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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

sondern auch an dauerndes Glück zu glauben gelehrt. Wenn niemand sonst sich zum Worte meldet, will ich Ihnen dies Erlebniß erzählen.“

„Bitte, Herr Professor! Wir hören!“

„Jene Tage liegen bereits so abgeklärt hinter mir, daß ich von dem jungen Privatdozenten Hermann Schröder, dem Helden meiner Geschichte, völlig objektiv erzählen kann, wie von einem guten Freund, an dessen Jugendgeschicken ich einstmals herzlichen Antheil genommen. Wie schon angedeutet, war dieser für seine Wissenschaft begeisterte junge Gelehrte in der Zeit, welche jenem Erlebniß vorausging, von einem Pessimismus angekränkelt, wie er ihn später nie hat theilen können. Dieser Pessimismus war freilich keine Aeußerung eines etwa angeborenen Trübsinns, sondern die Folge von Ereignissen, die nicht nur auf ihn so niederdrückend gewirkt haben. Seine Universitätsjahre fielen in jene Zeit, da die Träger der deutschen Bildung von der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche eine Neuerrichtung des deutschen Reichs im Zeichen der Freiheit erhofften und auch anfangs erhoffen durften in Anbetracht der Begeisterung, mit welcher, gleich den edelsten deutschen Männern wie Grimm und Uhland, der beste Kern des Volks in allen Schichten diesem Ideale anhing und zustrebte. Ein geborener Rheinländer, studirte unser junger Freund in Bonn, anfangs die Rechte, bis er sich mit wachsender Ausschließlichkeit den schönen Wissenschaften, im besonderen der Litteratur- und Kunstgeschichte, zuwandte, angezogen durch die glänzenden Vorträge Gottfried Kinkels, welchem er auch trotz des Unterschieds in Stellung und Alter freundschaftlich näher trat. Die in dem engeren Kreise des wegen seines Freisinns schon wiederholt gemaßregelten Dichters herrschende politische Erregtheit, seine Theilnahme an den Kämpfen für die Verwirklichung eines freigeeinten deutschen Vaterlands ergriff auch ihn, und als die so schön erblühten Hoffnungen dann im Jahre 1848 gewaltsam zerstört wurden, fand die revolutionäre Gegenbewegung der Patrioten auch ihn in ihren Reihen. An dem Sturm auf das Zeughaus in Siegburg nahm auch er theil und würde dem geliebten Lehrer und Führer sogar auf den Kampfplatz in der Pfalz und Baden gefolgt sein, wenn ihn nicht direkt nach jener Sturmnacht ein hitziges Nervenfieber ergriffen und ihn jeder Theilnahme an allem, was ihm theuer war, entzogen hätte…

Doch mich beengt die objektive Erzählungsform, die ich wählte, lassen Sie mich nicht mehr wie von einem Fremden, sondern frei von der Leber weg von mir selber erzählen.

Als ich wieder genas, war Kinkel gefangen und mit ihm so mancher, auch mir lieber Gefährte des Siegburger Waffenganges; andere Gesinnungsgenossen waren nach der Schweiz und England geflohen, denn die Reaktion wüthete unbarmherzig. Auch ich wandte mich nach Zürich, wo ich meine Studien zum Abschluß brachte, mein Doktorexamen bestand und dann an die Ausarbeitung eines größeren litterargeschichtlichen Werkes ging, das meiner Geistesrichtung entsprach; es behandelte die Anfänge der politischen Dichtung im Mittelalter. Die Arbeit sollte mir die akademische Laufbahn ebnen, für welche ich inneren Beruf fühlte. Sie sollte mich aber auch abziehen von der Gedankenwelt trübster und kraftlosester Art, welche sich meines Gemüthes infolge des Fehlschlagens jener großen Erwartungen bemächtigt hatte. Empfand ich doch sogar meine Freiheit, mein Unbehelligtbleiben, während meine Freunde im Kerker schmachteten, als eine Schuld, obgleich ich doch wahrlich nicht dafür verantwortlich war, daß meine Natur unter den ungewohnten Aufregungen so schnell einem Nervenfieber zur Beute fiel. Bei den Eindrücken, welche mich nach dem Verlassen des langen Krankenlagers empfingen, hatte mein angegriffenes Geistes- und Seelenleben nicht recht wieder genesen können. Eine allgemeine Verstimmung der Nerven war zurückgeblieben, ein die Thatkraft lähmendes Mißtrauen in meine Kraft und die Kraft der Menschen überhaupt; sie äußerten sich in einem resignirten Verstummen all den idealen Fragen gegenüber, die mir vorher das Herz so mächtig bewegt hatten, während mein Geist über die Unzulänglichkeit menschlichen Wollens, über die Ohnmacht idealen Strebens trostlos grübelte. Ich empfand es als demüthigende Schmach, durch die Schwächlichkeit meines Körpers um die Ehre gebracht worden zu sein, für meine Gesinnungen im offenen Kampfe einzustehen, und mit Neid auf das Märtyrerthum meiner eingekerkerten Genossen las ich die Berichte von deren kühner Standhaftigkeit im Verhör, während sich um meine geringe Betheiligung selbst die Untersuchungskommissionen nicht kümmerten. Meiner Heimkehr ins Vaterland stand nicht einmal ein elender Steckbrief im Wege.

Dennoch trat ich dieselbe nicht an. Die Nachrichten von der Reaktion, die auf allen Gebieten geistigen Lebens Platz gegriffen, lauteten zu abschreckend für einen jungen Gelehrten, für dessen Beruf Gedanken- und Redefreiheit Voraussetzung des Gedeihens sind. So habilitirte ich mich in Zürich als Privatdozent und verwandte den größeren Theil meiner Zeit auf mein Buch, dessen Interesse mich schließlich doch nöthigte, einige deutsche Städte ihrer Bibliotheken wegen aufzusuchen, um dort gewisse Quellenwerke und Handschriften zu benutzen.

Eine solche Reise führte mich im Frühjahr 1851 nach Wien, und da mich dort unvermuthete Funde von Manuskripten, die ich auf der kaiserlichen Bibliothek machte, zu einer durchgreifenden Umarbeitung mehrerer Kapitel meines Buchs nöthigten, blieb ich dort länger, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, sagte für das Semester meine Vorlesungen ab und miethete mich in der Nähe der Bibliothek ein, wo ich mich bald derart hinter meinen Büchern eingesponnen hatte, daß ich von den Lockungen des Frühlings und der lebenslustigen Kaiserstadt kaum etwas spürte. Für mich war und blieb diese das ‚Capua der Geister‘, wie sie der strafende Mund des Dichters genannt hatte. Der fröhlich leichte Sinn der Bevölkerung erschien mir so kurze Zeit nach den furchtbaren Auftritten der Straßenkämpfe fast als frivole Leichtfertigkeit.

An jene Tage, da auch in Wien, dem Wien Metternichs, für die Freiheit gekämpft wurde, fühlte ich mich täglich beim Auf- und Niedersteigen der Treppe zu meiner hochgelegenen Wohnung durch das Schild vor der Wohnung des ersten Stockwerks erinnert, das einen altaristokratischen Namen trug, welcher, einem der Führer der Reaktion in Oesterreich zugehörig, damals viel, in liberalen Kreisen aber immer nur mit Abneigung, ja erbittertem Grimm genannt wurde. Freilich war es nicht jener berüchtigte Staatsmann selbst, der hier wohnte. Wie ich von meiner Wirthin, einer gutmütigen alten Wiener Kleinbürgerin, der ein Plausch über alles ging, schon bald nach meinem Einzug erfuhr, wurde der erste Stock von einer Schwägerin des gefürchteten ‚Demagogenriechers‘ bewohnt, deren Mann Leibarzt eines der kaiserlichen Erzherzöge gewesen und früh gestorben war. Sie bewohnte die schöne Etage mit ihrer einzigen Tochter. Auch zu sehen bekam ich beide bald.

Der Eindruck war ein sehr verschiedener. Die alte Medizinalräthin hatte in ihrem Wesen und Antlitz ganz jenen Stolz ausgeprägt, der den Ambitionen dieser Familie entsprach, und ihre kühle, strenge Art wirkte um so auffälliger, als die Dame beständig auf die Hilfe und Liebe von ihr untergebenen Menschen angewiesen war: sie hatte ein neuralgisches Leiden und mußte sich im Rollstuhl fahren lassen. Die Tochter, deren Gestalt von vollendeter Schönheit war, hatte dagegen in ihren Zügen zwar auch einen Zug von ernster Zurückhaltung und vornehmem Selbstbewußtsein, welcher die natürliche Anmuth derselben beeinträchtigte, aber in ihrem Blicke äußerte sich ein warmes Seelenleben, das sehr wenig zu der frostigen Gemessenheit ihres Benehmens paßte.

Ich hatte gleich beim ersten Begegnen Gelegenheit, diesen Blick kennen zu lernen. Bei der Rückkehr von der Bibliothek fand ich eines Abends den Eingang ins Haus gesperrt durch den Rollstuhl der alten Dame, der von einem gleichfalls bejahrten Diener in den Flur geschoben wurde. Da ihm die Schwelle bei dieser Manipulation einige Schwierigkeit machte, war das Fräulein vor der Thür stehen geblieben und ich wurde auf diese Weise ihr Gegenüber, da ich natürlich auch warten mußte. Unwillkürlich lüftete ich grüßend den Hut; sie erwiderte den Gruß mit einer kühlen, kaum merklichen Neigung des Kopfes, doch mit einem Blick, der in höflichster Weise um Entschuldigung bat wegen der von der Mutter verursachten Störung der Passage. Diese stumme Art nöthigte mich unwillkürlich auch zum Schweigen; sie verdroß mich, denn ich meinte, darin die Anmaßung der jungen Aristokratin erkennen zu sollen. Während der Diener in Gemeinschaft mit einem Stubenmädchen, das heruntergeeilt war, den Rollstuhl sammt der Baronin hinauftrug, passirte dem Manne ein Unglück. Er trat fehl, strauchelte und wäre wahrscheinlich gefallen, wenn ich, der ich hinter ihm schritt, ihn nicht hätte

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