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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Greif ist gut!“ fiel Erna beinahe heftig ein „Er thut keinem Menschen etwas zuleide und läßt sich gern von Fremden streicheln, aber den Herrn hier mag er nun einmal nicht, und –“

„Baroneß – ich bitte Sie!“ murmelte Frau von Lasberg, die nur mit Mühe noch ihre gemessene Haltung bewahrte; Elmhorst dagegen nahm die Worte mit einer tiefen Verbeugung und einem überlegenen spöttischen Lächeln hin.

„Ich bedaure unendlich, bei Herrn Greif und, wie ich fürchte, auch bei seiner Herrin in Ungnade gefallen zu sein,“ versicherte er, „aber ich bin wirklich schuldlos daran. Darf ich mich jetzt den Damen empfehlen?“

Er trat zu Alice, neben der sich Frau von Lasberg wie ein Posten aufgestellt hatte, als müsse sie ihre Schutzbefohlene vor jeder ferneren Berührung mit dieser wilden Gesellschaft behüten, die so urplötzlich in den Salon eingebrochen war und die man leider nicht hinausweisen konnte, weil es sich, ganz abgesehen von der Verwandtschaft, um einen geborenen Baron handelte.

Dagegen benahm sich der junge Mann mit dem einfach bürgerlichen Namen wirklich wie ein Kavalier. Weich und sympathisch klang seine Stimme, als er die Hoffnung aussprach, Fräulein Nordheim werde sich in der stärkenden Luft von Heilborn völlig erholen; ritterlich küßte er die Hand der älteren Dame, die ihm gnädig gereicht wurde; dann wandte er sich an den Präsidenten, um sich auch von ihm zu verabschieden, als ein ganz unerwarteter Zwischenfall eintrat.

Draußen auf dem Balkon der, wie die Wohnung überhaupt, im Erdgeschoß lag und rings mit blühenden Gewächsen umstellt war, erschien ein Kätzchen, das wahrscheinlich vom Garten aus den Weg hierher gefunden hatte. Es näherte sich mit harmloser Neugier der offenen Glasthür und kam dabei unglücklicherweise in den Gesichtskreis Greifs. Dieser, der mit dem gesammten Katzengeschlechte in Erbfeindschaft lebte , fuhr mit wüthendem Gebell auf, riß Frau von Lasberg beinahe um und schoß dann, an der tödlich erschreckenden Alice vorüber, aus den Balkon hinaus, wo nun eine wilde Jagd begann. Das geängstigte kleine Thier fuhr blitzschnell hin und her, ohne einen Ausweg zu finden, der Verfolger ihm nach; die Scheiben der Glasthür klirrten, die Blumentöpfe fielen um und zerbrachen und dazwischen tönte der gellende Pfiff des Freiherrn und der Ruf Ernas. Aber der noch sehr junge und ungebärdige Hund war einmal in Jagdeifer gerathen und gehorchte keinem Rufe mehr – es war ein Höllenlärm.

Endlich gelang es dem Kätzchen, die Brüstung des Balkons zu erreichen und von dort in den Garten hinabzuspringen. Aber Greif ließ seine Beute nicht fahren, er schoß ihr mit mächtigem Satze nach, wobei die letzten der noch unversehrten Blumentöpfe krachend in Trümmer gingen, und gleich darauf hörte man unten im Garten sein wüthendes Gekläff, zugleich mit dem lauten Angstgeschrei einer Kinderstimme.

Das alles geschah in kaum zwei Minuten, und als Thurgau auf den Balkon eilte, um Frieden zu stiften, war es bereits zu spät. Inzwischen herrschte drinnen im Salon eine unbeschreibliche Verwirrung. Alice lag in einem Nervenanfall mit geschlossenen Augen da, Frau von Lasberg hielt sie in den Armen; Elmhorst hatte sich, rasch entschlossen, eines Flakons bemächtigt, das er auf dem Nebentischchen erblickte, und netzte der Ohnmächtigen mit dem kölnischen Wasser Stirn und Schläfe, während der Präsident mit tiefverfinstertem Gesicht nach der Klingel griff, um die Dienerschaft herbeizurufen. Inmitten all dieser Hilfeleistungen aber hatten die drei einen Anblick, der sie sämmtlich innehalten ließ. Die junge Baroneß, das Freifräulein von Thurgau, stand urplötzlich oben auf der Brüstung des Balkons, aber nur für einen Moment, dann sprang sie als dritte in den Garten hinab.

Das war zu viel! Frau von Lasberg ließ Alice aus den Armen und sank selbst auf den nächsten Stuhl; Elmhorst sah sich genöthigt, auch ihr mit dem kölnischen Wasser zu Hilfe zu kommen, das er nun abwechselnd nach rechts und links spendete.

Unten im Garten schien Ernas Dazwischenkunft allerdings nothwendig. Das Kind, dessen Angstrufe sie zu dem Sprunge veranlaßt hatten, ein kleiner Bube, hielt mit beiden Armen sein Kätzchen umfaßt, das sich in seiner Noth zu ihm geflüchtet hatte, und vor ihm stand der riesige Greif, drohend und bellend, aber ohne den Kleinen anzugreifen. Dieser war augenscheinlich in Todesangst und fuhr in seinem lauten Jammergeschrei fort, bis Erna herbeeilte und den Hund am Halsband packte.

Baron Thurgau stand inzwischen ganz ruhig auf dem Balkon und sah dem Verlauf der Dinge zu. Er wußte, daß dem Kinde kein Leid geschah, denn Greif war in der That nicht bösartig. Als Erna aber mit dem sehr kleinlaut gewordenen Missethäter in das Haus zurückkehrte, während Bübchen und Kätzchen unversehrt davonsprangen , wandte sich der Freiherr triumphirend um und rief mit seiner Donnerstimme in den Salon hinein:

„Habe ich Dir nicht gesagt, Nordheim, meine Erna ist ein Prachtmädel!“

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Präsident Nordheim gehörte zu jenen Männern, die all ihre Erfolge nur sich selbst verdanken. Der Sohn eines untergeordneten Beamten und von Hause aus ganz mittellos, hatte er sich zum Ingenieur ausgebildet und in den engsten und einfachsten Verhältnissen gelebt, bis er auf einmal mit einer technischen Erfindung hervortrat, welche die Aufmerksamkeit des ganzen Berufskreises auf ihn lenkte. Man nahm gerade damals den Bau der ersten Gebirgsbahnen in Angriff, und der junge, noch gänzlich unbekannte Ingenieur reichte den Entwurf zu einer neuen Lokomotive ein, welche die Bahnzüge auf die Höhen befördern sollte. Es war ein Plan, der, ebenso sinnreich wie praktisch, den Sieg über all die andern Vorschläge davontrug und von der Gesellschaft angenommen wurde. Sie erwarb schließlich das Patent von dem Erfinder und zahlte dafür ein Kapital, das in seinen damaligen Verhältnissen als ein Vermögen gelten konnte, jedenfalls legte es den Grund zu seinem künftigen Reichthum; denn er trat damit selbst in die Reihen der Unternehmer ein.

Wider Erwarten verfolgte Nordheim die Laufbahn, in der er doch einen so glänzenden Erfolg errungen hatte, nicht weiter; er schien merkwürdigerweise das Interesse daran verloren zu haben und wandte sich einem anderen, allerdings verwandten Gebiete zu. Er übernahm die Bildung und die finanzielle Leitung einer großen Baugesellschaft, die er in wenigen Jahren zu einer ungeahnten Blüthe brachte, während sein eigenes Vermögen sich dabei verzehnfachte.

Dem einen Unternehmen folgten bald andere; mit den großartigen Mitteln, die er jetzt verwenden konnte, wuchs auch die Großartigkeit seiner Pläne, und es zeigte sich in der That, daß er hier erst das eigentliche Feld für seine Begabung gefunden hatte. Er war kein Mann des Sinnens und Grübelns, der jahrelang über irgend einem technischen Entwurfe brüten konnte; er mußte mitten hineingreifen in das Leben, mußte wagen und schaffen, im engsten Anschluß daran sich alle möglichen Interessen dienstbar machen und sein mächtiges Organisationstalent nach allen Richtungen hin entfalten.

Der rastlos tätige Mann wußte immer die rechten Menschen auszuwählen und sie an den rechten Ort zu stellen; er überwand jedes Hinderniß, erschloß sich überall neue Hilfsquellen, und seiner Energie kam bald auch das Glück zu Hilfe. Die Unternehmungen, an deren Spitze Nordheim stand, waren immer erfolgreich, und während er selbst dabei zum Millionär wurde, wuchs sein Einfluß in all den Kreisen, zu denen er in Beziehung stand, ins Ungemessene.

Dem Präsidenten war vor einigen Jahren seine Gattin gestorben, ein Verlust, den er nicht tief empfand, denn es war keine besonders glückliche Ehe gewesen. Er hatte sich noch als einfacher Ingenieur verheiratet und die stille, anspruchslose Frau verstand es nicht, sich in den wachsenden Glanz des Hauses zu finden und die große Dame zu spielen, wie ihr Gemahl es verlangte. Dazu kam, daß der Sohn, den sie ihm schenkte und in dem er sich auch einen geistigen Erben zu erziehen dachte, schon im Kindesalter starb. Erst einige Jahre später wurde ihm Alice geboren, das schwächliche kränkliche Kind, für dessen Leben man fortwährend bangen mußte und dessen apathisches Wesen der energischen Natur des Vaters durchaus widerstrebte. Sie war seine einzige Tochter, seine dereinstige Erbin und wurde als solche mit allem umgeben, was der Reichthum zu bieten vermag; aber eine andere Bedeutung hatte sie kaum für ihn, und er war froh, als er ihre Pflege und Erziehung in die Hände der Baronin Lasberg legen konnte.

Die einzige Schwester Nordheims, die in seinem Hause lebte, hatte dem damaligen Hauptmann von Thurgau die Hand gereicht. Ihrem Bruder, der zu jener Zeit seine ersten Erfolge errungen hatte und schon für einen reichen Mann galt, wäre ein anderer Bewerber wohl willkommener gewesen als der letzte Sproß eines verarmten adligen Hauses, der nichts besaß als seinen Degen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_414.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)