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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

vermöchte, auch nur einen Schein von Untreue zu zeigen, und das hast Du gethan, indem Du mich bei Dir angenommen hast. Nun bleibst Du unabänderlich solange in meiner Macht, bis Du mir meinen wahren Namen sagen kannst.‘ Als aber am nächsten Abend der wahre Liebhaber zu ihr kam, fand er sie in großen Aengsten und sie erzählte ihm alles, was sich zugetragen. Betrübt und verzweifelt sich der Uebermacht des Bösen, der ihn um sein Glück bringen wollte, nicht gewachsen fühlend, strich der Senn, nachdem er die Sennin verlassen, im Lichte des Mondscheins in den Bergen umher. So kam er auch auf die höchste Alpe des nächsten Berges, der jetzt der ‚Bötzler‘ heißt. Da sah er ein offenes Feuer und einen Sennen mit einem Geißfuß, der um dasselbe mit übermütigen Gebärden tanzte. Als er näher trat und hinter einer Legföhre knieend hinlauschte, hörte er, wie der Böse, den er gar wohl erkannt hatte, die Worte sang:

‚Wenn mi Schätzle thät wössa,
Daß i Bötzler heiß,
Wär’s vorbei mit dem chössa –
Guot, daß sie’s nöt weiß.‘

Flugs eilte er am andern Morgen noch vor Beginn der Arbeit zu seinem Schatz, erzählte ihm sein Abenteuer und nannte den Namen, den er gehört. Als dann am Abend der Satan erst vorsichtig die Hütte umschlich und, da er die Sennin allein in dieser hantieren sah, keck zu ihr eintrat, da scholl ihm aus ihrem Munde der Gruß entgegen: ‚Geh nur, Bötzler, ich kenne Dich!‘ Kaum war das Wort ihren Lippen entflohen, so machte der unheimliche Gast einen Luftsprung zur Thür hinaus, wobei er dem Meidli mit seinem Geißfuß einen derben Schlag ins Gesicht versetzte, so daß sie ohnmächtig niedersank; als sie aber erwachte, lag sie in den Armen ihres treuen Sennen. Von dieser Zeit an heißt der Berg, auf welchem der Böse jenen Vers sang, der ‚Bötzler‘. Die Sennin von der Meglisalp und ihr Schatz aber wurden bald danach ein glückliches Paar.“

Das Bärbeli schloß ihre mit großer Schlichtheit vorgetragene Erzählung, indem sie ohne weitere Umstände ihre Stickarbeit wieder aufnahm.

„Eine wurzelechte Sage, völlig der Gegend entwachsen, für deren einfache Verhältnisse und einsame Menschen sie sehr bezeichnend ist,“ sagte mehr zu sich selbst als zu den anderen der gelehrte Litteraturkenner, welcher dem Mädchen am nächsten saß. „Um so auffallender ist die Verwandtschaft des einen Motivs, daß die Sennin den Namen des geheimnißvollen Gastes errathen muß, mit demjenigen, auf das sich unser deutsches Märchen vom Rumpelstilzchen gründet… Auf jeden Fall verdient unser braves Bärbeli unser aller Dank für die Mittheilung; möge ihre Treue von solchen Anfechtungen verschont bleiben, dafür aber einen gleichen Lohn finden wie die Sennin der Sage vom Bötzler!“

„Und möge sich ihr Schatz auch jederzeit so frei von Eifersucht erweisen wie der Senn der Geschichte,‘ fügte neckend der Astronom dem Glückwunsche bei.

„Aber, Herr Doktor,“ unterbrach ihn da mitleidigen Tones die bisher so schweigsame Frau Kurz, „bringen Sie doch das liebe Kind nicht in Verlegenheit; sehen Sie nur, wie sie roth wird.“

„Das ist nur ein Beweis, wie sehr meine Vermuthung berechtigt ist, daß heutzutage auch in diesen entlegenen Revieren der Glaube an den Teufel verschwunden ist und daß so ein warmblütiger Bursche von heute, wenn er hörte, ein Mann sei bei seiner Liebsten gewesen, es habe sich aber herausgestellt, daß es der Satan selbst in höchsteigener Person war, diesem Berichte mit eifersüchtigem Mißtrauen begegnen würde.“

Die Stickerin legte erregt die Arbeit nieder, indem sie sinnend vor sich hinblickte.

„Es ist aber doch der Teufel, der auch noch heute sich neidisch zwischen liebende Herzen drängt, wenn er auch nimmer sichtbar mehr kommt,“ sagte sie dann.

„Wie meinst Du das, Bärbeli?“ fragte wiederum mit einem Lächeln warmen Wohlwollens die Frau des Fabrikanten, welcher, über diese Initiative seiner Gattin sichtlich erfreut, näher rückte, während er mit Behagen den blauen Rauch seiner Havanna kunstgerecht in Ringen vor sich hinblies.

„Ei, ich und mein Schatz wären beinah aus einander gekommen, ganz unnöthig, nur weil er eifersüchtig war. Die Eifersucht, das ist eben der Böse …, der Bötzler. Und die er heimsucht, wissen auch jetzt nicht um den Betrug, bis ihnen die Augen aufgehen.“

„Das mußt Du uns erzählen“ mahnte nun der Professor. „Wenn auch das Reisen keine Rolle dabei spielen sollte, so ist’s doch sicher ein Erlebniß, das hier in den Bergen spielt, die wir Städter nur vom Reisen her kennen.“

„Wohl ist auch das Reisen daran betheiligt,“ erwiderte eifrig das Mädchen. „Wenn die fremden Gäste, die auf ihrer Reise den Säntis besteigen, hier nicht vorüberkämen und in der Meglisalp einkehrten, wären wir beide nie uneins geworden.“

„O weh,“ scherzte der Maler, „so sind wir eigentlich sämmtlich Mitschuldige!“

„So ist es nicht gemeint,“ fuhr das Mädchen fort, ohne sich in ihrem Ernst stören zu lassen. „Und dann, was ich gleich jetzt sagen will, dem Reisen verdanken wir auch unser Glück, unsere schönsten Stunden.“

„Aha, das ist Wasser auf unsere Mühle! Aber nun wollen wir alle fein zuhören.“

Der Professor hätte diese Mahnung kaum nöthig gehabt, so andächtig lauschten bereits alle.

„Mein Schatz ist auf der anderen Seite des Säntis daheim, im Toggenburgischen. Sein Vater war ein Arbeiter in der großen Rothfärberei zu Ebnat-Kappel; auch er war als Knabe mit in der Fabrik beschäftigt, dann aber wurde er Schmied, und damals, als ich ihn kennen lernte. war er Gesell in der Schmiede von Neu St. Johann, das nur eine Stunde vom südlichen Fuße des Säntis gelegen ist. Es war am Sonntag nach Jakobi vor zwei Jahren. Ich war mit meinen Leuten zum großen Schwingfest aus die Bottersalp gezogen, welche in der Nähe des Krätzernwaldpasses grade in der Mitte zwischen unserem Weißbad und dem Rietbad der Toggenburger liegt. Dieses Schwingfest wird alle Jahre abgehalten; die kräftigsten und schönsten Sennen des Gebirgs strömen dann zusammen, um im Schwingkampf ihre Kräfte zu messen. Ich war damals noch ein halbes Kind und bewunderte gar sehr die Sieger; am allerbesten von ihnen gefiel mir aber der St. Johanner Schmied-Jakob. Der stolze Bub mochte dies wohl bemerkt haben, denn als es nachher aus Tanzen ging, kam er gar bald zu mir, als ob sich das von selbst verstünde, und holte mich zum Tanze, und als er dann mich im Kreise drehte, während ich, wie es sich gehört, meine Hände auf seine Schultern gelegt hielt und ihm grad ins Gesicht sehen mußte, da war mir’s, als versicherten mir seine Augen, daß er nur um mir zu gefallen seinen Gegner vorhin so mächtig geworfen habe. Später hat er mir’s auch mündlich gesagt, und als es ans Scheiden ging, da waren wir einig, daß von nun an eins dem andern sein Schatz sei.

Leider hatten wir wenig Aussichten, bald zu heirathen. Sein Vater war arm und er hatte auch noch weit hin, um sein Schmiedhandwerk selbständig zu betreiben. Auch sieht man’s bei uns nicht gern, wenn eine Innerrhoderin über die Grenze heirathet. So mußten wir unseren Verspruch geheim halten. Aber ein paar Zusammenkünfte mittenwegs auf den Pfaden zum Säntishaus machten wir doch möglich und bei unserer Alpstubeten im Herbst war auch er da und tanzte von allen am schönsten. Was mir aber noch ganz besonders gefiel, das war seine Stärke, mit der er es vor den andern zu verbergen vermochte, wie sehr er mich lieb hatte. Und doch stand uns der Abschied für die lange Winterszeit bevor. Als wir uns dann heimlich noch einmal trafen, da spürte ich’s wohl, welche Anstrengung ihm diese Selbstbeherrschung gekostet haben müsse. Ich wußte auch aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, seinem Schatz ein fremdthuendes Gesicht zu machen. Und nun einen ganzen Winter lang sich nicht sehen sollen – es kam uns hart an.

Statt daß aber dann das Wiedersehen im Frühjahr nach so langer Trennung um so fröhlicher gewesen wäre, brachte er aus seiner schwarzen Schmiede in die hellen Berge ein mißmuthig Herz mit. An den langen Winterabenden, wo die Burschen, die im Sommer den Fremden als Führer auf den Säntis und zum hohen Kamorn dienen, müßig im Wirthshaus sitzen, hatte er allerhand dummes Gerede gehört, wie die Fremden in den Gasthäusern und Schutzhütten den Mädlen schön thäten und diese nicht spröde wären, sondern sich noch etwas drauf einbildeten, wenn so ein Städtischer ihnen den Kopf verdrehe. Ich suchte ihn zu beruhigen. Es sei nur in Ordnung, daß wir den Gästen,

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