Seite:Die Gartenlaube (1888) 432.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Noch trauert Alldeutschland um Kaiser Wilhelm, den Gründer des neu geeinten Reiches, der „aus seinem glorreichen Leben schied“; noch zittern in unsern Herzen die Worte nach, daß es jedem Deutschen überlassen bleiben möge, wie er um einen „solchen Monarchen“ Leid tragen solle – und ein neuer Schicksalsschlag trifft bereits den Kaiserthron und das Reich: der zweite Kaiser ruht auf der Todtenbahre!

Welch düstere Schatten, welch namenlose Tragik erfüllen die kurze Spanne Zeit der heiteren Lenzesmonde dieses einzigen Jahres!

Der Frühling nahte; wir rüsteten uns, dem greisen Herrscher Wilhelm I. zu seinem bevorstehenden Geburtstagsfest zu huldigen. Doch Trauer mischte sich bereits in die alljährlich wiederkehrende Freude: sein Sohn, der Kronprinz, der Stolz und die Hoffnung der Nation weilte in der Ferne, von tückischer Krankheit befallen! Fernhin über die Alpen, an der blühenden Riviera Gestade flogen unsere Gedanken; mit bangen Zweifeln blickten wir nach San Remo, ob die Kunst der Aerzte und die milde Luft Italiens dem stillen Dulder Heil und Rettung bringen würden.

Aber das Schicksal hatte dem deutschen Volke noch Schwereres aufgespart! Kaiser Wilhelm erkrankte plötzlich und in ungeahnter Schnelligkeit brach die erschütternde Katastrophe herein: der alte Kaiser starb – und ein sterbender Kaiser bestieg den Thron!

In jenen winterkalten Märztagen trugen wir nicht allein einen großen Todten zu Grabe – in unseren Herzen welkten blühende Hoffnungen dahin.

Wohl eilte Kaiser Friedrich, dem Gebot der Pflicht gehorchend, von den sonnigen Küsten in sein nordisches Reich; wohl klang markig sein Aufruf an das Volk durch alle Gauen Deutschlands; wir horchten begeistert den Worten – doch des Gedankens konnte sich niemand erwehren, daß alles das, was wir vernahmen, das Vermächtniß eines durch hohe Herrschertugenden ausgezeichneten, reichbegabten Geistes sei, welchem nur noch eine kurze Frist zu wirken vergönnt war!

Die Weltgeschichte verleiht Ruhmeskränze für große Thaten regierender Herrscher. Von Kaiser Friedrich wird sie nur berichten können, was er zum Heil des Vaterlandes als Herrscher erstrebte; dem unermüdlichen Arbeiter ward ja das harte Los beschieden, auf das Blühen und Gedeihen eigener Schöpfungen nicht zurückblicken zu dürfen!

Wenn aber auch die Zeit seines kurzen Kaiserthums nur allzurasch dahinflog: Großes hatte er schon gewirkt, noch ehe er den Thron bestieg.

Lorbeer und Eiche schmückten sein Haupt; glorreich waren die Siege, welche sein Schwert erkämpfte, wie die Erfolge, welche er im Frieden als Schützer von Kunst und Wissenschaft, von allen bürgerlichen Tugenden errang. Freudigen Herzens durfte Kaiser Wilhelm I. seinen Sohn mit höchsten Ehren für seine Verdienste in Krieg und Frieden auszeichnen, und warm schlugen die Herzen aller Deutschen für den Helden, der sein Leben so oft für des Vaterlandes Einheit und Größe in die Schanze geschlagen, der in heißer Schlacht die Söhne des Nordens und des Südens zum Siege geführt und als geliebter Führer unsterbliche Verdienste um die innere Einigung von Nord und Süd sich erworben.

„Unser Fritz!“ Ja, er war geliebt, die Liebe des Volkes galt ihm seit Jahren voll und ganz. Am unermüdlichsten und rührendsten bekundete sie sich in jenen schweren Tagen, als er todtkrank, aber auch todesmuthig mit dem tückischen Feinde rang, der sein Leben bedrohte. Da mochte es ihm ein süßer Trost in Leiden sein, an tausend Zeichen zu erkennen, wie sehr er von seinem Volke geliebt war: Blumen streute es ihm auf den Weg, als er noch einmal die Pracht des deutschen Waldes am frohen Pfingstfest schauen wollte; Blumen sandte es ihm ins Haus, als er durch rauhes Wetter an sein Kranken- und zugleich Arbeitszimmer gefesselt war; mit Blumen und Fahnen schmückte es Kirchen, Häuser und Brücken, als er auf der Spree und der Havel dahinfuhr nach Potsdam, seinem Liedlingssitz, dem Ort, der für immer geweiht ist durch die stolzen Erinnerungen an Kaiser Friedrichs ruhmreiches Vorbild, Friedrich den Großen.

Dort, wo er vor vor 56 Jahren das Licht der Welt erblickte, sank Kaiser Friedrich in der elften Morgenstunde des 15. Juni in den ewigen Schlummer, nachdem er mit männlichem Heldenmuth die unaussprechlichen Qualen eines Leidens ertragen, welches ihm zum Lorbeerkranz und Eichenzweig auch noch die Märtyrerkrone auf das Haupt drückte.

Wenn diese Zeilen in die weite Welt hinauswandern, wird die Trauerkunde längst überall verbreitet sein, wohin der elektrische Funke reicht; in den fernen Orten aber, wo jenseit der Meere Deutsche für Neu-Deutschland ringen, auf den fernen Inseln, wo kaum nach Monden ein Dampfer die neueste Post aus der Heimath bringt, wird dieses Blatt vielleicht das erste sein, welches in deutschen Herzen die tiefste Trauer weckt, indem es die erschütternde Nachricht verkündet:

Auch Kaiser Friedrich lebt nicht mehr!



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von 'Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_432.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2017)