Seite:Die Gartenlaube (1888) 598.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Unfalle auf der Geierklippe erholte. Die schmerzhafte Verrenkung des Fußes, die er sich dort zugezogen, war zwar nicht gefährlich, hinderte ihn aber sehr am Gehen. Man hatte ihn damals mit Mühe bis nach Oberstein gebracht und Reinsfeld erbot sich sofort, den Patienten in Pflege zu nehmen, bis er wieder hergestellt sei, was auch dankend angenommen wurde.

Die beiden Vettern hatten sich seit Jahren nicht gesehen und auch nur selten geschrieben, um so freudiger war Benno überrascht gewesen, als Gersdorf gestern ganz unerwartet bei ihm eintraf. Er hatte ihn soeben überredet, den Besuch noch etwas länger auszudehnen, und sagte nun vergnügt:

„Also abgemacht, Du bleibst bis übermorgen! Das ist brav und Deine junge Frau hat hoffentlich nichts dagegen, wenn Du sie so lange in Heilborn bei ihren Eltern läßt.“

„O, sie befindet sich dort vortrefflich,“ erklärte Gersdorf, aber trotz der Versicherung gab sich eine gewisse Verstimmung in der Antwort kund und er sah auch ungewöhnlich ernst aus. Der Doktor blickte ihn forschend an.

„Höre, Albert, es ist mir schon gestern bei Deiner Ankunft vorgekommen, als ob da etwas nicht ganz in der Ordnung wäre. Ich glaubte, Du würdest mit Deiner Frau kommen! Ihr habt Euch doch nicht etwa gezankt?“

„Nein Benno, so arg ist es nicht, ich bin nur in die Nothwendigkeit versetzt worden, meinen Schwiegereltern klar zu machen, daß sich der bürgerliche Schwiegersohn seine Stellung zu wahren weiß.“

„Aha, weht der Wind daher? Was hat es denn gegeben?“

„Vorläufig nur eine kleine Auseinandersetzung. Ich erzählte Dir ja bereits, daß wir versprochen hatten, am Schluß unserer Hochzeitsreise die Eltern in Heilborn zu besuchen, wo meine Schwiegermutter die Kur braucht. Wir fanden sie dort in einem sehr exklusiven Kreise, der allerdings die Gnade hatte, mich aufzunehmen, es mir aber sehr deutlich fühlbar machte, daß ich dies nur der Ehre verdankte, eine Baroneß Ernsthausen zur Frau zu haben. Ich verweigerte also diesen liebenswürdigen Umgang und sagte ab bei einer großen Partie, die für gestern geplant war. Natürlich gab es darüber hochgradige Empörung, die Frau Schwiegermutter erklärte mich für einen Tyrannen, behauptete, ihre Tochter gehöre nach wie vor zu diesem Kreise, und brachte es wirklich dahin, daß auch Wally obstinat wurde. Ich stellte es ihr darauf frei, allein mitzufahren – und sie fuhr in der That mit.“

„Ohne Dich?“

„Ohne mich! Eine Stunde später war ich auf dem Wege zu Dir – ich wollte Dich ja jedenfalls aufsuchen in den nächsten Tagen – und ließ nur eine kurze Benachrichtigung zurück.“

„Es war doch ein Wagniß von Dir, in diese adelstolze Familie zu heirathen“ sagte Benno kopfschüttelnd. „Du siehst, die Kämpfe sind mit der Heirath keineswegs zu Ende.“

„Nein, aber darauf war ich von vornherein gefaßt, das muß eben durchgekämpft werden.“

„Wenn Du Deiner Frau sicher bist?“

Gersdorf lächelte nur bei der etwas bedenklich ausgesprochenen Frage.

„Gewiß, das bin ich! Wally ist so noch ein Kind mit ihren achtzehn Jahren, ein verwöhntes Kind, das im Elternhause so gut wie gar nicht erzogen wurde, aber ihres Herzens bin ich unter allen Umständen sicher. Glaubst Du, daß es mir leicht geworden ist, mein holdes kleines Trotzköpfchen allein zu lassen? Aber es muß durchaus begreifen lernen, daß die Frau einzig und allein zu dem Manne gehört. Lasse ich diesmal meiner Schwiegermutter freies Spiel, so mischt sie sich fortwährend in unsere Ehe und das dulde ich nun einmal nicht.“

Man sah es dem neugebackenen Ehemanne trotz alledem an, daß ihm der Entschluß nicht leicht geworden war; seine Augen schweiften recht sehnsüchtig durch das Fenster, nach der Richtung, wo Heilborn lag, während Benno die Charakterfestigkeit seines Vetters mit höchster Bewunderung anstaunte. Er hätte sich selbst einer tyrannischen Schwiegermutter gefügt, nur um ein geliebtes Wesen nicht zu verletzen.

Sie wurden unterbrochen, denn soeben trat Veit Gronau ein. Er hinkte zwar noch sehr bedeutend, schien sich aber sonst ganz wohl zu befinden und legte ein ziemlich umfangreiches Packet auf den Tisch.

„Eine Empfehlung von Herrn Waltenberg,“ sagte er. „Er wird am Nachmittage mit den Nordheimschen Damen herüberkommen, sie wollen sich das Tanzvergnügen ansehen. Einstweilen hat er den Said geschickt und nun läuft ganz Oberstein zusammen und dem Schwarzen nach, den sie für den leibhaften Gottseibeiuns halten!“

„Was haben Sie denn da?“ fragte Gersdorf auf das Packet deutend.

„Echt türkischen Tabak!“ versetzte Gronau wichtig. „Der Herr Doktor ist nämlich als Mensch vortrefflich, aber als Raucher barbarisch. Seine Sorte ist, mit Erlaubniß zu sagen, ein ganz schändliches Kraut, deshalb habe ich mich um Hilfe an Herrn Waltenberg gewandt und er hat mir auch sofort aus unseren eigenen Vorräthen das Nöthige geschickt. Jetzt werde ich die Pfeifen stopfen – man raucht nämlich noch Pfeifen in diesem biederen Oberstein – und ich verstehe mich darauf.“

„Das glaube ich!“ sagte Benno lachend „Sie und Herr Waltenberg verdampfen in einem Jahre vermutlich so viel, wie mein ganzes Einkommen beträgt. Ich darf nicht so wählerisch sein.“

Veit, der hier schon völlig zu Haus war, hinkte inzwischen an ein kleines Schränkchen und holte verschiedene Pfeifen heraus, die er mit großer Sachkenntniß zu stopfen begann, und bald dampften die drei Herren lustig drauf los. Es war in der That ein vorzügliches Kraut, das alle drei in die rosigste Stimmung versetzte.

Da wurde die Thür geöffnet und auf der Schwelle zeigte sich etwas höchst Unerwartetes: eine junge Dame, im eleganten Reiseanzug, mit einem schleierumwundenen Hütchen und einer zierlichen Reisetasche in der Hand. Sie war im Begriff, rasch einzutreten, blieb aber stehen wie erstarrt von dem Anblick, der sich ihr bot. Gronaus unendlich lange Gestalt lag der Länge nach auf dem Sofa ausgestreckt, der Doktor saß in Hemdärmeln seelenvergnügt in seinem Armstuhl, Gersdorf nicht weit davon und über ihnen schwebten die blauen Tabakswolken und umhüllten die ganze Gruppe mit einem dichten, aber leider durchsichtigen Schleier.

„Herr Doktor,“ meldete die alte Wirthschafterin, deren Gesicht jetzt hinter der Fremden sichtbar wurde. „Da ist eine junge Gnädige angekommen und sie will –“

„Meinen Mann will ich!“ fiel die junge Gnädige in sehr energischem Tone ein, indem sie vollends eintrat und damit einen förmlichen Aufruhr entfesselte. Gronau fuhr vom Sofa auf und stieß dabei einen lauten Schmerzensschrei aus, denn sein Fuß vertrug noch nicht derartige heftige Bewegungen, Benno sprang entsetzt empor und suchte seine Joppe, die er nirgends fand, und aus den Dampfwolken tauchte Gersdorf hervor und rief in freudigster Ueberraschung: „Wally – Du bist es?“

„Ja – ich bin es!“ erklärte Frau Doktor Gersdorf in einem so vernichtenden Tone, als habe sie ihren Gatten auf irgend einem Verbrechen ertappt, und dabei trat sie in die Mitte des Zimmers und nahm eine höchst imposante Stellung an. Leider störte sie der Tabaksrauch darin, sie begann entsetzlich zu husten und kämpfte mit einem förmlichen Erstickungsanfall.

Der arme Benno war ganz vernichtet. Er hatte heimlich aufgeathmet, als er hörte, daß auf den Besuch der neuen vornehmen Verwandten, vor der er einen angemessenen Respekt hegte, nicht zu rechnen sei; er hätte ihr zu Ehren jedenfalls wieder den berühmten schwarzen Staatsanzug angelegt und nun traf sie ihn in solcher Toilette! In seiner grenzenlosen Verwirrung ergriff er sein Taschentuch und versuchte damit, den Rauch zu verjagen, aber er jagte ihn leider nach der falschen Richtung, der Dame grade in das Gesicht! Dabei fegte er die Thonpfeife vom Tische, die nun in Scherben zerbrach, und schließlich warf er noch seinen Armstuhl um, der bei diesem Unglück ein Bein verlor. Gersdorf ergriff endlich seinen Vetter beim Arm.

„Sei ruhig, Benno, Du richtest sonst noch ein Unglück an,“ sagte er beschwichtigend. „Vor allen Dingen laß Dich meiner Frau vorstellen. Mein Vetter, Benno Reinsfeld, liebe Wally!“ Wally blickte mit höchst ungnädiger Miene auf diesen Mann in Hemdärmeln, der ihr als Verwandter vorgestellt wurde, sie schien das empörend zu finden.

„Ich bedaure sehr, die Herren gestört zu haben,“ sagte sie, mit einem niederschmetternden Blick auf ihren Gatten. „Mein Mann theilte mir mit, daß er Sie besuchen werde, Herr Doktor – auf unbestimmte Zeit.“

„Gnädige Frau,“ stotterte Benno ganz fassungslos. „Es ist mir eine hohe Ehre – ganz gewiß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_598.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)