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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

eine Vermessung vornehmen zu lassen. Der Mann bildet sich in seiner Beschränktheit wirklich ein, er könne mit seinem Nein irgend etwas ausrichten! Man ist natürlich über seine Proteste zur Tagesordnung übergegangen, und da der ihm gestellte Termin jetzt abgelaufen ist und wir den Besitz antreten, werde ich ihm ankündigen, daß die Vorarbeiten nun unverzüglich beginnen.“

Reinsfeld hatte schweigend zugehört, aber seine Miene war ernst geworden und seine Stimme verrieth eine gewisse Besorgniß, als er sagte: „Wolf, ich bitte Dich, geh nicht wieder mit Deiner gewohnten Rücksichtslosigkeit zu Werke. Der Freiherr ist wirklich nicht ganz zurechnungsfähig in diesem Punkte. Ich habe mir ja auch oft genug Mühe gegeben, ihn zu überzeugen, daß sein Sträuben umsonst ist, aber er hat sich förmlich verrannt in den Gedanken, niemand könne und dürfe ihm seinen alten Erbhof nehmen. Er hängt mit jeder Faser seines Herzens daran, und wenn er ihn wirklich hergeben muß – ich fürchte, das geht ihm ans Leben.“

„Warum nicht gar! Er wird sich fügen, wie alle unvernünftigen Menschen, sobald sie die unbedingte Nothwendigkeit sehen. Ich werde allerdings rücksichtsvoll sein, da es sich um den Schwager des Präsidenten handelt; sonst hätte ich überhaupt nicht so viel Umstände mit ihm gemacht, sondern ihm einfach die Ingenieure in das Haus geschickt. Aber Nordheim wünscht, daß die Sache in möglichst schonender Weise erledigt werde, und deshalb habe ich sie persönlich übernommen.“

„Es wird eine Scene geben,“ meinte Benno. „Baron Thurgau ist der beste Mensch von der Welt, aber unglaublich jähzornig und leidenschaftlich, wenn er sich in seinen vermeintlichen Rechten gekränkt glaubt. Du kennst ihn noch nicht.“

„Doch, ich habe die Ehre, ihn und seine Urwüchsigkeit zu kennen. Er gab mir schon in Heilborn verschiedene Proben davon, und ich bin heute nun vollends auf die möglichste Grobheit gefaßt. Aber Du hast ganz recht; der Mann ist unzurechnungsfähig in ernsten Dingen, und darnach werde ich ihn behandeln.“

Sie hatten jetzt das Haus erreicht und traten ein. Thurgau war in der That soeben erst zurückgekommen; seine Flinte lag noch auf dem Tische und daneben zwei Steinhühner, seine heutige Jagdbeute. Erna mochte ihn wohl schon von dem bevorstehenden Besuche unterrichtet haben, denn er zeigte keine Ueberraschung beim Anblick des jungen Oberingenieurs.

„Nun, Doktor,“ rief er lachend Reinsfeld entgegen. „Sie kommen gerade recht, um zu sehen, wie ungehorsam ich gewesen bin. Da liegen die Verräther!“ Er wies auf seine Flinte und die Jagdbeute.

„Das zeigt mir schon Ihr Aussehen,“ entgegnete Reinsfeld mit einem Blick in das dunkelrothe, erhitzte Gesicht des Hausherrn. „Und noch dazu waren Sie heute morgen unwohl, wie ich höre.“

Er wollte nach dem Puls greifen, aber Thurgau entzog ihm die Hand.

„Das hat Zeit, wir können später davon reden; Sie bringen uns ja einen Gast mit.“

„Ich habe mir allerdings erlaubt, Sie aufzusuchen, Herr von Thurgau,“ sagte Wolfgang nähertretend, „und wenn ich nicht unwillkommen bin –“

„Als Mensch sind Sie mir willkommen, als Oberingenieur nicht,“ erklärte der Freiherr in seiner derben Weise. „Ich freue mich, Sie zu sehen, aber kein Wort von Ihrer verwünschten Eisenbahn – das bitte ich mir aus, sonst werfe ich Sie trotz aller Gastfreundschaft zur Thür hinaus. So, nun machen Sie es sich bequem im Wolkensteiner Hofe!“

Er schob ihm einen Stuhl hin und nahm selbst seinen gewohnten Platz ein. Elmhorst sah gleich in der ersten Minute, wie schwer ihm seine Mission gemacht wurde; er empfand überhaupt die Rücksicht, welche die Verhältnisse ihm auferlegten, als eine lästige Fessel; aber sie mußte doch nun einmal genommen werden, und so schlug er vorläufig den Ton des Scherzes an.

„Ich weiß bereits, welch einen grimmigen Feind unser Werk an Ihnen hat. Mein Amt ist die schlechteste Empfehlung, mit der ich mich bei Ihnen einführen konnte; ich habe mich deshalb auch nicht allein hergewagt, sondern meinen Freund zum Schutze mitgenommen.“

„Doktor Reinsfeld ist Ihr Freund?“ fragte Thurgau, in dessen Achtung der junge Beamte plötzlich zu steigen schien.

„Mein Jungendfreund; wir haben uns schon in der Schule zusammengefunden und später an demselben Orte studirt, wenn auch in verschiedenen Berufszweigen. Ich habe Benno schleunigst aufgesucht, als ich hierherkam, und denke, wir werden auch jetzt gute Kameraden bleiben.“

„Ja, wir lebten hier sehr gemüthlich, so lange wir unter uns waren,“ bemerkte der Freiherr anzüglich. „Als Sie mit Ihrer verdammten Eisenbahn kamen, fing der Aerger an, und wenn das Gepfeife und Gesause da drüben erst losgeht, wird es wohl ganz aus sein mit der Ruhe und Behaglichkeit.“

„Papa, jetzt übertrittst Du selbst Dein Verbot und sprichst von der Eisenbahn,“ rief Erna lachend. „Aber nun müssen Sie mit mir kommen, Herr Doktor! Ich muß Ihnen zeigen, was wir meine Kousine Alice aus Heilborn geschickt hat, es ist so allerliebst!“

Mit dem Eifer und Ungestüm eines Kindes, das nicht die Zeit erwarten kann, seine Herrlichkeiten zu zeigen, zog sie den jungen Arzt in das Nebenzimmer und gab damit dem Herrn Oberingenieur von neuem Gelegenheit, sich über ihre Erziehung oder vielmehr Erziehungslosigkeit zu ärgern – er war in diesem Punkte durchaus einverstanden mit Frau von Lasberg. Welch eine Art, mit einem jungen Manne umzugehen und wenn er zehnmal der Arzt und Hausfreund war!

Benno warf einen besorgten Blick auf die beiden Zurückbleibenden, als er folgte; er wußte, was jetzt zur Sprache kommen mußte, aber er verließ sich auf das diplomatische Talent seines Freundes, und überdies blieb die Thür offen. Wenn der Sturm gar zu heftig wurde, konnte man im Nothfall dazwischen treten.

„Ja wohl, man kommt nicht los von der Geschichte,“ brummte der Freiherr, und Elmhorst, der jetzt endlich zur Sache kommen wollte, knüpfte sofort an diese Worte an.

„Sie haben ganz recht, Herr Baron; man kommt immer wieder darauf zurück, und auf die Gefahr hin, daß Sie Ihre Drohung wahr machen und mich wirklich zur Thür hinauswerfen, muß ich mich Ihnen jetzt als Bevollmächtigten der Bahngesellschaft vorstellen, der Ihnen eine Mittheilung zu machen hat. Die Vermessungen und Vorarbeiten auf dem Wolkensteiner Hofe können unmöglich länger aufgeschoben werden, und die Ingenieure werden in den nächsten Tagen damit beginnen.“

„Das werden sie bleiben lassen!“ fuhr Thurgau zornig auf. „Wie oft soll ich es denn noch sagen; ich leide nicht, daß dergleichen auf meinem Grund und Boden vorgenommen wird!“

„Auf Ihrem Grund und Boden? Aber die Besitzung ist so gar nicht mehr Ihr Eigenthum,“ sagte Elmhorst ruhig. „ Die Gesellschaft hat sie schon vor Monaten erworben und ebenso lange liegt der Kaufpreis für Sie bereit. Das ist so alles längst abgemacht.“

„Nichts ist abgemacht!“ schrie der Freiherr, dessen Gereiztheit sich steigerte. „Denken Sie etwa, ich werde mich um Urtheile kümmern, die jedem Recht Hohn sprechen und die Ihre Gesellschaft Gott weiß wie erschlichen hat? Denken Sie, ich werde von Haus und Hof gehen, um Ihren Lokomotiven Platz zu machen? Keinen Schritt weiche ich, und wenn –“

„Bitte, regen Sie sich nicht so auf, Herr von Thurgau,“ fiel Wolfgang ein. „Es ist ja vorläufig gar keine Rede davon, Sie zu vertreiben; nur die nothwendigsten Vorarbeiten sollen in Angriff genommen werden; das Haus selbst bleibt zu Ihrer unbeschränkten Verfügung bis zum nächsten Frühjahr.“

„Sehr gütig!“ lachte Thurgau bitter. „Also bis zum nächsten Frühjahr! Und was dann?“

„Dann muß es allerdings fallen.“

Der Freiherr wollte von neuem auffahren, aber es lag etwas in dieser kühlen Gelassenheit, was ihn wider Willen zur Mäßigung zwang. Er machte wenigstens den Versuch, sich zu beherrschen; aber sein Gesicht färbte sich noch dunkler, und sein Athem ging kurz und heftig, als er im herbsten Tone sagte:

„Das scheint Ihnen wohl ganz selbstverständlich? Freilich, was wissen Sie davon, wie man an seinem Erbe hängt! Sie sind ja auch aus dem Zeitalter des Dampfes wie mein Schwager. Der baut sich drei, vier Paläste, einen immer kostbarer als den andern, aber heimisch ist er in keinem. Heute bewohnt, morgen verkauft er sie, wie ihn gerade die Laune anwandelt. – Der Wolkensteiner Hof ist seit zwei Jahrhunderten bei den Thurgaus und soll es bleiben, bis der letzte Thurgau die Augen schließt, darauf –“

Er brach mitten in der Rede ab und hielt sich, wie von einem plötzlichen Schwindel ergriffen, am Tische fest; doch das dauerte nur einige Sekunden; wie zornig über die ungewohnte Schwäche, schüttelte er sie ab und richtete sich wieder empor, während er mit steigender Bitterkeit fortfuhr:

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