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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die wir zu bedienen haben, auch ein freundlich Gesicht machten, er solle sich keine so törichten Sachen einbilden: wegen meiner – so könnten mir hundert Herren an einem Tage schön thun und ich würde noch keine Minute in meiner Treue wankend werden. Da sei Gott vor! … Er sprach zwar bei jenem ersten Wiedersehen nicht mehr davon und unterdrückte sein Mißtrauen, aber der einmal rege Argwohn in seiner Seele war nur dem Scheine nach beseitigt.

Nun traf es sich vorm Jahre, daß schon zeitlich im Sommer ein Herr drunten im Weißbad Wohnung nahm, der von der dort gebotenen Molkenkur sehr wenig wissen wollte, desto mehr aber von den alten Ueberlieferungen in Haus und Gerät, Sprache und Brauch, wie sie in unseren Appenzeller Gebirgsthälern sich erhalten haben. Es war einer, die so Bücher schreiben, wie dort eins auf dem Tisch liegt. Er sprach immer von der ‚Kultur’– das wär’ sein Fach, sagte er. Er hatte eine Brille auf der Nase, wie all die gelehrten Herren, und dann frug er zu viel – wie ein kleines Kind, das bei allem ‚warum denn’ und ,woher denn’ fragt, sonst aber war’s ein netter und honetter Mann, auch noch nicht alt und zu einem guten Scherz aufgelegt. Nun war meine Großmutter unten in Schwendi besonders angesehen, weil sie so viel wußte, was früher in unserem Ländli sich zugetragen, auch die Sagen und Lieder und die Bedeutung von so manchem Brauch und Geräth, an die heutzutag eben nur noch die ganz alten Leute denken.

Von dieser Frau hatte der Herr von einem seiner Lehrer in Zürich, einem Professor an der Universität, der sich auch mit solchen Dingen abgab, gehört, und so war er denn sehr betrübt, daß sie schon todt war. Mich hatte die Ahn immer besonders lieb gehabt, weil ich ihren Geschichten gern zugehört hatte, auch mir manches vermacht von alten Sachen, namentlich ihren vollständigen Sonntagsstaat, um den mich seitdem viele beneiden, denn jetzt werden all die Kettchen und Spangen, die Haarnadeln und die Ohrgehänge, die Plättlikette und das Halsnuster, die Schürzrose und die Schluttenketteli lange nicht mehr so schön und gediegen gemacht.

Von alledem hörte der studirte Herr und kam nun eigens zu uns herauf, um mich recht nach Herzenslust auszufragen. Es gefiel ihm hier oben, und so ließ er sich’s bei uns gefallen, als ob er’s nicht anders gewohnt sei. Wir alle hatten ihn gern, denn es freut unsereinen doch auch, wenn ein Fremder gar so viel Theilnahme für alles Heimliche hat, und so lästig mir’s mitunter wegen der darüber versäumten Arbeit war, gab ich ihm redlich Bescheid über alles, wonach er mich fragte, soweit ich dies eben konnte. Ein ganz besonderes Interesse hatte er auch für alles, was ihm an unserer Art zu sprechen als sonderbar auffiel: er nannte das Dialektforschung. Und daran lag’s.

Weiß noch heute nicht, wer’s dem Jakob gesteckt hatte – es verkehren ja so viele Führer hier, auch die von der Toggenburger Seite kommen gern einmal vor dem Rückweg zu uns herunter – genug, ihm war gesagt worden, daß ein Fremder, der noch jung und nicht uneben sei, sich dauernd hier bei uns aufhalte und zwar nur wegen meiner. Den ganzen Tag habe er sein Wesen um mich. Das wär ja nicht gegen die Wahrheit. Aber der arme Joggeli wußte nicht, wie’s gemeint war. Heiß stieg ihm die Eifersucht in den Kopf und brachte ihn um alle Ueberlegung. Ich hatte davon keine Ahnung. Wie immer, schloß ich jeden Tag mein Denken damit ab, daß ich dem fernen Schatz eine gute Nacht zurief, ohne einen Schimmer, daß er sich um dieselbe Zeit unruhig auf seinem Lager wälze, von den furchtbarsten Vorstellungen gepeinigt.

Der Gast hatte mich nun schon öfter gebeten gehabt, ihm einmal den vollen Sonntagsstaat meiner Ahneli vorzuführen, indem ich mich selber damit herausputze. An einem Sonntag hatte ich mich denn früh am Morgen mit allem ausstaffirt und behangen, daß es eine wahre Pracht war. Die Haube mit den großen schwarzen, aus Roßhaar und Seide gewobenen Schlappen, der weiße Stoßer vor der Brust, das sammtne Mieder, das bunte, goldgestickte Brusttuch, die schneeweißen Hemdärmel, die braune, feingefältelte Joppe, der rosenrothe Schoß aus schimmernder Seide – all das stand mir gar gut, das fühlte ich selbst. So erschien ich dem gelehrten Kulturdoktor, der hier in der Gaststube allein über seiner Arbeit saß, und hatte meinen hellen Spaß an seiner Freude.

Da auf einmal wird die Thür aufgerissen. Als wolle er seinen Augen nicht trauen, starrt mit dem Ausdruck sprachlosen Zorns der Jakob ins Zimmer – auf mich, auf ihn. So hatte er mich noch nie gesehen, so hatte ich mich ihm noch nie gezeigt – ‚nur dem Fremden zulieb wird solcher Staat gemacht!‘ las ich in seinem Auge.

‚Jakob!‘ schrie ich erschreckt und stürzte mich ihm entgegen, um alles aufzuklären.

Mit einem Ruck stieß mich der Starke bei Seite: ‚Wir zwei sind fertig, geh’ aufi‘ – knirschte er, einen wilden Blick auf mich schleudernd, mit heiserer Stimme – ‚aber mit dem da will ich noch ein Wörtli reden. ’s ist Zeit, scheint’s.‘ Damit schritt er auf den im Vergleich mit ihm nur schwächlichen Stadtherrn zu mit einer ausholenden Armbewegung, als gölte es, beim Schwingfest den stärksten Gegner beim Gürtel zu fassen und in die Luft zu schmettern.

Sicher wäre es sehr schlimm abgelaufen, wenn der Doktor nur die geringste Miene zu seiner Vertheidigung gemacht hätte. Aber daran dachte der gar nicht. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, sich die Namen aller Ketteli und Spangen genau aufzuschreiben, als die heftige Unterbrechung erfolgte. Da er mich ‚Jakob‘ rufen gehört, wußte er, daß der Eingetretene mein Schatz war; denn ich hatte ihm auch öfter von meinem Schatz erzählt, und wenn er sein Verlangen geäußert hatte, eine genaue Beschreibung der bei unseren Schwingfesten eingehaltenen Gebräuche zu erhalten, so hatte ich ihn vertröstet auf den Tag, wenn mein Joggeli aus St. Johann zu Besuch kommen würde, der sei einer, der’s vom Grund aus verstünde. Diese Hoffnung hatte sich in seinem Geiste mit der Erwartung seines Eintreffens derart verschwistert, daß er das drohende Auftreten Jakobs für ein G’spaß nahm, dem nun eine Erklärung der Schwingfestgebräuche auf dem Fuß folgen müßte. Jetzt muß ich lachen, wenn ich dran denk’. Damals aber war’s ein furchtbarer Augenblick. Ich denk’ grad’, Jesus, Maria und Joseph, der zerschmeißt uns unsern zarten Kulturdoktor in lauter kleine Stückeli, da höre ich diesen auf einmal ganz vergnügt ‚Bravo, bravo!‘ schreien und, als handle es sich um ein Schauspiel, vergnügt in die Hände klatschen. Darausf war der wilde Jakob nicht vorbereitet. Wenn der Fremde sich in einen Riesen verwandelt hätte, wäre er nur erst recht auf ihn eingedrungen; diese Verwandlung des vermeintlichen Feindes in ein harmloses Kind entwaffnete ihn.

‚Noch einmal diese Stellung – das war echt, das war urecht,‘ rief der Doktor. – Mit dem ,echt‘ machte er sich immer zu thun.

Nun hatte der Jakob seine Sprache wieder gefunden. ‚Nichts da,‘ donnerte er, ‚hier ist der Spaß aus; das Bärbeli da war mein Schatz und die laß ich mir von keinem hergelaufenen Stadtherrn verschimpfiren! Wenn Ihr ein Mann seid und Ehr im Leib habt, laßt’s uns ausfechten.‘

Nun endlich konnte ich zu Wort kommen. Ich suchte ihn aufzuklären. Er aber glaubte mir nicht.

‚Ist’s etwa nicht wahr, daß ihr vom ,chössa‘ und ‚lieba‘ Euch unterhalten habt?‘ warf er mir entgegen.

‚Kann wohl sein,‘ sagte ich, ‚der Herr ist an Sprachengelehrter und studirt unsere Mundart.‘

Das verstand nun mein guter Schatz zwar nicht, aber er merkte doch, daß es noch Menschen gäbe, die mit mir vom Küssen sprechen könnten, ohne mir Küsse abzuverlangen. Ich benutzte seine Verwirrung und zog ihn mit mir hinaus. Und nun denkt’s Euch, als ich ihn, nachdem er etwas ruhiger geworden war, frug, wie er so unerwartet habe eintreffen können:

‚Weißt, Bärbeli,‘ sagte er, ‚Führer bin ich geworden. Hab’ den Schmiedhammer an den Nagel gehängt. Die Berg’ kenn’ ich auch, wie die andern und Geld bringt’s ein. Die Hauptsach’ aber ist, nun kann ich selbst sehen, was Du treibst und wie Du lebst, und brauch’s nicht zu hören von giftigen Ohrenbläsern, die eine Freud’ dran haben mich aufzuhetzen, wie die schlimmen Kameraden in der Geschichte vom Bötzler.‘

Und seitdem,“ schloß das Bärbeli vergnügt, „sehen wir uns oft und sind glücklich mit einand’. Der Böse ist ausgetrieben.“

„Und,“ fuhr der Professor, indem er sein Glas erhob, fort, „die Wandlung Deines Schmied-Jakob in einen Reiseführer war auch – Dein schönstes Reiseabenteuer!“

„Und daß wir zu Euch ins Gebirg reisen, hat auch sein Gutes. Gelt, Bärbeli?“ sagte vergnügt der Maler.

(Fortsetzung folgt.)
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