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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Verlobt bin ich!“ jubelte Wally. „Ich bin Alberts Braut und in drei Monaten werde ich seine Frau. O dieser vortreffliche, unvergleichliche Großonkel! Ich möchte ihm um den Hals fallen, wie Dir, wenn er nur nicht so garstig wäre!“

Erna war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen wie Alice, aber diese Nachricht kam ihr doch zu unerwartet – sie kannte ja den Widerstand der ganzen Ernsthausenschen Familie gegen diese Verbindung.

„Deine Eltern haben eingewilligt?“ fragte sie. „So ganz plötzlich? Das schien ja noch vor wenigen Tagen unmöglich zu sein?“

„Nichts ist unmöglich!“ rief Wally entzückt. „O, ich habe den Himmel so gebeten, dem Großonkel irgend einen dummen Streich einzugeben! Daß er auf diesen Streich verfallen würde, das ahnte ich allerdings nicht, das glaubst Du auch nicht, Erna; das muß man überhaupt erlebt haben, um es zu glauben!“

„So sprich doch vernünftig! Erkläre doch endlich!“ sagte Erna, mit einem vorwurfsvollen Blick in das glückstrahlende Gesicht der kleinen Baroneß.

„Geheirathet hat er!“ platzte diese heraus. „Geheiratet, mit siebzig Jahren, und nun ist er ein junger Ehemann – es ist zum Todtlachen!“ Und damit warf sie sich in die Polster zurück und lachte, bis ihr die Thränen in die Augen traten.

„Der alte Baron hat sich – vermählt?“ wiederholte Erna, die das gleichfalls unerhört fand.

„Jawohl, mit einem uraltadligen Stiftsfräulein. Die Sache war schon längst abgemacht; aber sie wurde geheim gehalten, weil er die Scenen mit meinen Eltern fürchtete. Er ist überhaupt nur hergekommen, um sein Testament zurückzunehmen, das er hier beim Gericht niedergelegt hatte, und gleich nach der Rückkehr hat er sich trauen lassen, standesamtlich und kirchlich, niet- und nagelfest, wie der Papa sagt, und das ganze Vermögen hat er seiner Frau beschrieben, auch niet- und nagelfest, und wir bekommen gar nichts und nun bin ich keine Partie mehr – denke nur, welches Glück!“

Die junge Dame hatte eine höchst merkwürdige Art, ohne alle Pausen zu sprechen, so daß es unmöglich war, ein Wort dazwischen zu werfen. Auch jetzt nahm sie sich nur die allernothwendigste Zeit, um Athem zu schöpfen, und dann fing sie von neuem an:

„Sie hatten ein förmliches Komplott geschmiedet, der Papa und Eure weise Frau Oberhofmeisterin, der ich das zeitlebens gedenken werde. Wie ein Postpacket sollte ich eingepackt und an die Adresse des Großonkels geschickt werden. All mein Weinen und Trotzen half nichts, die Koffer waren schon fertig. Da fiel der Brief des Großonkels mit der Anzeige seiner Vermählung wie eine Bombe in unser Haus. Papa sah aus, als habe ihn der Schlag getroffen, Mama bekam Weinkrämpfe und ich tanzte in meinem Zimmer umher und warf die sämmtlichen eingepackten Sachen wieder aus dem Koffer, denn von der Reise war natürlich keine Rede mehr. Am anderen Morgen herrschte bei uns eine Stimmung, als hätten zehn Gewitter eingeschlagen; der Großonkel wurde in Acht und Bann gethan; es gab eine lange geheime Konferenz zwischen meinen Eltern und als Albert am Nachmittage kam, wurde er ohne weiteres angenommen.“

„Und Du warst grenzenlos glücklich – ich kann es mir denken!“ fiel Erna ein.

„Nein, zunächst war ich empört,“ erklärte Wally, indem sie das Näschen rümpfte. „Albert benahm sich so unendlich prosaisch bei der Werbung. Anstatt von unserer ewigen unendlichen Liebe und unseren schon halb gebrochenen Herzen zu sprechen, rechnete er meinen Eltern ganz genau vor, was seine Praxis ihm einbringe, welches Vermögen er schon erworben habe und noch zu erwerben hoffe. Ich war außer mir über dies abscheuliche Rechenexempel – natürlich stand ich wieder am Schlüsselloch und hörte alles mit an – aber Papa und Mama wurden immer sanftmüthiger und freundlicher dabei. Schließlich wurde ich gerufen und dann gab es allgemeine Umarmung und Rührung und Thränen. Ich weinte immer mit, obgleich ich eigentlich lieber getanzt hätte, und nahm es Albert sehr übel, daß er keine einzige Thräne vergoß! Der Großonkel erhielt ein Telegramm – das wird ihn ärgern in seinen Flitterwochen – und morgen werden die Verlobungskarten gedruckt und in drei Monaten heirathen wir!“

Die kleine Baroneß fiel im Uebermaß ihrer Wonne der Freundin von neuem um den Hals. Aber jetzt hielt der Wagen vor der Waltenbergschen Villa und damit war der große Moment gekommen, den Wally mit vollem Triumphe genoß. Sie traten ein und während der Herr des Hauses Fräulein von Thurgau empfing, eilte Gersdorf, von seinem Rechte Gebrauch machend, seiner Braut entgegen, was ihm einen niederschmetternden Blick von seiten der Frau von Lasberg zuzog.

„Ich glaubte, Sie seien bereits auf dem Lande, Baroneß,“ sagte sie im schärfsten Tone.

„O nein, gnädige Frau,“ versetzte Wally mit harmlos unschuldiger Miene. „Ich hatte allerdings die Absicht, dem Großonkel einen Besuch zu machen; da er sich aber verheiratet hat –“

„Wer?“ fragte die alte Dame, die sich verhört zu haben glaubte.

„Mein Großonkel, Baron Ernsthausen auf Frankenstein – und ich habe mich gleichfalls verlobt. Sie gestatten, gnädige Frau, daß ich Ihnen meinen Bräutigam vorstelle.“

Das Lächeln, mit dem Waltenberg die Nachricht aufnahm, verriet, daß er bereits unterrichtet war; Frau von Lasberg dagegen saß völlig sprachlos da, und erst als die Glückwünsche von allen Seiten kamen, faßte sie sich soweit, auch ihrerseits eine Gratulation auszusprechen, die freilich sehr kühl und förmlich klang und von der jungen Braut mit einer allerliebsten Bosheit aufgenommen wurde. Aber lange hielt das nicht an bei Wally, die heute ihrem ärgsten Feinde verziehen hätte und im Uebermuth ihres Glückes, in ihrer sprudelnden Heiterkeit alles mit sich fortriß.

Das Zusammensein gestaltete sich auf diese Weise sehr zwanglos und anregend, trotzdem es „nichts Ordentliches zu essen und zu trinken gab“, wie Gronau sich ausdrückte. Seine Natur verlangte entschieden etwas Gediegeneres als Früchte, die in dieser Jahreszeit und in ihrer Auserlesenheit allerdings mit Geld aufgewogen werden mußten, und etwas Trinkbareres als den schweren, duftenden Wein, von dem man nur nippen konnte. Die Damen schienen aber anderer Meinung zu sein und man brach endlich in der heitersten Stimmung auf, um die Sammlungen zu besichtigen, für welche das ganze obere Stockwerk des Hauses ausschließlich eingerichtet war.

Waltenberg führte seine Gäste die Treppe hinauf, und als sich die hohe Flügelthür öffnete, die jene Räume abschloß, da war es in der That, als sei die ganze Gesellschaft aus der grauen winterlichen Oede dieses nordischen Märztages auf einem Zaubermantel in den sonnen- und farbenglühenden Orient getragen worden.

Die fremdartigen Schätze aller Länder und Zonen waren hier in einer Fülle und Pracht aufgehäuft, wie es nur ein langes Reiseleben und eine unbeschränkte Verfügung über die reichsten Mittel möglich machen konnten; aber die Aufstellung dieser in mancher Hinsicht unschätzbaren Sammlung hätte einen Mann der Wissenschaft zur Verzweiflung gebracht, denn sie war ohne jede Regel, einzig mit Rücksicht auf ihre malerische Wirkung geordnet. Allerdings wurde diese Wirkung im vollsten Maße erreicht und die geschickt vertheilten Gruppen exotischer Pflanzen, die sich überall erhoben, gestalteten das Ganze zu einem Bilde, vor dem der nüchterne Begriff der „Sammlung“ völlig verschwand.

Teppiche von echt orientalischer Zeichnung und Farbe bedeckten die Wände und schmückten Fenster und Thüren; dazwischen hingen seltsam gestaltete Waffen, die kriegerische Wehr von Völkern, die fern von aller Kultur lebten, bunter Federschmuck und mächtige Palmenfächer. Neben schimmernden Seidenstoffen und zarten, golddurchwirkten Schleiergeweben zeigten sich fremdartige Geräte und Gefäße vom tönernen Wasserkruge an bis zu dem kostbarsten Trinkbecher aus edlem Metalle, seltene Muscheln und riesige Meerkorallen. Hier lag das Fell eines Löwen am Boden, dort schien eine buntgefleckte Schlange aus der Moosdecke einer Pflanzengruppe emporzuzüngeln; eine ganze Vogelwelt in den leuchtenden Farben des Südens und mit dem täuschenden Anschein des Lebens hing und schwebte zwischen den Palmen und ein mächtiger Tiger blickte mit seinen Glasaugen so drohend auf den Eintretenden, als sei er jeden Augenblick bereit, zum Sprunge anzusetzen. Said und Djelma in ihren malerischen Trachten vollendeten das phantastische Bild, und die goldfarbenen Scheiben der Fenster, durch welche das Tageslicht eindrang, erweckten die Täuschung, als fluthe wirkliches heißes Sonnenlicht durch die Räume und tauche sie in einen glühenden goldigen Schein, der diese ganze Zauberwelt der Wirklichkeit vollends zu entrücken schien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_519.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)