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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

und Geschick, in ganz gleicher Weise. Das machte in der Stadt begreifliches Aufsehen und reizte Groß und Klein zu Versuchen, für welche namentlich das jüngere Volk der Bijoutiers und Lehrlinge ein überaus leicht zugängliches Material darbot. So kam es denn, daß man hier noch nicht ein volles Vierteljahr nach Geo Schmidts Auftreten die Hypnotiseure zu Hunderten zählte.

Gleichzeitig damit trat die Sache noch nach einer anderen Seite hin in eine neue Phase. In Lokalberichten der hiesigen Blätter war bei Besprechung der Schmidtschen Vorstellungen zur Aufklärung des Publikums auf das Irrige der Mesmerischen Lehre vom „thierischen Magnetismus“ hingewiesen und die richtige, auf den Arbeiten von Braid, Weinhold, Heidenhain und anderen fußende physiologische Deutung der Hypnoseerscheinungen erörtert worden. Das ließ nun einige Heißsporne vom „magnetischen Fluidum“ nicht ruhen, und es erschienen in der Lokalpresse mehr oder weniger geharnischte Verwahrungen, in denen Lanzen für den Lebensmagnetismus und gegen die ungläubige Wissenschaft gebrochen wurden, die schon oft neue Wahrheiten anfangs aufs heftigste befehdet habe. Die Folge war, daß zunächst alle weiteren Versuche unter dem Feldgeschrei „hie Braid“, „hie Mesmer“ unternommen wurden. Herr W., eifriges Mitglied des naturwissenschaftlichen Vereins zu Pforzheim, hielt die Streitfrage mit Recht für wichtig genug, um im Schoße des genannten Vereins behandelt zu werden. Er demonstrirte dem Verein in mehreren Sitzungen, teilweise vor zahlreichen geladenen Gästen, solche Versuche, die speciell geeignet sein sollten, über die Frage des Mesmerismus Licht zu verbreiten. Die interessante, lebhafte Debatte führte zu einer ganzen Reihe von Kontrollversuchen, aus denen mit immer größerer Klarheit die Nichtigkeit aller lebensmagnetischen Behauptungen hervorging. Das reizte indeß weitere Anhänger des Mesmerismus zu neuen Einwürfen.

Ein anderer Herr, gleichfalls Bijouteriefabrikant, hatte sein neun- bis zehnjähriges Söhnchen hypnotisirt und wollte dabei wunderbare, ganz räthselhafte Beobachtungen gemacht haben, die eine Uebertragbarkeit der „magnetischen Kraft“ auf leblose Dinge nachzuweisen im Stande seien. Das Bürschchen war von einem älteren Arbeiter der Fabrik und vom Vater so oft in Hypnose versetzt worden, hatte namentlich wiederholt zugesehen, wie Stühle, Thürklinken, Fußbodendielen durch Bestreichen mit den Fingern der Experimentatoren „magnetisch“ gemacht wurden, damit es bei der Berührung dieser Gegenstände mit Händen oder Füßen starr werde und dieselben nicht mehr loslassen könne, – daß schließlich der Gesammterfolg ein wunderbarer werden mußte. Der Kleine, der in Erfahrung gebracht hatte, daß ihm auch in seiner Abwesenheit durch Bestreichen einzelner Gegenstände Fallen gelegt wurden, witterte nun überall solche und blieb bald an einer Klinke mit der Hand hängen, bald konnte er von einem Stuhle nicht mehr aufstehen, bald endlich eine Zimmerdiele, auf die er getreten war, nicht mehr verlassen. Dabei kam es denn begreiflicherweise vor, daß ihn bald bestrichene, bald unbestrichene Gegenstände fesselten. Wenn das aber bei letzteren eintrat, wurde eben keine Notiz davon genommen. Der Vater erbot sich nun, dem ungläubigen naturwissenschaftlichen Verein und dessen noch ungläubigerem Vorsitzenden unwiderlegliche Beweise von der Existenz einer biomagnetischen Kraft beizubringen. In der hierzu anberaumten Sitzung wurden in Abwesenheit des Söhnchens ein Stuhl, ein irdener Bierseideluntersatz und eine Zimmerdiele mit großer Inbrunst und vielem Kraftaufwand vom Vater und Herrn W. gestrichen, auf dessen minimale Einwirkungen der Knabe sonst auch mit außerordentlicher Leichtigkeit reagirte. Nachdem sich nun beide Experimentatoren entfernt hatten, damit jegliches unbeabsichtigte Verrathen der „Fallen“ ausgeschlossen sei, rief man das jugendliche Medium herein. Dasselbe blieb alsbald an der nicht bestrichenen Thürklinke mit starrem Arm hängen. Von dieser frei gemacht und vom Vorsitzenden sowie einem anwesenden Arzt, dem zweiten Präsidenten, freundlich angeredet und ins Gespräch gezogen, durchschritt es das Zimmer und passirte glücklich die bestrichene Diele. Auf dem „magnetisch gemachten“ Stuhl nahm es ohne Gefährden Platz, wurde dagegen, nachdem es später den Sitz gewechselt hatte, auf einem anderen nicht bestrichenen hypnotisch mit starren Untergliedmaßen.

Wieder vom Banne befreit, vermochte es jenen Bierseideluntersatz anzufassen und weiterzugeben, bekam aber eine starre Hand, als ihm der Vorsitzende seinen eben hervorgezogenen Hausschlüssel überreichte. Kurz, alle Versuche bewiesen aufs zweifelloseste, daß von „Magnetisirung“ lebloser Dinge nicht die Rede sein könne, daß vielmehr die bisher in solchem Sinne gedeuteten Beobachtungen aus Täuschung durch ungeschickte Anstellung der Experimente zurückzuführen seien. Dem Vater wurde überdies zu Gemüthe geführt, wie wenig zuträglich seinem blassen, schwächlichen Söhnchen die unausgesetzten Aufregungen solcher Experimente sein dürften; am wenigsten sei es für den zukünftigen, aufs Bijouteriefach gerichteten Beruf des Kleinen eine angenehme, förderliche Beigabe, wenn derselbe von jedem ersten Besten durch einen scharfen Blick in Willenlosigkeit und Starre versetzt werden könne. Der Vater war denn auch einsichtsvoll genug, die Richtigkeit dieser Bemerkungen einzusehen, und verschonte von da ab seinen Sprößling mit biomagnetischen Versuchen, so daß der letztere zur Zeit von seiner Hypnomanie völlig geheilt ist.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_493.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)