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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.

 (Fortsetzung.)

Frau von Lasberg, die mit Alice eingetreten war, zeigte eine gewisse ergebungsvolle Miene; denn sie begrub an dem heutigen Tag einen Lieblingswunsch. Sie hatte fest darauf gerechnet, Alice, die sie ganz in ihrem Sinne erzogen hatte, dereinst in die Reihen der Aristokratie einzuführen, und einer der vornehmen Bewerber, der einem alten Grafenhause entstammte, erfreute sich ihrer ganz besonderen Begünstigung – und jetzt trug Wolfgang Elmhorst den Preis davon! Er war freilich der einzige Mensch, dem Frau von Lasberg das verzieh, denn er hatte es längst verstanden, auch sie zu gewinnen; aber es blieb nichts desto weniger eine schmerzliche Thatsache, daß dieser Mann, der so ganz zum Kavalier geschaffen war und an dessen Persönlichkeit selbst die gestrenge Frau Oberhofmeisterin nichts auszusetzen fand, einen einfach bürgerlichen Namen trug.

Alice, in einem Atlaskleide von zartblauer Farbe, mit überreichem Spitzenbesatz und langer Schleppe, sah nicht besonders vortheilhaft aus. Der schwere Faltenwurf des kostbaren Stoffes schien die zarte Gestalt förmlich zu erdrücken, und die Diamanten, welche an Hals und Armen funkelten, ein Geschenk des Vaters zu dem heutigen Festtage, vermochten es nicht, das Matte, Farblose der ganzen Erscheinung zu heben. Sie war nun einmal nicht geschaffen für einen solchen Rahmen; ein luftiges, blumengeschmücktes Ballkleid hätte ihr viel besser gestanden.

Wolfgang ging rasch seiner Braut entgegen und zog ihre Hand an seine Lippen. Er war voll zarter Aufmerksamkeit gegen sie, voll Artigkeit gegen die Baronin Lasberg, aber die Wolke auf seiner Stirn wich erst, als der Präsident zurückkam und gleichzeitig die ersten Gäste vorfuhren. Allmählich begannen sich die Säle zu füllen mit einer in jeder Hinsicht glänzenden Versammlung. Es waren in der That die ersten Persönlichkeiten der Hauptstadt, die sich hier zusammenfanden. Geburts- und Geistesadel, Finanzwelt und Kunst, Militär und höheres Beamtenthum waren mit ihren besten Namen vertreten. Neben den kostbarsten Toiletten, die an Pracht einander überboten, blitzten zahlreiche Uniformen, und das alles schimmerte, wogte und rauschte durch einander – die Gesellschaft entsprach vollkommen dem Glanze, den das Nordheimsche Haus bei dieser Gelegenheit entfaltete.

Den Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit bildete selbstverständlich das Brautpaar, oder vielmehr der Bräutigam, der den meisten noch gänzlich unbekannt war und eben deshalb ein verdoppeltes Interesse erregte. Er war ja ein schöner Mann, dieser Wolfgang Elmhorst, das ließ sich nicht leugnen, und man zweifelte auch nicht an seiner Begabung und seinem Talente; aber mit diesen Eigenschaften allein gewann man doch nicht die Hand einer der reichsten Erbinnen, die ganz andere Ansprüche erheben konnte. Und dabei schien der junge Mann sein unerhörtes Glück, das jeden andern berauscht hätte, durchaus selbstverständlich zu finden! Auch nicht die leiseste Unsicherheit oder Befangenheit verrieth, daß er sich zum ersten Male in diesem glänzenden Kreise bewegte. Seine Braut am Arme, stand er ruhig und stolz neben dem künftigen Schwiegervater, ließ sich vorstellen, empfing und beantwortete jeden Glückwunsch mit der gleichen Artigkeit und fand sich mit der Hauptrolle, die der heutige Tag ihm auferlegte, in bewundernswerther Weise ab. Er war so ganz der Sohn des Hauses, der


Die Kinderpflegeanstalt in Norderney.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_485.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)