit sehr geschickt gemachten künstlichen Grotten und zierlichen Borkenhäuschen, sogar mit einer hübschen Aussicht auf einen miniaturartigen See, den ein ebenso miniaturartiger Dampfer befährt.

Und was ist daneben alles für die Unterhaltung gethan! Elektrische Bahn, Reitschule, Lachkabinet, Rutschbahn, Panorama, Cirkus, Theater, Chansonettengesang, Schnellphotographie – das ist nur ein geringer Theil der Auswahl, die hier den Besuchern für ein sehr kleines Entree tagtäglich geboten wird. Und gerne lassen sie es sich bieten, die Berliner und Berlinerinnen, welche in hellen Scharen per Pferde- und Stadtbahn, per Kremser und Thorwagen, per Droschke und – sehr stark – per pedes apostolorum hier hinausströmen, zumal wenn der Abend hereinbricht. Dann bietet der große Park einen bezaubernden Anblick dar, überall flackern und funkeln Glühlichtflämmchen auf, aus den Springbrunnen, den Blumenbeeten und den Gebüschen, aus den Rasenflächen, den Grotten und Lauben, sie umzüngeln die Orchester, von denen schmetternde Musik erschallt, und ziehen sich wie Irrlichtchen am Ufer des Sees entlang. Der scheint aber mit einem Male in ein Flammenmeer verwandelt zu sein, von allen Seiten knistert’s, sprüht es, glüht es auf, strahlende Feuergarben schießen zum Himmel empor, ein Regen schimmernder Leuchtkugeln gießt sich herab – das Feuerwerk hat begonnen, die Freude und der Jubel der Besucher haben ihren Höhepunkt erreicht.

Natürlich kann man die sommerlichen Abende auch sehr gut in Berlin selbst verbringen. Wer nicht die zumeist in den Vorstädten liegenden Volksgärten besuchen, wer sich nicht in das bunte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_634.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2024)