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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

schlafenden Person der Auftrag ertheilt wird, nach dem Erwachen zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte That zu begehen, sie diesen Auftrag erfüllt, selbst wenn die That eine unsinnige ist.

Kurz gesagt, der Hypnotisirte kann zu einem blinden Werkzeug des mit ihm Operirenden werden, und es giebt Fälle, in welchen beinahe Unglaubliches erreicht wurde.

Noch merkwürdiger sind die „negativen Hallucinationen“. Es sind mehrere Personen im Zimmer zusammen. Dem Hypnotisirten wird gesagt, fünf Minuten nach seinem Erwachen werden alle weggehen bis auf den Arzt. Der Hypnotisirte erwacht; man spricht mit ihm über allerlei Gegenstände; aber nach fünf Minuten sind mit Ausnahme des Arztes alle Anwesenden für ihn verschwunden; er antwortet nicht auf ihre Fragen, hört nicht was sie sagen, bemerkt nicht, daß ihn der eine am Arme genommen hat, fragt vielmehr den Arzt: „Wohin sind denn die Herren plötzlich gegangen?“

Mit diesen Beispielen ist jedoch die wunderbare Welt hypnotischer Erscheinungen noch nicht erschöpft. Nicht nur der Geist, sondern auch die Funktionen des organischen Lebens, die wir sonst durch unsern Willen nicht beeinflussen können, sollen der Macht der Suggestion unterworfen sein.

Es ist in der That erwiesen, daß durch Anwendung der Hypnose bedeutsame und praktisch wichtige Thatsachen für die Heilkunde gewonnen werden.[1] Eine neue Entdeckung ist damit wohl schwerlich gemacht worden; denn sogenannte moralische Kuren, in denen der Glaube an ein Mittel oder den Arzt allein heilte, sind seit den ältesten Zeiten bekannt. Die Wissenschaft ist aber durch diese Versuche dem Wesen und den Ursachen jener Wunderkuren nähergetreten, und man darf wohl hoffen, daß die gründliche Untersuchung dieser Frage schließlich zum Wohl der leidenden Menschheit ausfallen wird.

Verhehlen darf man aber nicht, daß der Reihe der glücklichen Treffer auch eine Reihe mißlungener Versuche gegenübersteht, und dies mahnt zur Vorsicht in der Anwendung des neuen Heilmittels.

Man sollte trotzdem meinen, daß dieser Aufschwung der Forschung auf dem Gebiete des Hypnotismus mit Freuden begrüßt werden müßte. Erklärt uns doch derselbe, daß viele Thatsachen die Jahrhunderte hindurch bald als Wunder, bald als Zauber, bald als Schwindel aufgefaßt und gedeutet wurden, natürliche Vorgänge sind, die im Bereich unserer Forschung liegen. Verspricht er uns doch, daß diese sonderbaren, staunenerregenden Versuche mit der Zeit in der Hand eines tüchtigen Arztes zu Heilmitteln werden können, die der leidenden Menschheit zu gute kommen werden!

Aber die Fortschritte des Hypnotismus werden keineswegs überall mit enthusiastischer Freude begrüßt. Man spricht weniger von dessen Nutzen als von den Gefahren, die er mit sich bringt. Wir müssen zugeben, daß diese Befürchtungen durchaus berechtigt sind. Inwiefern die Hypnose zu verbrecherischen Zwecken mißbraucht werden kann, darüber hat die „ Gartenlaube“ schon im vorigen Jahre ihren Lesern berichtet. Heute müssen wir noch auf die G efahren aufmerksam machen, welche aus ihm der Gesundheit und der öffentlichen Moral erwachsen können und zum Theil leider schon erwachsen sind.

Das Suchen nach neuen Heilmitteln ist in der Natur des Menschen begründet. Wenn aber in fernen Welttheilen irgend ein Pflanzenstoff gefunden wird, der ein starkes Gift und zugleich ein Heilmittel ist, so wird niemand von den über das Land verstreuten praktischen Aerzten verlangen, daß sie in ihrer Praxis Versuche mit dem neuen Pflanzenstoff anstellen. Man weiß es wohl, daß dadurch viele nur an ihrer Gesundheit geschädigt werden könnten. Das neue Heilmittel muß zunächst von Specialärzten, die über Kliniken und Hospitäler verfügen, von Professoren, die mit Hilfe ihrer Assistenten den Kranken unausgesetzt beobachten können, in vorsichtigster Weise geprüft werden, und erst wenn die zur Forschung berufenen Mediziner ihr Urtheil abgegeben haben, wird das Heilmittel zum Gemeingut aller Aerzte und aller Kranken.

Ein Heilmittel und Gift zugleich, ein zweischneidiges Schwert ist aber auch die Hypnose, und Aerzte, die über die obenerwähnten Hilfsmittel nicht verfügen und keine Gelegenheit hatten, besondere praktische Studien über den Hypnotismus anzustellen, verzichten zunächst im Interesse ihrer Kranken auf die Anwendung derselben.

Was die Wissenschaft bis jetzt auf diesem Gebiete erlangt hat, das ist im großen und ganzen nur die Feststellung einiger Thatsachen: sie müssen noch ergründet und geprüft werden, bevor wir aus ihnen allgemeine Schlüsse ziehen können, und darum gehört das hypnotische Experiment entschieden und ausschließlich in das Laboratorium des Fachgelehrten.

Die Lage der Dinge ist so einfach, daß man eigentlich weder Papier noch Tinte zu verschwenden brauchen sollte, um sie klar zu legen. In Wirklichkeit aber sieht es ganz anders aus. Die sachverständigen Aerzte schreiten mit der größten Vorsicht vorwärts; dagegen haben wir eine ganze Legion von Heilmagnetiseuren, welche die Menschheit kuriren wollen, ohne irgend welche ärztliche Vorbildung zu besitzen; dagegen werden aus reiner Neugierde und Unterhaltungslust von Laien Experimente angestellt, welche geeignet sind, die Gesundheit der Theilnehmer zu schädigen und die öffentliche Moral zu untergraben. Darum muß der Laie gewarnt werden, und diesem Zweck sollen die in nächsten Nummern folgenden Artikel dienen.




Hermann Kaulbach.

Gewiß kommt es manchem Maler zu statten, wenn er sich durch Noth und Drangsal zur Geltung und Anerkennung hindurchringen muß. Die Energie, mit welcher er allerlei Entbehrungen und Gegnerschaften zu bekämpfen hat, mag mitunter seine Kühnheit und sein Selbstvertrauen heben sowie die Entschiedenheit seiner Gestaltungskraft steigern. Allein nicht immer stehen Mühsale und das raschere Reifen künstlerischer Fähigkeiten in einer förderliche Wechselwirkung. Mancher Kunstjünger unterliegt im Kampfe mit des Lebens Noth; der größte Kraftaufwand bleibt oft unfruchtbar, wenn nicht gute Menschen, wohlwollende Lehrer und günstige Zufälle den jungen Künstler stützen. Besser entwickeln sich vorhandene Anlagen unter dem Schutze einer sorgenfreien Lebenslage; Kunstwerke werden sicherer befriedigen, wenn sie bei voller Muße, in glückshellen Stunden geschaffen wurden, als wenn sie bloße Schmerzenskinder sind.

Hermann Kaulbach gehört nun zu jenen Künstlern, welche ihre Schaffenskraft unter den günstigsten Lebensverhältnissen zur Entwickelung bringen konnten. Als einziger Sohn des großen Meisters Wilhelm von Kaulbach, des vormaligen Direktors der Münchener Kunstakademie, verbrachte er seine Jugend unter den erziehlichen Einflüssen einsichtsvoller Lehrer. Schon als Knabe besaß Hermann eine lebhafte Phantasie und den Drang, dem Spiele seiner Vorstellungen und den Einflüssen aus sein Empfinden einen künstlerischen Ausdruck zu geben; er machte mit großer Leichtigkeit kurze Gedichte, in welchen sein gutes, weiches Herz lebhaft und liebenswürdig das Wart nahm. Schon als fünfjähriger Knabe hat Hermann gereimte Verse aus dem Stegreif vor sich hingesagt. Geibel, Bodenstedt und andere Freunde der Familie Wilhelm von Kaulbachs meinten, daß sich aus Hermann ein bedeutender Dichter entwickeln werde. Hermann Kaulbach würde vielleicht ein tüchtiger Schriftsteller geworden sein, wenn er nicht jener Poesie dienstbar geworden wäre, welche in Werken der bildenden Kunst ihr Heim findet. Bezeichnend ist es für sein Wesen, daß er als Knabe den Werth von Spielsachen gering anschlug, dafür aber um so lieber mit Thieren verkehrte. Er bekam ein Zimmer für Schlangen, welche er fütterte, pflegte, beobachtete und andichtete; Füchse, Hunde, Tauben, Truthähne und Pfauen waren seine Spielgenossen und treuen Freunde. Ihnen erschloß er sein mildes Herz, während er Menschen gegenüber still, ernst und verschlossen blieb.

Wilhelm von Kaulbach, welcher sich viel mit seinem Sohne abgab, nahm ihn nach Berlin, wo er dem Vater zusah, wie er seine weltberühmten Bilder auf die Wand zauberte. Dabei mag sich in der reizbaren Phantasie des hochbegabten Knaben der Drang nach künstlerischem Gestalten entwickelt haben. In Nürnberg, wo er später das Gymnasium besucht hatte, zeichnete

  1. Diese Meinung vertritt auch der berühmte Irrenarzt Prof. Dr. von Krafft-Ebbing in seiner soeben erschienenen Schrift „Eine experimentelle Studie auf dem Gebiete des Hypnotismus“ (Stuttgart, Ferdinand Enke.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_460.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)