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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Waltenberg hat uns eingeladen, seine Reisesammlungen zu besichtigen,“ sagte er. „Ich werde dazu schwerlich Zeit haben, aber Du –“

„Ich noch weniger,“ fiel Elmhorst ein. „Die drei Tage, die ich überhaupt noch zur Verfügung habe, sind schon vollauf in Anspruch genommen.“

„Ich weiß, aber Du wirst trotzdem Alice begleiten müssen; sie und Erna haben bereits zugesagt, und ich wünsche überhaupt nicht, daß diese Einladung abgelehnt wird.“

Wolfgang stutzte und sah seinen künftigen Schwiegervater forschend an, dann fragte er rasch:

„Wer und was ist dieser Waltenberg eigentlich, Papa? Du scheinst ihn mit einer ganz besonderen Rücksicht zu behandeln und doch tauchte er heute zum ersten Male in Deinem Hause auf. Du kennst ihn von früher her?“

„Allerdings. Sein Vater war bei verschiedenen meiner Unternehmungen beteiligt. Ein tüchtiger, umsichtiger Geschäftsmann, der Millionen hätte verdienen können, wenn er länger gelebt hätte. Leider hat der Sohn gar nichts geerbt von diesen praktischen Eigenschaften. Der zieht es vor, kreuz und quer durch die Welt zu reisen und sich bei allen möglichen wilden Völkerschaften herumzutreiben. Nun, sein Vermögen erlaubt ihm ja dergleichen Extravaganzen, und jetzt verdoppelt es sich beinahe. Seine Tante, die einzige unvermählte Schwester seines Vaters, ist vor einigen Monaten gestorben und hat ihn gleichfalls zum Erben eingesetzt. Er ist überhaupt nur zurückgekommen, um diese Angelegenheit zu ordnen, und spricht schon wieder von Davongehen – ein unbegreiflicher Mensch!“

Der Ton, in welchem Nordheim von dem Manne sprach, den er so auszeichnete, verrieth, daß er persönlich gar keine Sympathie für ihn hegte, und Elmhorst schien in dem gleichen Falle zu sein, denn er stimmte sofort ein:

„Ich finde ihn unerträglich! Er sprach ja bei Tische nur von seinen Reisen und in einer Art, als wolle er Vortrag darüber halten. Man hörte nur von ‚blauen Meerestiefen‘, von ‚hochragenden Palmen und träumerischen Lotosblumen‘– es war kaum mehr zum Aushalten! Fräulein von Thurgau allerdings schien ganz hingerissen davon zu sein. Offen gestanden, Papa, ich fand, daß diese poetisch orientalische Unterhaltung viel zu vertraulich war für den ersten Tag der Bekanntschaft.“

Die Worte sollten sarkastisch sein, aber es barg sich eine nur mühsam verhehlte Gereiztheit dahinter. Der Präsident bemerkte das jedoch nicht, sondern erwiderte ruhig:

„In diesem Falle habe ich gegen die Vertraulichkeit durchaus nichts einzuwenden, ganz im Gegentheil.“

„Das heißt – Du hast eine bestimmte Absicht mit den beiden?“

„Gewiß,“ versetzte Nordheim, etwas verwundert über das Hastige, Gepreßte dieser Frage. „Erna ist neunzehn Jahre; man muß jetzt ernstlich an ihre Vermählung denken, und ich habe als Verwandter und Vormund die Pflicht, sie möglichst gut zu versorgen. Das Mädchen wird so unendlich gefeiert in der Gesellschaft, aber mit einem wirklichen Antrage hat sich ihr noch keiner genaht, sie ist eben keine Partie.“

„Nein, sie ist keine Partie!“ wiederholte Wolfgang wie mechanisch und dabei richtete sich sein Blick auf das Nebenzimmer, wo die Damen noch weilten. Alice saß auf dem Sofa und Erna stand vor ihr; die Thüröffnung umschloß wie ein Rahmen die schlanke, weiße Gestalt.

„Ich kann das den Männern nicht verdenken,“ fuhr der Präsident fort. „Ernas einziges Erbtheil sind die paar tausend Mark, die für den Wolkensteiner Hof gezahlt wurden, und wenn ich meiner Nichte auch selbstverständlich eine Aussteuer mitgebe, so ist das doch so gut wie nichts für einen Mann, der gewohnt ist, Ansprüche an das Leben zu machen. Waltenberg braucht nicht auf Vermögen zu sehen; er ist selbst reich, aus gutem Hause, kurz, eine glänzende Partie. Ich habe sofort nach seiner Rückkehr den Plan gefaßt, und ich denke, die Sache wird sich machen.“

Er setzte das alles so kühl und geschäftsmäßig auseinander, als ob es sich um eine neue Spekulation handle. Im Grunde war die „Versorgung“ seiner Nichte ja auch nur ein Geschäft für ihn, ebenso wie die Verlobung der eigenen Tochter. In dem einen Falle wurde Vermögen, in dem andern Intelligenz eingetauscht für die Hand des jungen Mädchens, und Nordheim konnte sich auch ganz rückhaltlos darüber aussprechen gegen seinen künftigen Schwiegersohn, der genau auf demselben Standpunkte stand und nach denselben Grundsätzen gehandelt hatte. In diesem Augenblicke aber lag eine eigenthümliche Blässe auf dem Gesichte des jungen Mannes, und es war ein seltsamer Ausdruck, mit dem seine Augen an jenem Bilde hingen, das sich noch immer in der Thüröffnung zeigte, vom hellsten Kerzenglanze umflossen.

„Und Du glaubst, daß Fräulein von Thurgau einverstanden ist?“ fragte er endlich langsam, ohne den Blick abzuwenden.

„Sie wird doch nicht die Närrin sein, ein solches Glück von sich zu stoßen! Freilich, das Mädchen ist unberechenbar in seinen Launen, starrsinnig wie der Vater und in manchen Punkten gar nicht zu regieren. Wir beide passen überhaupt nicht zusammen, das zeigt sich oft genug, aber diesmal, denke ich, werden wir übereinstimmen. Ein Mann wie Waltenberg mit all seinen excentrischen Neigungen ist grade nach dem Geschmack Ernas. Ich glaube, sie wäre im Stande, sein tolles Wanderleben mit ihm zu theilen, wenn er sich nicht entschließen kann, es aufzugeben.“

„Warum denn nicht?“ sagte Wolfgang herb. „Es ist ja so ungemein poetisch und interessant, dies Leben in der Fremde, ohne Beruf und Vaterland. Man ist losgelöst von allen Pflichten; man schwärmt und träumt unter den Palmen und verträumt schließlich das ganze Leben im thatenlosen Genuß. Ich finde es erbärmlich, wenn ein Mann mit seinem Dasein nichts weiter anzufangen weiß; mir wäre das unmöglich!“

„Du ereiferst Dich ja förmlich,“ sagte Nordheim, ganz erstaunt über diesen heftigen Ausfall. „Du vergißt aber, daß Waltenberg von Hause aus reich gewesen ist. Du und ich, wir mußten arbeiten, um emporzukommen; für ihn existirte diese Nothwendigkeit nicht; er stand von Anfang an auf der Höhe, und solche Menschen taugen selten für eine ernste Thätigkeit.“

Er wandte sich zu einem Diener, der soeben eintrat, und gab ihm noch einige Befehle. Wolfgang stand finster und unbeweglich da; seine Augen hingen noch immer an jener weißen Gestalt, an der Erscheinung „wie aus Duft und Alpenschnee gewoben, mit der märchenhaften Blume der Gewässer in den blonden Locken“, und unhörbar, aber mit dem Ausdruck der tiefsten Bitterkeit murmelte er: „Ja, er ist reich – und darum hat er das Recht, glücklich zu sein!“

(Fortsetzung folgt.)




Der Hypnotismus, sein Nutzen und seine Gefahren.
3. Der Hypnotismus in Pforzheim, ein Beitrag zur Geschichte des hypnotischen Unfugs in Deutschland.
(Schluß.)

Bevor wir in unserem Bericht fortfahren, müssen wir vorausschicken, daß die schon erwähnte außerordentliche Gewalt der Eingebung auf Hypnotisirte sich auch in Pforzheim durch zahlreiche Versuche des Herrn W., der die einschlagende Litteratur besonders studirt hatte, bewahrheitete. Es gelang Herrn W., seine wachen Medien zur Ausführung von Aufträgen zu bringen, die er ihnen während des Zustandes ihres hypnotischen Schlafes mündlich aufgegeben hatte. Wir wollen nur einzelnes aus diesen sehr reichhaltigen Versuchsreihen namhaft machen.

Von zwei schlafenden Medien, welche angeblich nie Klavier gespielt hatten, was schon die Betrachtung ihrer schwieligen, arbeitsgewohnten Hände sehr wahrscheinlich machte, erhielt das eine den Auftrag, das Lied „Heil dir im Siegerkranz“, das andere den Walzer des Coaksmannes auf dem Piano vorzutragen. Ohne das mindeste Zaudern setzte sich erst der eine, dann der andere nach dem Erwachen ans Klavier und leistete mit beiden Händen spielend seine Aufgabe. Klang zwar auch die Weise steinerweichend, so wurde sie doch auffallend flott zu Gehör gebracht und jedermann konnte unschwer die beabsichtigten Tonstücke erkennen. Auch zu einer vierhändigen Improvisation wurden beide neugebackene Pianisten veranlaßt, die trotz ihrer schauderhaften Klänge doch eine gewisse Gesetzmäßigkeit herauszuhören gestattete. Einem andern wurde während

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_504.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)