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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich bin Ihre Verwandte und heiße Wally,“ versetzte sie. „Wir nennen uns fortan beim Vornamen; also, Benno, setzen Sie sich zu mir!“

Er kam der Aufforderung nach, anfangs noch etwas schüchtern, aber die kleine Frau verstand es, ihn zutraulich zu machen. Sie fragte unaufhörlich, und er beichtete denn auch treuherzig alles, seine Unbeholfenheit bei dem Besuche in der Nordheimschen Villa, seine Trostlosigkeit darüber, seine verzweifelten, aber vergeblichen Versuche, irgendwo und irgendwie Manieren zu lernen, und gerade bei dieser Beichte verschwand die Unbeholfenheit vollständig, und der wahre, ehrliche, herzensgute Benno kam dabei zum Vorschein. Als der Rechtsanwalt nach etwa zehn Minuten zurückkehrte, fand er seine Frau und seinen Vetter in vollster Eintracht und unbedingter gegenseitiger Hochachtung bei einander.

„Ich habe das Gepäck einstweilen hereinbringen lassen“ sagte er, „und zugleich nach dem Gasthause geschickt, um zu fragen, ob dort noch Platz ist.“

„Das ist nicht nöthig,“ fiel Wally ein. „Wir bleiben hier, Benno wird schon Platz schaffen, nicht wahr, Benno?“

„Natürlich wird Platz geschafft!“ rief der Doktor eifrig. „Ich ziehe aus, ich ziehe mit Gronau in das kleine Giebelzimmer und überlasse Ihnen die unteren Räume, Wally. Ich werde gleich auf der Stelle das Nöthige besorgen.“

Er sprang mit einem förmlichen Enthusiasmus auf und lief hinaus. Gersdorf sah ihm höchst verwundert nach.

„Benno – Wally? Nun, Ihr seid ja schon recht hübsch weit gekommen in den paar Minuten!“

„Albert, Dein Vetter ist ein höchst vortrefflicher Mensch,“ erklärt Wally. „Man muß sich des jungen Mannes annehmen, das ist Verwandtenpflicht.“

Der Rechtsanwalt lachte laut auf.

„Des jungen Mannes? Er ist gerade zwölf Jahre älter als Du.“

„Ich bin eine verheirathete Frau!“ lautete die sehr würdevolle Antwort, „und er ist leider nur ein Junggeselle, aber dafür kann er nicht und ich werde ihn auch möglichst bald verheirathen.“

„Um Gotteswillen!“ rief Gersdorf. „Du hast den unglücklichen Benno kaum gesehen und hast schon Heirathspläne für ihn? Ich bitte Dich –“

Weiter kam er nicht, denn seine Frau trat mit empörter Miene dicht vor ihn hin.

„Unglücklich nennst Du ihn, weil er heirathen soll! Du hältst also die Heirath für ein Unglück und die Deinige wohl auch? – Albert, was hast Du gemeint mit dem Worte?“

Die Frage klang sehr zornig und die kleinen Füße stampften dazu den Takt auf den Boden, aber Albert lachte nur und nahm sein Weibchen in die Arme.

„Daß es nur eine kleine Frau giebt, die ihren Mann so glücklich machen kann, wie ich es bin!“ sagte er zärtlich. „Bist Du zufrieden mit dem Geständniß?“

Und Frau Doktor Gersdorf war zufrieden!




Die Nachmittagssonne schien hell und lustig herab auf das bunte Traben, das sich vor dem Wirthshause in Oberstein entfaltete. So unbedeutend das Oertchen war, es bildete doch den Mittelpunkt für all die einzelnen in der Umgegend zerstreuten Höfe und Wohnstätten, und deren Bewohner waren sämmtlich zu dem Feste gekommen, das wie üblich mit dem Kirchgange begann und dann dem Vergnügen sein Recht ließ. Der Johannistanz, der nach altem Brauche im Freien stattfand, hatte längst begonnen, auf dem vor dem Wirthshause improvisirten Tanzplatze drehten sich die jungen Bursche und Mädchen, die Alten saßen beim Trunk, die ländlichen Musikanten fiedelten unermüdlich und die Kinder jagten sich und lärmten mitten in dem fröhlichen Durcheinander. Es war ein heiteres, bewegtes Bild, dessen Reiz durch die malerischen Sonntagstrachten der Aelpler noch erhöht wurde.

Die Anwesenheit der „Stadtleute“, die gleichfalls erschienen waren, störte die Festfreude nicht im geringsten, denn die jungen Ingenieure, die in Oberstein wohnten, tanzten wacker mit, und die beiden dunkelfarbigen Diener, welche der fremde Herr aus Heilborn mitgebracht hatte, bildeten ein höchst sehenswerthes Schauspiel für die Gebirgsleute. Veit Gronau, der schon mit aller Welt bekannt geworden war, zog wie ein Menagerieführer mit den beiden umher, sie überall präsentirend und bereitwilligst Auskunft gebend auf all die neugierigen Fragen über den Afrikaner und den Indier. Said und Djelma waren offenbar sehr stolz aus die allgemeine Vewunderung und machten verschiedene Versuche der Annäherung an die Eingeborenen, die Gronau wohlwollend unterstützte, denn er fühlte sich verpflichtet, seine Schützlinge mit europäischen Sitten bekannt zu machen.

In dem kleinen Kraut- und Blumengärtchen zur Seite des Wirthshauses, wohin man für heute Tisch und Stühle geschafft hatte, befand sich Waltenberg mit den Nordheimschen Damen, denen sich Doktor Gersdorf und seine Frau angeschlossen hatten. Die Stimmung der kleinen Gesellschaft war durch das unerwartete Zusammentreffen eine sehr heitere geworden, nur Frau von Lasberg machte eine Ausnahme davon.

Sie liebte es überhaupt nicht, den Volksbelustigungen beizuwohnen, auch nicht als bloße Zuschauerin, und hatte überdies eine leichte Migräne, so daß sie entschlossen war, von der Partie zurückzubleiben. Da schickte Elmhorst die Nachricht, er könne diesmal seine Braut nicht begleiten, auf der unteren Strecke der Bahn habe ein Wasserdurchbruch stattgefunden und er müsse sofort hinunterfahren. Die alte etikettenstrenge Dame hielt es darauf hin nicht für zulässig, daß Waltenberg allein die jungen Damen begleitete, er war ja noch nicht erklärter Bräutigam wie Wolfgang. Sie opferte sich also und fuhr mit, büßte das aber mit einer Zunahme ihrer Kopfschmerzen, und nun führte der Zufall sie auch noch mit Wally zusammen, die bei der Baronin endgültig in Ungnade gefallen war, seit sie die bürgerliche Heirath durchgesetzt hatte. Die kleine Frau wußte das sehr genau und bemühte sich nach Kräften, ihre Gegnerin zu ärgern. Sie äußerte den dringenden Wunsch, mitzutanzen, erklärte die vornehme Abgeschlossenheit in dem Gärtchen für langweilig und machte schließlich den Vorschlag, sich mitten unter die Gebirgsleute zu begeben, kurz, sie jagte die gestrenge Frau Oberhofmeisterin von einer Empörung in die andere.

„Und wenn Benno kommt, tanze ich mit ihm auf die Gefahr hin, meinen Herrn Gemahl eifersüchtig zu machen!“ sagte sie mit einem muthwilligen Blick auf ihren Gatten, der mit Erna und Waltenberg an dem Holzgitter stand und sich das Treiben draußen ansah. „Der arme Doktor kann sich gar keine Erholung gönnen, gerade als wir fort wollten, wurde er wieder an ein Krankenbett gerufen, glücklicherweise hier in Oberstein, und er versprach, in einer halben Stunde nachzukommen. Alice, Du läßt Dich jetzt auch von Benno behandeln, wie ich höre?“

Die junge Dame neigte nur bejahend das Haupt und Frau von Lasberg bemerkte sehr von oben herab:

„Alice fügt sich darin dem Wunsche ihres Bräutigams. Ich fürchte aber, Herr Elmhorst überschätzt seinen Freund sehr, wenn er ihm einen größeren Scharfblick zutraut, als unseren ersten ärztlichen Autoritäten. Jedenfalls ist es ein Wagniß, die Behandlung der Braut einem jungen Arzte anzuvertrauen, der seinem eigenen Geständnisse nach fast ausschließlich eine Bauernpraxis hat.“

„Ich finde, daß Herr Elmhorst in diesem Punkte vollkommen recht hat,“ erklärte Wally würdevoll. „Unser Vetter kann sich getrost jeder ärztlichen Autorität an die Seite stellen, ich versichere es Ihnen, gnädige Frau.“

Die Baronin lächelte etwas spöttisch.

„Ach, ich bitte um Verzeihung! Ich vergaß es wirklich, daß Doktor Reinsfeld jetzt zu Ihren Verwandten gehört, liebe Baroneß.“

„Bitte: Frau Doktor Gersdorf,“ berichtigte diese. „Ich bin sehr stolz auf meinen Doktortitel und meine Frauenwürde und möchte sie um keinen Preis missen.“

„Das sieht man!“ bemerkte die alte Dame mit einem entrüsteten Blick auf die kleine Frau, die ihren bürgerlichen Namen mit einer so herausfordernden Glückseligkeit zur Schau trug und jetzt unbekümmert weiter plauderte.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_600.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)