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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Begrüßung meiner verlegen und scheu dreinblickenden Tänzerin zu mir:

„Thut mir leid, Fuchs; wir müssen gehen. Die andern sind schon voraus. Haben so schon Zeit verloren mit dem Suchen nach Dir! Doch Du wirst das Fräulein gewiß noch zu ihrem Platz führen wollen. Also wir warten dort an der Ecke. Mein Fräulein, habe die Ehre!“

Ein Student im ersten Semester steht viel zu widerstandslos unter dem Regiment seines Leibburschen, als daß ich in diesem entscheidenden Augenblick zu widersprechen gewagt hätte, zumal die Freunde bereits auf mich gewartet hatten. In verlegener Eile und mit stammelnden Entschuldigungen geleitete ich das bis in die Stirn erröthete Mädchen zu den Ihren, empfahl mich dort mit dem Hinweis, daß mich die Rücksicht auf meine Reisegefährten zum Aufbruch zwinge, und dann machte ich Kehrt und mir war, als sei plötzlich die Sonne hinter Wolken verschwunden. Unwillkürlich hatte ich beim Weggehen „auf Wiedersehen“ gesagt, und zu spät fiel mir’s auf die Seele, daß ich nicht einmal den Namen des Mädchens erfahren hatte. Zerstreut zahlte ich an den Wirth meine kleine Zeche, und wenn mich nicht eine Bemerkung meines Leibburschen daran erinnert hätte, so würde ich ganz vergessen haben, meiner kleinen Tänzerin mit dem eifersüchtigen Köpfchen Lebewohl zu sagen. So that ich’s von weitem, indem ich meinen Hut gegen sie schwenkte.

„Aber, Fuchs, Dich dürfen wir ja gar nicht mehr allein lassen. Das geht doch über das Bohnenlied,“ hieß es nun, indem die Freunde sich gegenseitig darauf aufmerksam machten, daß das Mädchen mit dem Ausdruck schweren Mißmuths mich ziehen sah. „Es ist im Grunde klug von Dir, Fuchs, daß Du Dich um das Skatspielen ‚drückst‘. Du würdest höllisch verlieren bei so viel Glück in der Liebe!“

Ich aber fühlte nichts von diesem Glück, sondern im Gegentheil nur Aerger über die frühe und jähe Unterbrechung eines so poetisch sich anspinnenden Abenteuers. Um den Neckereien der Kameraden, die es übrigens herzlich gut mit mir meinten, ein Ende zu setzen, erzählte ich ihnen von dem Unglücksfall, der mein kleines Reiseabenteuer eingeleitet hatte. Der Schmied des Orts war eben mit der Reparatur des Wagens beschäftigt. Den daneben stehenden Kutscher hätte ich gar zu gern nach dem Namen seiner Herrschaft gefragt, aber ich fürchtete, meine Freunde würden mir dies als Zeichen der Verliebtheit auslegen, und so schwieg ich. Diese stimmten im Weiterschreiten ein übermüthiges Wanderlied an, in dem es von den Mädchen heißt, daß sie mit Sehnsucht dem weiterziehenden Burschen nachblicken, an den sie ihr Herz verloren; er aber könne sich nicht aufhalten, denn höher noch als Kuß und Liebesglück stehe ihm seine Freiheit. „Wonach zu achten, Fuchs,“ sagte am Schluß des kecken Gesangs mein Leibbursch Lorenz. Und damit war das Thema unter uns erledigt und wir gaben uns gemeinsam den Eindruücken der uns umgebenden Natur hin, deren zauberischer Reiz um so fesselnder ward, je mehr sich das Thal verengte, je wilder zerklüftet die röthlichgrauen Felsen am Ufer der Schwarza zwischen dem dunklen Tannengrün und dem lichten Laubgebüsch emporragten, je ungestümer und kecker das frische Berggewässer vorwärts stürzte, die Vergißmeinnicht am Ufer nur flüchtig berührend, wie ein fröhlicher Gesell in brausender Jugendlust auch weiter stürmt, ob auch freundliche Mädchenaugen am Wege zum Weilen laden.

Abends in Schwarzburg, wo sich im „Thüringer Hof“ wieder eine ganze Kneiptafel fideler Scholaren zusammengefunden hatte, brachten meine zwei Gefährten das Gespräch auf mein Abenteuer und eines der bemoosten Häupter knüpfte daran in salbungsvollem Ton eine recht leichtsinnige Betrachtung über die schöne Einrichtung der Welt, die so groß sei, daß man jeden Tag einem andern Mädchen den Hof machen könne, ohne nur einem wieder am nächsten Tag begegnen zu müssen. Ein anderer, der aus Livland stammte und auch mit zwei Freunden von Jena aus eine Pfingsttour unternommen hatte, erzählte ein lustiges Abenteuer, das sie zusammen am frühen Morgen erlebt hatten. In Rußland besteht bekanntlich die Sitte des Osterkusses. Beim ersten Begegnen am Ostermorgen wird ein Kuß ausgetauscht, wobei man Christos woskress (Christ ist erstanden) sagt. Die drei waren nun früh am Morgen mitten im Feld einem hübschen Bauernmädchen begegnet und der Livländer hatte sie angehalten und mit freier Benutzung dieses Osterkußmotivs ihr auseinandergesetzt, er müsse als Russe heiligem Brauche gemäß dem ersten Mädchen, dem er morgens am Pfingsttag begegne, einen Kuß geben. Offenbar hatte er das recht gut vorgebracht, denn das Mädchen war auf die Schelmerei insoweit eingegangen, daß sie stehen geblieben war und sich vorsichtig umgeblickt hatte, wie um sich zu vergewissern, ob sie allein sei. Der Livländer hatte jedoch diese Gelegenheit versäumt und gewartet, was sie weiter thun werde, indem er sich in theologische Spitzfindigkeiten verlor, die das Landkind unmöglich verstehen konnte. Da hatte sie sich zu den beiden anderen gewandt: ob die Herren auch Russen seien. Und ohne viel Zögern habe darauf der kleinste der drei, ein fideler Breslauer, ihr entgegnet: bloß Freund von Ruß, doch auch Freund von Kuß, habe sich auf die Zehen gehoben und der stattlichen Tochter des Thüringerwaldes einen herzhaften Kuß gegeben. Die habe darauf gelacht und sich dann davon gemacht; der Livländer aber hatte das Nachsehen, weil er, als es zu handeln galt, die günstige Gelegenheit verschwatzt hatte.

In der folgenden Nacht hatte ich einen quälenden Traum Ich war im Garten des Lindenwirths in dem Dorf an der Straße nach Blankenburg; nur war derselbe viel größer als in Wirklichkeit. Die tanzlustige Wirthstochter verfolgte mich auf den Kieswegen, über die ich mit um so größerer Hast jagte, als die Verfolgerin mir näher kam, welche in allen Tonarten mir zurief, ich solle doch stehen bleiben und mit ihr hinter die Laube treten, wo uns niemand sehen könne, und da wolle sie mir einen Kuß geben. Dort hinter der Laube aber stand, das fühlte ich instinktiv, zwischen blühenden Syringensträuchern das weißgekleidete Fräulein. Ihr wollte ich den Kuß geben, um den mich meine Verfolgerin bat. Aber da ich auch nicht von jener dabei gesehen sein wollte, lief ich immer zu, bis jene ermüdet sein und die Jagd einstellen würde. Endlich geschah dies. Nun eilte ich hinter die Laube. Aber ich kam zu spät. Das holde Mädchen in Weiß war freilich dagewesen, jetzt aber wurde sie von Wolken hinweg getragen, unwiederbringlich, und sie konnte mir nur aus der Ferne mit den Händen zuwinken, während der traurige Blick ihres Auges klagte: warum säumtest Du so lange? Jetzt ist’s zu spät!

Und nun merken Sie auf, wie seltsam das Reiseglück mit mir am folgenden Tag spielte. Wir waren früh bei Zeiten aufgebrochen, den schönen Waldweg hinauf zum Trippstein und von dort über Paulinzelle, wo wir nach Besichtigung der alten Klosterruinen Mittag hielten. Am Nachmittage ging’s gemächlich auf einem Waldwege nach Gräfinau, um von dort aus weiter zum Abend nach Ilmenau zu gelangen. Bald hinter ersterem Orte, gerade als wir an einem Kreuzwege uns im Zweifel befanden, welchen Pfad wir zu gehen hätten, trafen wir auf einen Landgendarmen, einen trotz seines martialischen Aussehens und riesigen Vollbarts recht gemüthlichen Vertreter der gestrengen Polizei, der uns nicht nur den Weg zeigte, sondern auch Feuer für unsere ausgegangenen Cigarren anbot, wogegen er eine frische von uns annahm und sich selbst anzündete. Er erklärte, denselben Weg zu gehen, und hatte sich bald mit meinen Freunden in ein Gespräch eingelassen über allerhand aufregende Ereignisse aus der Verbrecherwelt, wofür dem Gendarmen seine Praxis, meinen Freunden der „Neue Pitaval“ den Stoff lieferte, dessen Bände sie gerade damals eifriger studirten, als das Corpus Juris und Windscheids Pandekten. Mir behagten diese Räubergeschichten nicht, die sehr wenig zu meiner Stimmung paßten; aber sie ließen sich nicht stören; eine Geschichte gab die andere, das Thema war zu ergiebig. Erst als der biedere Mann der Ordnung gelegentlich einer Erzählung erwähnte, daß er auch Skat spiele, nahm das Gespräch eine andere Wendung, die dahin führte, daß beim nächsten Wirthshaus die beiden Spielratten den Gendarm einluden, mit ihnen einzukehren und ein paar Stunden zu spielen. Mein Protestiren half nichts. Ich könne mir ja die schöne Gegend betrachten, das müsse für einen „Natursimpler“ wie ich doch noch ein größeres Vergnügen sein; ich aber sagte unwirsch: „Nun gut, ich gehe voraus; in Ilmenau treffen wir uns abends in dem Gasthaus, das uns eben der Herr Gendarm empfohlen hat.“ –

Aergerlich ging ich vorwärts; doch der Blick auf die in der That herrliche Umgebung und die zur Rüste sich neigende Sonne, die im Westen die dunklen Waldberge mit rothem Lichtschein überflutete, gab mich bald wieder der träumerisch wohligen Stimmung zurück, die schon den ganzen Tag mich beherrscht hatte. Das

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