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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Auf dem Schreibtisch Wolfgangs stand in einem reichgeschnitzten Rahmen Alicens Bild. Es war ähnlich, aber wenig vortheilhaft, denn die zarten weichen Linien der Züge verschwammen allzu sehr in der Photographie und die Augen waren völlig ausdruckslos. Die schlanke junge Dame in der überreichen Toilette machte hier völlig den Eindruck einer jener nervösen, blasirten Erscheinungen, wie man sie oft in der großen Welt findet. Auch Doktor Reinsfeld schien dieser Meinung zu sein; er sah auf das Bild, dann auf seinen Freund und bemerkte trocken. „Glücklich bist Du aber nicht geworden dadurch, daß Du Dein Ziel erreicht!“

Wolfgang wandte sich rasch und heftig um.

„Warum nicht? Was meinst Du damit?“

„Nun, fahre nur nicht gleich wieder auf! Ich kann mir nicht helfen, aber Du bist verändert seit den letzten Monaten. Ich erhalte aus der Stadt die Nachricht Deiner Verlobung und denke, Du wirst zurückkommen, strahlend vor Triumph über die Verwirklichung all Deiner Zukunftspläne, statt dessen bist Du fortwährend ernst, verstimmt, reizbar im höchsten Grade, Du, der allezeit Ruhige und Besonnene – was hast Du eigentlich, Wolf?“

„Nichts! Laß mich in Ruhe!“ lautete die abweisende Antwort, aber Benno trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

„Wenn Deine Verlobung eine Herzensgeschichte wäre, so würde ich glauben, daß da etwas nicht in Ordnung ist, aber –“

„Ich habe ja kein Herz, Du hast es mir oft genug gesagt,“ warf Wolfgang bitter ein.

„Nein, Du hast nur Ehrgeiz – weiter nichts!“ sagte Reinsfeld ernst.

Elmhorst machte eine ungeduldige Bewegung.

„Predige nicht schon wieder, Benno! Du weißt, in dem Punkte verstehen wir uns nicht. Du bist und bleibst –“

„Der überspannte Idealist, der lieber mit seiner Herzallerliebsten trockenes Brot ißt, als mit einer vornehmen Frau Gemahlin in der Equipage fährt! Ja, ich bin nun einmal so unpraktisch angelegt, und vorläufig reicht es noch nicht einmal zum Brot für Zwei aus, deshalb ist es ein Glück, daß ich überhaupt keine Herzallerliebste habe.“

„Wir müssen gehen,“ sagte Wolfgang abbrechend. „Alice erwartet mich um zwölf Uhr, und nun thu’ mir den Gefallen und nimm Dich wenigstens etwas zusammen. Ich glaube, Du kannst nicht einmal mehr eine regelrechte Verbeugung machen.“

„Ist auch sonst nicht nöthig bei meinen Patienten,“ versetzte Benno trotzig. „Die sind zufrieden, wenn ihnen geholfen wird, ohne Verbeugung, und wenn Du keine Ehre mit mir einlegst bei Deinem vornehmen Fräulein Braut, so ist es Deine Schuld; warum schleppst Du mich hin wie ein Opferlamm. – Fräulein von Thurgau ist doch wenigstens mit gekommen?“

„Jawohl!“

„Und sie ist vermutlich auch eine große Dame geworden?“

„In Deinem Sinne allerdings.“

Die Antworten klangen sehr einsilbig und lauteten nicht sehr tröstlich für den


Ein verkanntes Genie.
Originalzeichnung von C. W. Allers.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 549. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_549.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)