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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Waltenberg kann sich freilich diesen Luxus gestatten, er hat die Mittel dazu. Er ist im Grunde ebenso excentrisch wie Du, Ihr seid Euch im höchsten Grade ähnlich und deshalb begreife ich nicht, was Du eigentlich an ihm auszusetzen hast.“

„Seinen Egoismus! Er lebt nur für sich und für das, was ihm Lebensgenuß heißt. Er kennt weder Vaterland noch Beruf, weder Pflichten noch Ehrgeiz, will das alles nicht kennen, weil es ihn in diesem Genusse stört. Ein solcher Mann wird nie ein ernstes Streben, nie eine Zukunft haben und er kann auch eine Frau nicht lieben, denn er liebt nur sich allein.“

„Er bietet Dir aber seine Hand und das ist in diesem Falle die Hauptsache. Wenn Du von Deinem künftigen Gatten nur Ehrgeiz und Energie verlangst, dann allerdings hättest Du Wolfgang heirathen müssen. Der hat eine Zukunft, dafür verbürge ich mich.“

Erna zuckte zusammen und ihre Stimme klang beinahe schneidend, als sie rief:

„Verschone mich mit solchen Scherzen, Onkel – ich bitte Dich!“

„Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt,“ sagte Nordheim scharf. „Aber beiläufig, Erna, Dein Verhältniß zu Wolfgang ist ein sehr unerquickliches und die Art, wie Ihr beide Euch gegenübersteht, ist wenig angenehm für die Umgebung. Ich bitte ernstlich, den schroffen Ton zu ändern, der nachgrade bei Euch zur Regel geworden ist. – Um aber wieder auf die Hauptsache zurückzukommen, so scheinst Du zu glauben, daß Du unter allen möglichen Bewerbern zu wählen hast, bis irgend einer Deinem Ideale entspricht. Es thut mir leid, Dich aus Deinem Irrthum reißen zu müssen, aber Du hast überhaupt keine Wahl. Ein armes Mädchen wird allerdings umschwärmt und gefeiert, wenn sie schön ist – geheiratet wird sie für gewöhnlich nicht, denn die Männer verstehen zu rechnen. Dieser Antrag ist der erste, den Du erhältst, und wird voraussichtlich der einzige bleiben; überdies ist es eine glänzende Partie, auf die Du gar nicht rechnen konntest – Du hast allen Grund, zuzugreifen.“

Die Worte wurden nicht in dem Tone vernünftiger wohlwollender Ermahnung gesprochen, es lag etwas unglaublich Herzloses und Verletzendes in der Art, mit der Präsident Nordheim seiner Nichte auseinandersetzte, daß sie trotz ihrer Schönheit gar keinen Anspruch darauf habe, geliebt und gewählt zu werden, weil sie arm sei. Erna war bleich geworden und ihre Lippen bebten, aber ihr Gesicht sprach eher alles andere aus als Fügsamkeit.

„Und wenn ich trotz alledem nicht zugreife?“ fragte sie langsam.

„So hast Du Dir die Folgen selbst zuzuschreiben. Deine Stellung dürfte keine beneidenswerthe sein, wenn Du unvermählt bleibst. Alice heirathet im nächsten Jahre, wie Du weißt.“

„Und in demselben Jahre werde ich mündig – und frei!“

„Frei!“ spottete Nordheim. „Wie großartig das klingt! Du bist wohl in Fesseln und Banden in meinem Hause, wo Du als Tochter aufgenommen wurdest? Oder pochst Du vielleicht auf Dein väterliches Erbtheil? Das ist nicht mehr als ein Bettelpfennig und Du bist an die Ansprüche einer vornehmen Dame gewöhnt.“

„Ich habe mit meinem Vater in den einfachsten Verhältnissen gelebt,“ sagte Erna bitter, „und wir sind glücklich gewesen – in Deinem Hause war ich es nie!“

Der Präsident zuckte verächtlich die Achseln.

„Ja, Du bist die echte Tochter Deines Vaters! Der zog es auch vor, auf einem Bauernhofe zu hausen, statt mit seinem alten Namen in der Welt Carriere zu machen. Nun, Waltenberg bietet Dir ja die ersehnte Freiheit. Als seine Gattin hast Du Reichthum und Lebensstellung, er wird Dir jeden Wunsch befriedigen, jede Laune erfüllen, wenn Du es verstehst, ihn zu beherrschen. Ich fordere zum letzten Male, daß Du die Sache vernünftig ansiehst. Thust Du es nicht, so sind wir beide zu Ende mit einander. Ich habe keine Duldung für Ueberspanntheiten, die sich in der Thurgauschen Familie fortzuerben scheinen.“

Erna gab keine Antwort und er schien sie auch nicht zu erwarten, denn er wandte sich zum Gehen, blieb aber an der Thür noch einmal stehen und sagte mit eisigem Nachdruck:

„Ich hoffe mit aller Bestimmtheit, Dich bei meiner Rückkehr als Braut zu finden – leb’ wohl!“

Er ging und einige Minuten später hörte man seinen Wagen fortrollen.

Erna warf sich in einen Sessel, das Gespräch hatte sie doch tiefer erregt, als sie dem kalten Manne zeigen wollte, der ihre Vermählung einzig und allein als ein vorteilhaftes Geschäft behandelte.

Als Braut! Sie schreckte zurück vor dem Worte, das sonst einen Zauberklang hat für jedes Mädchen, und doch wurde sie geliebt von jenem Manne, dem einzigen, der nicht danach fragte, ob sie reich oder arm sei, der sie hinausführen wollte aus diesem Hause, wo das Geld allem regierte, weit fort, in eine Welt von Freiheit und Schönheit! Vielleicht lernte sie es dennoch, ihn zu lieben, vielleicht war er trotzalledem der Liebe werth! War es denn nicht möglich, sich zu überwinden?

Sie verbarg in qualvollem inneren Kampfe das Gesicht in beiden Händen. Da fühlte sie eine leise, schmeichelnde Berührung. Greif war unbemerkt hereingekommen und stand jetzt dicht vor ihr. Er legte den mächtigen Kopf in ihren Schoß und sah sie fragend an mit seinen großen schönen Augen, als fühle er das Leid seiner jungen Herrin mit. Sie blickte auf, das Thier war ihr ja das Einzige, was sie gerettet hatte aus jener glücklichen, sonnigen Jugendzeit in den Bergen an der Seite des Vaters, dessen vergötterter Liebling sie war. Jetzt ruhte er längst schon im Grabe, die alte theure Heimath war verschwunden von der Erde und sein einziges Kind lebte in dem fremden Hause, eine Fremde, trotz aller Verwandtschaftsbande.

Erna schluchzte plötzlich laut auf, sie schlang beide Arme um den Hals des Hundes und sich zu ihm niederbeugend flüsterte sie:

„O Greif, wären wir doch wieder in dem alten Wolkensteiner Hofe, wären sie nie gekommen, diese Fremden! Sie haben Deinem Herrn den Tod gebracht und mir – noch Schwereres!“




Der Wagen des Präsidenten rollte schon auf der Bergstraße dahin, die bis zur Eröffnung der Bahn die einzige Verbindung war, als Elmhorst und Reinsfeld die Wohnung des ersteren verließen und zu der Villa emporstiegen. Der künftige Schwiegersohn bedurfte natürlich keiner Anmeldung, die Diener bückten sich tief vor ihm und er führte den Freund sofort zu seiner Braut. Wenn der Doktor aber schon dem Besuche selbst mit Befangenheit entgegensah, so wurde er vollends bedrückt durch diese Umgebung, an die er so gar nicht gewöhnt war.

Er stand auf weichen Teppichen, die jeden Schritt unhörbar machten, inmitten eines Zimmers, das ihm wie ein Zaubergemach erschien. Die weißen Spitzenvorhänge an den Fenstern waren herabgelassen und schufen eine halbe Dämmerung in dem kleinen Raume, der dadurch nur um so schöner und behaglicher schien mit seinen hellgrauen Tapeten und dem matten Blau der seidenen Polster und Portieren. Nur wenige Gemälde schmückten die Wände und eine Statuette von weißem Marmor erhob sich aus einer Blumengruppe, deren Düfte leise die Luft durchhauchten. Es war hier alles so licht, so zart und duftig wie in einem Elfenreiche.

Aber Benno war leider nicht gewohnt, mit Elfen zu verkehren. Er stolperte über den Teppich, ließ seinen Hut fallen, bückte sich danach und stieß, als er sich wieder aufrichtete, ein Tischchen um, das Wolfgang noch glücklich auffing und vor dem Fall bewahrte. Stumm und wehrlos ließ er die unvermeidliche Vorstellung über sich ergehen, machte eine höchst ungeschickte Verbeugung und als nun noch das kalte, strenge Gesicht der Frau von Lasberg vor ihm auftauchte, die mit sichtbarem Befremden diese „Persönlichkeit“ musterte, da war es ganz aus mit seiner Fassung.

Elmhorst runzelte die Stirn; so schlimm hatte er sich die Sache doch nicht gedacht. Aber sie war nun einmal angefangen und mußte durchgeführt werden. Er kürzte daher die Vorstellung möglichst ab, zur großen Erleichterung des armen Benno, der in seinem altmodischen Staatsanzuge wirklich eine höchst unglückliche Figur spielte. Er hielt den „Aufgebügelten“ krampfhaft fest in den Händen, welche nunmehr die verhängnißvollen „Gelben“ schmückten; sie waren ihm natürlich um zwei Nummern zu weit und schlotterten förmlich um seine Finger. Der Herr Oberingenieur legte in der That keine Ehre ein mit seinem Freunde, als er ihn zu seiner Braut führte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_551.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)