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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

für zwei Groschen dorthin beförderten. An schönen Tagen machten sie bedeutende Geschäfte; denn Charlottenburg war stets ein Lieblingsausflugspunkt der Berliner, und die Hauptstraße daselbst war dann zu beiden Seiten mit zahllosen Tischen und Stühlen besetzt; reichten letztere aber nicht mehr aus, so saßen die hauptstädtischen Gäste in einzelnen Gruppen auf Schemeln, Bänken und sogar auf altem Bauholz; sie tranken behaglich ihr Bier und ihren Kaffee und waren fröhlich und guter Dinge. An derartigen schönen Tagen zeigte auch der Eingang zum Thiergarten eine volkstümliche Physiognomie; unter den Bäumen wurden Semmeln, Pfefferkuchen, Würste und sogar gefüllte Branntweinflaschen feilgehalten; hier und da stand ein Invalide mit einem Guckkasten, oder ein mechanisches Kunstwerk, das Innere eines Bergwerkes, einer Schmiede etc. darstellend, wurde den staunenden Umstehenden gezeigt. Während rechts nach der Spree zu ein weiter Exerzierplatz lag, befand sich links vom Thiergarten eine Reihe von Landhäusern, welche von ihren Besitzern zu Sommerwohnungen benutzt wurden; „prachtvoll schön“ erschienen sie einem zeitgenössischen Schilderer, wenige von ihnen haben sich bis heute erhalten und zwischen den prunkenden Palais der stolzen Thiergartenstraße dünken sie uns arm und kümmerlich, aber trotzdem geht von ihnen etwas ungemein Behagliches und Gemütliches aus.

Wie wir erwähnt, hatte Knobelsdorff den Park ganz umgeschaffen; von ihm stammen auch die „Labyrinthwege“, die uns jetzt noch immer das Zurechtfinden erschweren, von ihm auch überall die ehemaligen zahllosen Götter- und Götterinnenstatuen, zwölf allein auf dem „Großen Stern“, den deshalb die Berliner nie anders wie Puppenplatz nannten. Da dieser damals als einer der entlegensten Spaziergänge galt, so entstand daraus der Ausdruck „bis in die Puppen“, gleichbedeutend mit „zu weit“. Das Hauptrendez-vous für die große Welt war von hohen Ulmen und Eichen eingefaßte „Zirkel“ mit gegenüberliegenden Zelten, einigen Kaffeewirthschaften, die ihren Namen von Zelten, die sich früher hier befanden und gleichfalls der Erholung dienten, führten und ebenso noch jetzt führen. Im „Zirkel“ versammelte sich alles, was zur guten Berliner Gesellschaft gehörte; in den Nachmittag- und Abendstunden war er häufig überfüllt. Zwischen den Beamten in steifer Haltung, zwischen den wohlhabenden Bürgern mit sorgsamst gepudertem Haarbeutel und schneeweißem Spitzenjabot stolzirten die Offiziere der vornehmen Kavallerieregimenter, wie der Garde du Corps, der Gendarmen und Zietenschen Husaren, umher. Sie sagten den schönen Damen viele Schmeicheleien und erzählten von den Thaten des großen Friedrich und ihren zukünftigen eigenen. Auf den Alleen umher tummelten Reiter kokett ihre muthigen Rosse und medisirten mit den Insassen der offenen Gefährte; in eleganten, von allen Seiten mit Glasscheiben versehenen Karossen, an deren Schlägen Pagen und Heiducken standen, erschienen die Prinzessinnen des königlichen Hofes und erfreuten sich an dem frohsinnigen Durcheinander. Dann aber verödete mit einem Male der „Zirkel“; verhallt waren die Radotagen der Offiziere, verweht die gesuchten Aperçus der holden Damen, traurig und verödet lag das nahe Schloß Bellevue da, dessen ritterlicher Besitzer, Prinz Louis Ferdinand, den Heldentod gestorben. Napoleons Stern glänzte heller als je und von der mit Fridericianischem Lorbeer umkränzt gewesenen preußischen Armee waren nur noch demoralisirte Bruchtheile vorhanden. Und eines Morgens, da war die Quadriga vom Brandenburger Thor verschwunden und hatte den Weg nach Paris angetreten; die Berliner aber sagten, der Sieg ist aus unseren Thoren gefahren, denn die Göttin hatte ehedem ihr Angesicht dem Thiergarten zugekehrt.

Heute blickt sie nach der entgegengesetzten Richtung und zwar auf die Linden herab; wie einst wallfahrten in dichten gedrängten Scharen Tausende und Abertausende an heiteren Tagen heran und ergießen sich durch das hoheitsvolle Säulenportal in die grünen Laubhallen des Parkes. Welch fröhliches Gewimmel, besonders an Fest- und Feiertagen! Wer es möglich machen kann, verläßt das steinerne Häusermeer und pilgert mit Kind und Kegel hierher. Wohl giebt es ja noch verschiedene andere Parkanlagen in der Stadt, so den Humboldt- und den Friedrichshain, aber wagt diese nur einmal mit dem Thiergarten zu vergleichen, ihr würdet bei den Berlinern schön ankommen! Das wäre gerade so, als ob ihr die Frankfurterallee, die auch hübsch und breit und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_416.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)