Seite:Die Gartenlaube (1888) 474.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zeitigten das Verbot der öffentlichen Demonstrationen, ein Verbot, welches seit Jahren in Oesterreich, Italien und Frankreich besteht.

Ebenso waren es Skandale schlimmster Art, welche einen Erlaß des Großherzoglich badischen Ministeriums nöthig machten, nach welchem jede öffentliche hypnotische Schaustellung, jedes Hypnotisiren in geschlossen Gesellschaften und an solchen Orten, die dem Publikum zugänglich sind, bei Strafandrohung untersagt ist. Diese Skandale sind für die Geschichte der hypnotischen Mißbräuche in Deutschland so charakteristisch, daß sie in einem nachfolgenden Artikel ausführlich geschildert werden sollen.

Für den badischen und den preußischen Erlaß waren vornehmlich der mit den Hypnotisirten getriebene Unfug, das öffentliche Aergerniß, maßgebend; man übersah oder verkannte die bei weitem größeren Gefahren, welche die Hypnose in civil- und strafrechtlicher Beziehung, vor allem aber für Leib und Leben der Versuchspersonen im Gefolge haben kann.

Ungleich wichtiger als die juristischen Beziehungen erscheint den Aerzten die Gesundheitsschädigung durch die laienhafte Anwendung der Hypnose. Hier bergen sich Gefahren, die uns in ihrer ganzen Größe bis jetzt noch unbekannt sind. Die Aerzte stehen von einer Durchführung der Hypnose ab, sobald Athmung und Pulsfrequenz unregelmäßiger werden, sobald irgend welche abweichenden Erscheinungen in den sog. Primär-Symptomen ein Bedenken wegen übler Folgen aufkommen lassen.

Anders die Laienhypnotiseure. Ohne Wahl werden die sich zu den Versuchen meldenden Individuen, deren Gesundheitszustand dem Experimentator völlig unbekannt, den Manipulationen unterworfen, allen möglichen Rohheiten ausgesetzt und in so jäher Weise dehypnotisirt, d. h. aus dem hypnotischen Schlaf geweckt, daß tagelang die übeln Nachwirkungen mit Kopfschmerz, Muskelzittern etc. zu verspüren sind. So in den günstigen Fällen. Schlimmer da, wo eine vorher verborgene Krankheit durch die Beeinflussung des Centralnervensystems, welches bekanntlich den Angriffspunkt für die den hypnotischen Zustand erzeugenden Reize abgiebt, zum jähen Ausbruch kommt, oder wo organische Fehler die Ursache eines tödlichen Ausganges abgeben können.

In einem berühmten deutschen Kurorte wirken seit einigen Jahren zwei „Magnetopathen“, der eine von ihnen war ehedem Feldwebel, der andere Volksschullehrer. Beide erfreuen sich eines großen Zulaufes, und da es an präcisen gesetzlichen Bestimmungen fehlt, kann, obwohl Amtmann und Bezirksarzt den besten Willen dazu haben, dem Schwindel nicht gesteuert werden, weil die Wunderdoktoren schlau genug sind, keinerlei Handhabe zum Einschreiten zu bieten. Skandalöserweise bediente sich der eine Magnetopath zu seinen Kuren eines kleinen Mädchens, welches er kataleptisch machte, als Medium für die auf den Patienten auszuströmenden Kräfte.

Wiederholt ist ärztlicherseits auf die nachtheiligen Folgen der Laienhypnose hingewiesen, aber die Warnungen verhallen nutzlos; die Herren Hypnotiseure und Heilmagnetiseure üben nach wie vor ihr strafwürdiges Handwerk ohne jede Einschränkung.

So trieb beispielsweise noch vor kurzem ein ehemaliger Barbier in einer norddeutschen Stadt als „Anti-Magnetiseur“ sein Unwesen, und nach einem vorliegenden Berichte „ist bei der Auswahl der geeigneten Medien der bedauernswerthe Fall eingetreten, daß einer der Herren, welche sich freiwillig gemeldet, in Krämpfe verfallen war und fortgetragen werden mußte.“

Ein französisches Tribunal verurtheilte im vorigen Jahre einen Laien, der einen Knaben hypnotisirt hatte, da infolge dessen Krämpfe bei demselben auftraten, zu einer Geldbuße von 1200 Franken. Auch die Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe verurtheilte einen Hypnotiseur zu 14 Tagen Gefängniß, weil er einen 19 Jahre alten Burschen, ohne dessen Einwilligung, in Hypnose versetzt hatte. Das Bezirksamt hatte den Hypnotiseur wegen „groben Unfugs“ zu 20 Mark verurteilt, wogegen der Angeklagte Berufung einlegte. Das Schöffengericht erblickte jedoch in dieser neuen Kunst eine Freiheitsberaubung und fahrlässige Körperverletzung, weswegen die Angelegenheit an die Strafkammer verwiesen und wie oben angegeben erkannt wurde.

Von einem andern Hypnotiseur, der, seines Zeichens Lithograph, im vorigen Sommer öffentliche Vorstellungen gab, schrieb unlängst eine hochangesehene Zeitung: „Er betreibt diesen neuen Sport als Liebhaberei!“

Ein sonderbarer Sport, bei dem die Gesundheit der Mitmenschen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird!

Eine junge Künstlerin unterzog sich wiederholten Versuchen mit einem der reisenden Hypnotiseure, und auch hier blieben die Folgen nicht aus. Das beklagenswerthe Opfer kränkelte, wurde bleichsüchtig, und da von Stund an eine hochgradige Gedächtnisschwäche Platz gegriffen hatte, mußte die zu den schönsten Hoffnungen berechtigte junge Dame ihre fernere Bühnenthätigkeit aufgeben.

Eine fast konstante Erscheinung bestimmter Grade der Hypnose ist infolge der gesteigerten Reflexerregbarkeit aller quergestreiften Muskeln die totale Katalepsie, ein pathologischer Zustand, der in allen Fällen zur äußersten Vorsicht zwingt und zur schnellen Dehypnose nötigt, will man sich nicht der Leichtfertigkeit oder gar einer fahrlässigen Tödtung schuldig machen.

Der Kaufmann Fr. in R–burg ließ sich vor Jahren „des Ulkes wegen“ von einem Laien in Hypnose versetzen. Nach kaum vier Minuten war der Körper ganz steif, die bekannten Kunststückchen wurden demonstrirt, indem Fr., nur mit Fersen und Hinterhaupt auf zwei Stühlen aufliegend, die ganze auf Bauch und Oberschenkel ruhende Last seines Experimentators minutenlang ertrug etc., und als dieser nun sein „Medium“ dehypnotisiren wollte, ließen ihn seine Künste im Stich, Herr Fr. erwachte einfach nicht. Der hinzugerufene Arzt verbrachte das Medium in einen Nebenraum, leitete eine künstliche Respiration ein, während welcher der Kataleptische plötzlich und mit einem Tobsuchtsanfall erwachte. Am folgenden Tage berichtete Herr Fr., er sei erst vor kurzer Zeit aus dem Militärlazareth als untauglich zum Weiterdienen bei den schweren Reitern entlassen worden. Fr. war bei einer Uebung gestürzt, hatte einen Hufschlag auf die Brust erhalten und innere Verletzungen davongetragen, diese Umstände aber dem Hypnotiseur verschwiegen.[1]

Der Nachahmungstrieb und die Lust, für einen Wundermann gehalten zu werden, verführt die meisten Laien, ihren ehrlichen Beruf mit dem eines Heilmagnetiseurs oder Hypnotiseurs zu vertauschen, sofern nicht der lockende und leichte Gewinn den wesentlichen Trieb abgiebt, sich zum Retter der leidenden Menschheit aufzuwerfen.

Wie Hansen als achtjähriger Knabe zufällig Zeuge eines magnetischen Einschläferungsversuches war und er seit dieser Zeit, die Manipulationen, die er mitangesehen, nachahmend, die Goldgräber Australiens, die Zulukaffern wie die civilisirten Nationen in Hypnose versetzte, so wurde die Schuljugend Pforzheims, die Bauern im Dorfe Toloz, so wurden jene Kinder, die in der Charcotschen Klinik behandelt werden mußten, zum hypnotischen Unfug verleitet.

Im November 1886 hatte in Chaumont ein Magnetiseur Zaubervorstellungen gegeben, welche eine Art von aktiver hypnotischer Manie zur Folge hatten, die sogar bis in die Schule der Stadt eindrang. Mehrere Schüler hypnotisirten ihre Kameraden, trieben allerhand Albernheiten, und es traten bei den Burschen verschiedene Nervenleiden auf, die eine ärztliche Behandlung nothwendig machten. So bei einem zwölfjährigen Knaben, der, ohne erblich belastet zu sein und obwohl er auch niemals vordem irgend welche nervöse Störungen erkennen ließ, in das Hospital gebracht werden mußte, da er jetzt plötzlich streng formulirten hypnotischen Anfällen, die sich täglich wiederholten, unterworfen war. Auch bei dem jüngeren vierjährigen Bruder desselben traten die gleichen Erscheinungen mit Kopfschmerz, Hämmern in den Schläfen, Ohrensausen, Verdrehungen und Verkrümmungen auf, und die Sorge der armen Eltern nahm erst ein Ende, als am letzten April des vorigen Jahres beide Kinder genesen aus der Charcotschen Behandlung entlassen wurden.

Die „Gartenlaube“ wird in dem nächsten Artikel ein Bild hypnotischen Unfugs in einer deutschen Stadt aufrollen, wie es lehrreicher wohl nicht zu finden wäre und aus welchem unsere Leser noch deutlicher als aus den vorhergegangenen Artikeln die Unzulässigkeit der von Laien betriebenen hypnotischen Versuche und Spielereien erkennen werden.

  1. Sallis, „Der thierische Magnetismus und seine Genese“. Darwinische Schriften. Band XVI. 1887.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_474.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)