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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Dem Alter gebührt die Ehre,“ stichelte der Astronom, der sich als Jüngster in dem Kreise fühlte.

„Das hieße die natürliche Ordnung aus den Kopf stellen,“ entgegnete der Professor. „Je älter wir sind, um so reicher sind wir an Reiseerinnerungen und um so mehr Zeit brauchen wir also, die schönste aus der Menge herauszusuchen.“

„Es ist wirklich recht schwer,“ seufzte Herr Kurz, der mit gerunzelter Stirn vor sich hinbrütete. Seine Frau sah ihn vorwurfsvoll an. „Aber, Mann mußt Du erst nachdenken, welches Dein schönster Reisetag war?“

„Natürlich unser Verlobungstag, Lina, ich weiß wohl,“ beschwichtigte der Mann; „aber das ist doch keine Geschichte.“

Doch der Professor schlichtete den Streit mit einem Gewaltspruch. „Herr Doktor Helbig, kraft der mir übertragenen Befugniß als Präsident ersuche ich Sie, den Reigen des Erzählens zu eröffnen.“

„Nun gut! Dann müssen Sie es mir aber auch nicht verargen, wenn ich die grade heranschwimmende Erinnerung aus meinem Gedächtnißstrom heraufangele und für die beste erkläre, weil sie eben die erste ist. Ich könnte ihr den Titel geben: ‚Wenn man nicht Skat kann.‘ Für die poetischeren Gemüther unter uns empfiehlt sich dagegen als Titel ein Wort, mit welchem ich die ganz eigenthümliche, aus Abenteuerlust, Naturgenuß und Freiheitsgefühl gemischte Stimmung bezeichnen möchte, die man namentlich in der Jugend beim frohen Wandern über Berg und Thal empfindet; unser litteraturkundiger Präsident gestatte mir den Anklang an den ‚Waldeszauber‘ Eichendorffs; das Wort heißt: ‚Wanderzauber‘!“

(Fortsetzung folgt.)




Blumen-Luxus.

Die Mode spottet bekanntlich aller Logik und so stecken auch unsere Frauen, wenn die Natur erstarrt im Winterschlaf liegt, die duftigen Rosen in das Haar, während im Sommer, wenn die Kinder Floras siegreich alle Felder und Gauen behaupten, Kunstblumen aller Art auf den Damenhüten erscheinen. Aber die Blume selbst, sei sie nun Kunst oder Natur, gehört zu dem Luxus unserer Tage, wie sie in allen früheren Zeiten ihre Rolle spielte. Wie ein poetisches Symbol zieht sie sich durch die alte und die neue Geschichte, schmückt die Heldengräber und die Burgruinen, huldigt der Schönheit und dem Ruhme, windet der Zukunft ihre farbenprangenden Kränze. Sie beherrschte alle Ceremonien der alten Völker, und die christliche Kirche, die sie anfangs als ein Abzeichen des Heidenthums ausschloß, wollte sich schließlich auch nicht mehr ihrem blühenden Zauber entziehen. Fortunatus, Bischof von Poitiers, schrieb ein zierliches Gedicht an die Königin Radegund und die Aebtissin Agnes von Poitiers und sagte darin: „In dieser schönen Frühlingszeit schmücken alle Menschen ihre Häuser mit Blumen. Ihr aber sollt die herrlichen Blumen sammeln, sie zur Kirche tragen und damit die Altäre schmücken, damit sie in leuchtenden Farben erglänzen. Der goldne Krokus geselle sich zum holden Veilchen, grelles Roth sei durch schimmerndes Weiß abgelöst, dunkles Blau zu Grün gesellt. Es ist ein Kampf unter Blumen, die eine siegt durch ihre triumphirende Schönheit, die andere durch ihren süßen Duft; sie verdunkeln alle Edelsteine und spotten des Weihrauchs.“

Das war im sechsten Jahrhundert, in Rom aber schmückt man noch heute in der Kirche der Santa Maria Maggiore die Altäre mit weißen Rosen und Jasminblüthen. Die Blume gehörte im Mittelalter zum höchsten Luxus der Kirche. Die anglikanische Kirche kennt noch heute keinen höheren Prunk und vor Ostersonntag drängen sich aus dem Blumenmarkt von Covent Garden unzählige Churchmen zwischen vornehmen Ladies, um wahre Wagenladungen prächtiger Blumen für den Schmuck der Altäre zu erwerben. Die Römer bekränzten ihr Haupt, und darum wies die christliche Kirche anfangs diesen Gebrauch zurück, im neunten Jahrhundert aber waren bereits die Kränze von Rosen und Myrthen für Braut und Bräutigam, die der christliche Priester verband, allgemein. Die plötzlich verpönten Grabkränze erschienen zuerst wieder auf den kleinen Särgen der christlichen Kinder und spielten bald bei den Begräbnissen überhaupt die wichtigste Rolle, die sie noch heute innehaben.

Aber nicht nur in den kirchlichen Ceremonien, auch in allen weltlichen Dingen errichtete die Blume ihre Herrschaft. In Frankreich gab es eine Rosensteuer (baillée des roses), die noch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts entrichtet wurde. Es war dies ein Tribut, welchen die Pairs von Frankreich dem Parlamente darzubringen hatten. Er mußte an einem Tage im April, Mai oder Juni, wenn die erste Sitzung stattfand, entrichtet werden. Vor Beginn derselben hatte der Pair, an dem die Reihe war, für die baillée zu sorgen, alle Gemächer des Palastes mit Rosen zu schmücken, selbst den Fußboden mit grünen Gräsern und Feldblumen zu bestreuen. Dann ging er in die große Halle und vertheilte die Rosen, die man ihm in großen silbernen Körben vorantrug, an die Mitglieder des Parlaments und die Hausoffiziere, die zu ihrem Dienste beigestellt waren. Wenn die Vertheilung beendet und die Sitzung geschlossen war, gab er den Präsidenten, Räthen, Beamten und Ceremonienmeistern des Hofes ein großes Festmahl.

Der Ursprung dieser Sitte ist nicht bekannt. Sie existirte nicht bloß für das Pariser, sondern auch für die übrigen Parlamente des Königreiches, besonders für jenes von Toulouse. Die Rosensteuer war ferner auch an die Kinder des Königs, die Prinzen von Geblüt, die Herzöge, Kardinäle und übrigen Pairs zu entrichten. Ein Edikt Heinrichs III. soll die Entrichtung des duftigen Tributs angeordnet haben. Große Ausdehnung nahm der Blumenluxus in Frankreich unter Ludwig XIV. an, welcher ein großer Blumenfreund war. Er liebte es, am Abend den Duft seltener, kostbarer Blumen einzuathmen und in den königlichen Gärten gab es weite Beete von Veilchen, Orangenblüthen, Jasmin, Tuberosen, Heliotropen, Hyacinthen und Narcissen. Die Vorliebe des Königs wurde selbstredend in den Palästen der Großen nachgeahmt. Jenes Porzellanhaus, in welchem Ludwig seine glänzendsten Feste gab, trug den Namen „Palais de Flore“ – Palast Floras. Eine der königlichen Launen zertrümmerte aber den Porzellanpalast. Er fiel mit Madame de Montespan in Ungnade und an seiner Stelle erhob sich ein imposanterer Bau, zu Ehren des neuen Sternes, der Maintenon. Das war Trianon, in italienischem Stile gebaut, ganz aus rosafarbigem Marmor, mit einer mächtigen Balustrade, welche das ganze Gebäude krönte, geschmückt mit marmornen Statuen, Körben, Urnen, Kronen. Lenôtre erfand einen neuen Stil für die königlichen Gärten. Fortoul schreibt in den „Fastes de Versailles“: „Wenn man von Versailles nach Trianon kam, glaubte man, Land und Zone gewechselt zu haben und in irgend eine deliziöse Villa Italiens gerathen zu sein. Die Erde ist derart geschmückt und vergoldet durch Blumen und Marmor, die sich in stillen Wassern spiegeln, daß es scheint, als leuchte da eine wärmere Sonne und überschütte die ganze Landschaft mit ihrem Glanze.“

Wenngleich die Herrschaft der Blume beständig neuen Glanz gewinnt, so sind die Blumenarten doch der Mode unterworfen, wie alles in der Welt. Die alten Griechen liebten die Levkojen und Narcissen, in Deutschland beherrschten Lilien, Rosen und Rosmarin lange den Markt und die Frauenherzen, bis sich die Tulpe zur Alleinherrscherin emporschwang und alle Börsen plünderte. Sie ruinirte Holland wie später die Georgine Frankreich. Heute sind die Pelargonien, Hortensien, Geranien, Kakteen, Kamelien, Azaleen die Lieblingsblumen der eleganten Welt. Sie schmücken alle unsere Feste. Auf den Bällen strahlen die Damen nicht bloß von Juwelen, sondern farbenglühende Blumen nisten in ihrem Haar, schlingen sich in Gewinden aller Art um ihre kostbaren Roben, blühen an jeder Frauenbrust, umsäumen den weißen Nacken am Rande des Kleides, werden, zu Sträußen gebunden, von den schönsten Händen getragen. Wir senden sie der Geliebten ins Haus und kein Geburts- oder Namenstag schöner Frauen geht ohne Blumenhuldigung vorüber. Wir tragen sie kokett im Knopfloche und ehren die Künstlerin für die schöngesungene Arie mit einem Blüthenregen. Es giebt bereits eine „Blumenbindekunst“.

Zu Anfang der vierziger Jahre erfanden die Franzosen die Champignon-Bouquets, welche die kunstvollste Anordnung der Blumen gestatteten, indem die Blumen an lange Drähte geheftet

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_528.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2018)