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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Sonderbar? Ist es so sonderbar, wenn Hoheit, noch ehe sie sterben, das Glück zweier Menschen, so zu sagen, in den sicheren Hafen flüchten möchte, aus allen Ränken und Schlichen hinaus, denen es preisgegeben ist, so lange sie nicht verbunden sind? Ich gestehe, ich finde es so eigentümlich nicht; ich nehme dankbar diese ‚sonderbare Laune‘ an.“

„Sie waren doch sonst nicht so schutzbedürftig, Gerold; seit wann fühlen Sie sich so schwach? Sie wußten doch meine Einwilligung zu ertrotzen, als ich Ihnen die Hand meiner Tochter verweigerte? Seit wann überhaupt fürchten Sie das Recht des Stärkeren – sagen wir das Recht des Mächtigeren, oder –“

„Ich fürchte keinen ehrlichen Feind,“ erwiderte er langsam, und seine Worte hatten eine vernichtende Schärfe. „Durchlaucht wissen ohne Zweifel aus der Fabel schon, daß der Löwe immer großmüthig ist; ihn fürchte ich nicht als Gegner, ich fürchte die Schlangen, die da unbemerkt sich heranschleichen und Unschuldige bespritzen mit ihrem Gifte. Ich kann die, welche meine Gattin werden soll, nicht vor boshafter Verleumdung schützen, bevor sie nicht wirklich mein Weib geworden, denn ich kämpfe hier mit ungleichen Waffen. Mir ist, trotz meines jahrelangen Hoflebens, die Intrigue ein unbekanntes Terrain geblieben; man könnte ebenso gut von mir verlangen, ich sollte eine alte assyrische Keilschrift fließend vorlesen und übersetzen. Und, Durchlaucht, ich fürchte, ich würde es nie lernen, auch nicht durch das hervorragendste Beispiel.“

Aber die Prinzessin schien nicht verstanden zu haben. „Oder,“ wiederholte sie, unbeirrt in ihrer Rede fortfahrend, „ängstigen Sie sich, daß Sie der Treue Ihrer Braut erst dann sicher sein werden, wenn Sie dieselbe, so zu sagen, hinter dem Riegel des Gelübdes wissen?“

„Durchlaucht haben zum Theil recht,“ erwiderte er höflich. „Ich ängstige mich indeß nicht um die Treue und Festigkeit meiner Braut; ich ängstige mich, weil ich noch nicht weiß, ob meine Braut mir verziehen hat, daß ich mich mit der Dreistigkeit der Angst an ihrem Wege aufstellte, um ihr das ,Ja! ‘ gleichsam abzuzwingen.“

Die alte Prinzeß lachte kurz auf. „Man könnte auf die entsetzliche Idee kommen, cher baron, daß, falls Ihr Fräulein Braut nicht verzeiht, Sie sich das Leben nehmen oder sonst etwas Schreckliches thun werden.“

„Das Leben nehmen? Nein! Denn ich habe ein Kind, dem mein Leben gehört; aber ein unglücklicher einsamer Mann würde ich sein, Durchlaucht, denn ich liebe meine Braut!“

Claudine war hervorgetreten; sie that ein paar Schritte nach jener Thür zu, dann blieb sie stehen. Sie sah die Prinzessin dort in dem schwarzen seidenen Pelzmantel; sie sah, wie die Fächerpalme über ihrem Sammethute leise schwankte und wie das gelbliche magere Antlitz von der Röthe unliebsamer Ueberraschung sich färbte. – Sie mußte sich festhalten an dem geschnitzten Löwenkopf des Bücherschrankes, denn die Stimme der alten Durchlaucht sagte in unbeschreiblich verächtlichem Tone:

„Daß Sie diese Dame lieben, Baron, ist mir noch keine Gewähr für die Charaktereigenschaften derjenigen, welche die Stiefmutter meiner Enkelin werden soll.“

„Durchlaucht,“ erwiderte er schneidend, „wollen vermuthlich noch einmal von mir hören, daß ich für mich ganz allein das Recht beanspruche, Leoniens Erziehung zu leiten. Auf welche Weise dies geschieht? Nun, ich übernehme mit Freuden die Verantwortung! Diejenige, welche Mutter des Kindes sein wird, ist in meinen Augen das edelste, das beste, das selbstloseste Wesen der Erde! Niemals sind auch nur ihre Gedanken von dem Pfade abgewichen, den Sitte und Ehre dem Weibe vorzeichnen, nie, das weiß ich. Meine Braut mag in ihrer Liebe für die kranke Freundin vergessen haben, daß tausend hämische neidische Zungen bemüht waren, an ihrem Thun und Lassen zu deuteln und zu drehen; in meinem Herzen steht sie darum nur höher. Vor den Augen der Welt die Ehrbare zu spielen, das ist sehr leicht, Durchlaucht; aber allein, gestützt auf den Muth eines guten Gewissens, der Welt zu trotzen, die uns vernichten möchte – fest zu bleiben in dem, was man für Recht erkannt, und doch zu wissen, man wird falsch beurteilt – fest zu bleiben, indem man unter allen Umständen die Pflicht erfüllt, die man aus ehrlicher Zuneigung übernahm, und wäre es auch nur die von vielen angezweifelte Pflicht der Freundschaft, dazu gehört Seelenreinheit und ein starker Charakter, Eigenschaften. die ich bis jetzt vergeblich in –“

„Lothar!“ schrie Claudine auf. Vor ihren Augen schwankte das Kuppelgewölbe von Glas; es war, als ob der Boden, auf dem sie stand, zu wogen beginne. Dann fühlte sie sich umfaßt, und „Claudine!“ scholl es in ihr Ohr.

„Sei nicht so hart,“ flüsterte sie, „sei nicht so hart! Er ist so schwer, der Gedanke, andere grollend zu wissen, wenn das Glück so allmächtig auf uns hereinbricht!“

Sie waren allein. Sie sah ihn jetzt an mit ihren blauen, in Thränen schimmernden Augen. „Kein Wort,“ sagte sie und legte ihm die kleine Hand auf den Mund, „kein Wort, Lothar – jetzt ist’s nicht Zeit, glücklich zu sein. Ich weiß genug und – dort drüben sitzt der Tod.“

„Aber Du wirst dem Wunsche der Sterbenden nicht widersprechen?“ bat er demüthig.

„Ich werde nicht widersprechen.“

„Und wir fahren heim in unser stilles Neuhaus, Claudine?“

„Nein,“ erwiderte sie bestimmt, „o nein! Ich gehe nicht von ihr, die so schwer um mich gelitten, so lange sie am Leben ist. Ich fürchte mich nicht mehr, denn ich weiß jetzt, daß Du und ich zusammen gehören für immer, daß Du mir vertraust und an mich glaubst, immer, ohne Wanken Und Du – Du reisest indeß; noch einmal gebe ich Dir Urlaub; und dann, wenn Du zurückkehrst, wenn mein Herz sich wieder freuen kann, wenn ich glaube, das Recht zu haben, glücklich zu sein – dann werde ich zu Dir kommen.“




In den Gemächern der Herzogin hatte gegen Abend eine Trauung stattgefunden. Sie wußten es alle im Schloß, von der Leinenschließerin in der netten Mansardenwohnung bis zu dem Küchenjungen, der dort im Souterrain auf seine künftige Laufbahn sich vorbereitete. Man wußte, daß gleich nach der Trauung der junge Ehemann abgereist war und daß Frau Claudine von Gerold ihren Platz am Krankenbette der Herzogin eingenommen hatte.

Die hohe Frau befand sich sehr schwach heute Abend. Bei der Ceremonie war sie zugegen gewesen; sie selbst hatte mit zitternden Händen den Brautschleier über das schöne blonde Haupt des Mädchens gelegt. Seine Hoheit, die Herzogin-Mutter und Frau von Katzenstein waren die andern Trauzeugen gewesen. Noch im Beisein der Herrschaften hatte das junge Paar Abschied von einander genommen.

Und nun saß neben Claudine am Fußende des Himmelbettes eine kleine zierliche Gestalt, und beide hatten verweinte Augen. Die Herzogin war nach der Trauungsfeierlichkeit ohnmächtig geworden, und der Medizinalrath hatte sich zum Herzog begeben und ihn flüsternd vorbereitet auf das Unabweisliche.

Es wollte zu Ende gehen. –

Da draußen waren die Schneewolken zerissen, und die Sterne blitzten herab auf die winterliche Erde. In den Zimmern der Prinzen schien die Ampel auf schlummernde blonde Köpfchen; sie ahnten nichts. Sonst wachte alles in dieser Nacht. Die Lichter des Schlosses flimmerten hinaus in die Schneelandschaft, und dort unten in den Häusern der Stadt betete man für die allzeit hilfsbereite freundliche Herrin, die auf ihrem Sterbebette lag.

Im Vorzimmer ging der Herzog auf und ab; zuweilen warf er einen Blick in das Schlafgemach seiner Gemahlin. Dann hörte er eine leise Stimme:

„Adalbert, ist Claudine fort?“ – Und die junge Frau rückte geräuschlos an die Seite des Bettes. „Du bist noch da?“ fragte die Kranke.

„Laß mich bei Dir bleiben, Elisabeth,“ bat Claudine; „Gerold hat noch so Verschiedenes zu ordnen, bevor ich nach Neuhaus kommen kann.“

Die Herzogin lächelte schwach.

„Du verstehst ja nicht zu lügen, Claudine; ich weiß, weshalb Du bliebst! Armes Kind, welch traurige Hochzeit! – Ruf’ Adalbert!“ stieß sie dann hervor; „ist Helene da?“

Die Prinzeß kam. Dicht neben einander standen Claudine und sie.

„Gebt Euch die Hand,“ bat die Herzogin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_422.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)