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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ringsherum abgesprengt und in Form einer Kappe herabgeschleudert werden.

Liegt die Blüthe normal offen, so präsentiren sich die fünf Blumenblätter als matt braunrothe Ovale mit zerstreuten weißgelblichen zollhohen warzenartigen Hervorragungen der dickfleischigen Blattmasse. Die innere Blumenröhre ist eine außen ebenso gefärbte Halbkugel von etwa fünf Centimetern Wandstärke. Das oberste Sechstel dieser Halbkugel ist wie weggeschnitten und diese Oeffnung von einem dunkelfleischfarbenen Wulst umringt. Die innere Kugelwand ist schwarzviolett, bedeckt mit unzähligen gleichfarbigen saftigen Haarauswüchsen von etwa einem Centimeter Länge. Aus dem Grunde der Kugel erhebt sich auf einer etwa fünf Zentimeter hohen Säule eine zwölf bis fünfzehn Zentimeter breite Scheibe, deren im Centrum hellviolette, in mehreren abwechselnd hell- und dunkelvioletten Ringen abgetönte Fläche am Rande zierlich kerbigwellig ist, während aus ihrer Mitte zahlreiche kegelförmige bis bandförmige, zwei bis drei Centimeter lange Griffel hervorsprossen. Diese langen braunvioletten Griffel sind in den weiblichen Blüthen kräftig und fruchtbar, in den männlichen Blüthen schmäler und unfruchtbar. Die männlichen Organe, die Staubbeutel, sitzen von außen dem Blicke vollkommen verdeckt in der Hohlkehlung des obern Ringes der Scheibensäule. Die weiblichen Blüthen entwickeln sich zu einer großen weichbeerigen Frucht, in deren leicht faulendem Fleische die winzigen Samen massenhaft sitzen. Die Befruchtung selbst erfolgt offenbar nur durch Aasinsekten, denn der Duft der sich öffnenden Blüthe ist der vollkommenste Aasgeruch, und zwar ist der Gestank nicht nur für die menschliche Nase demjenigen faulenden Fleisches täuschend ähnlich, sondern auch Schmeißfliegen, Aaskäfer und verwandtes Gelichter werden durch denselben massenhaft angelockt. Die Lebensdauer der Blüthe ist eine sehr kurze; nach ein- bis zweitägigem Blühen sinkt die enorme Masse in sich zusammen und geht rasch in Fäulniß über, so daß auch die Larven der Aasinsekten in dieser faulenden organischen Masse ihre Rechnung finden. Wie die Frucht ausreift, wie die Samen keimen und ihren Wurzelsproß in die Rebe versenken, um dort aus dem System der Wurzelfasern neue Knospen zu bilden: das sind Fragen, welche vorläufig noch unbeantwortet sind und erst ihre Erledigung finden werden, wenn an Ort und Stelle neue Forschungen über diese riesigste aller Blüthen werden angestellt werden können. Da Dr. Schadenberg wiederum nach den Philippinen abgereist ist, so wird eine oder die andere Frage schon in den nächsten Jahren ihre Antwort wohl finden.

Sehen wir uns nun unter den Pflanzen, welche uns bekannter sind, nach Verwandten der riesigen Rafflesien um, so müssen wir eingestehen, daß wir in unserer europäischen Flora nichts haben, was sich mit diesen Tropenkindern vergleichen ließe. Allerdings giebt es in Italien aus den Wurzeln der Cistrosenbüsche eine Schmarotzerpflanze, welche, botanisch angesehen, in dieselbe Familie der Cytinaceen wie die Rafflesien gehört, aber sie bildet nur daumendicke, wenige Centimeter hohe Kegel, auf denen winzige, dunkelrothe Blüthchen sitzen, und nur ihr innerer Bau zeigt dem Gelehrten, daß man auch hier Kleines mit Großem vergleichen kann.

Dr. Schadenbergs botanische Funde auf Mindanao, welches dem Flächenraum nach die zweitgrößte Insel der Philippinen ist, gipfeln allerdings in der Entdeckung der ungeheuerlichen Rafflesia Schadenbergiana; aber auch unter den übrigen von ihm gesammelten Pflanzen war eine reiche Zahl neuer oder doch hochinteressanter Pflanzen. Mächtige, beerentragende Myrthenbäume fand er in der Nähe des Rafflesiaplatzes, welche, in der Botanik als Glaphyria Annae fortlebend, den Namen seiner damaligen Braut und jetzigen Gattin und treuen Reisebegleiterin verherrlichen. Eine kolossale Aroidee, deren Blatt neun Meter Umfang maß, brachte er lebend mit, und außerdem zwei wunderschöne Alpenrosen, von denen die eine bei 2000 Metern Höhe am Vulkan Apo schneeweiß erblühende Wälder bildet und nach seinem Reisekameraden „Rhododendron Kochii“ getauft ward, während die zweite den Namen des Apo trägt, unter dessen Spitze sie die letzte strauchartige Pflanze ist.

Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der reichen und werthvollen Pflanzenschätze, welche Dr. Schadenberg auf Mindanao erschloß, gingen englische Sammler dahin, um die dort wachsenden Orchideen für England auszubeuten. So vollzog sich auch hier das, wie es scheint, unabänderliche Schauspiel: der ideale Deutsche bahnt den Weg, zeigt die Schätze, welche daliegen, und der geschäftskundige Engländer folgt seiner Spur und macht das Geschäft!




Blätter und Blüthen.




Professor Karl Riedel †. In unserem Blatte (Jahrgang 1869, S. 564) haben wir das Porträt und die Lebensskizze des hervorragenden Musikers gebracht, der am 3. Juni d. J. in Leipzig verstorben ist. Wir wiederholen hier aus jener Lebensskizze, daß Karl Riedel in der preußischen Rheinprovinz in Cronenberg als Sohn eines aus Thüringen stammenden Apothekers am 6. Oktober 1827 geboren wurde, so daß er also ein Alter von 61 Jahren erreicht hat. Nach einer aus Volks- und Realschulen erlangten Bildung wurde Riedel Lehrling, später Geselle in einer Seidenfärberei; bald zog ihn indeß sein Herz zur Musik. Als Schüler Karl Wilhelms, des Komponisten der „Wacht am Rhein“, in Krefeld begann er seine musikalische Laufbahn, die er dann am Konservatorium der Musik in Leipzig fortsetzte. Schon früh widmete er sich dem Studium der altitalienischen und altdeutschen Meisterwerke; aus einem im Jahre 1854 begründeten einfachen Gesangsquartett erwuchs der berühmte Riedelsche Verein, über dessen Tendenzen und Schicksale bis zum Jahre 1869 wir bereits Auskunft ertheilt haben.

In den letzten zwanzig Jahren ist der Verein mit seinen großen Zwecken gewachsen; sowohl die Zahl der Theilnehmer, als auch sein musikalisches Repertoire, sein Ansehen in Leipzig und auswärts hat zugenommen: es ist dies durchaus das Verdienst des unermüdlichen Leiters, der lange Zeit hindurch selbst finanzielle Opfer nicht scheute. Im Mai 1872 sang der Riedelsche Verein zusammen mit dem Sternschen und Reblingschen Gesangverein in Bayreuth zur Feier der Grundsteinlegung des Festspielhauses unter Wagners Leitung, und zwar trug er dort die Chöre aus der neunten Symphonie Beethovens, dem Kaisermarsch und den „Meistersingern“ vor. Dann sang der Verein 1877 zu Nürnberg, 1883 in Berlin, 1884 in Bremen. Riedel gehörte außerdem zu den Begründern des Allgemeinen deutschen Musikervereins, dessen Vorsitz er 1868 übernahm; seiner Anregung ist es vorzüglich zu verdanken, daß die Tonkünstlerversammlungen in Altenburg, Weimar, Magdeburg, Kassel und Halle stattfanden.

Für die Pflege des ernsten Chorgesangs, sowohl was ältere Meisterwerke, als die neuen Schöpfungen von Liszt, Berlioz u. a. betrifft, hat Karl Riedel ausnehmend viel gethan; eifrig, ausdauernd, von hoher Begeisterung für seine Kunst und gerade für die ernsteste Richtung derselben erfüllt, besaß er außerdem ein großes organisatorisches Talent und was er ins Leben gerufen und gestaltet hat, wird noch nach dem Tode des wackern Meisters reiche Früchte tragen.

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Die Landbriefträger. Die Briefträger gehören im ganzen zu den beliebtesten Personen. Der Menschen Sinn ist einmal auf das Neue gerichtet und mit Spannung sehen sie den Nachrichten entgegen, welche die verschlossenen Kouverts enthalten. Die Hoffnung auf irgend einen besonderen Glücksfall ist bei den Sterblichen nicht auszurotten und wer kann davon Kunde bringen, als der Post- oder Telegraphenbote? Für den Geschäftsmann sind die Nachrichten, welche diese bringen, in der Regel das Schwungrad, welches den ganzen Betrieb in Bewegung setzt; für die Liebenden aber trägt der erstere in seiner Mappe verschwiegene Mittheilungen, beseligende Geständnisse. Darum wird er, wo er erscheint, in der Regel mit einer gewissen freudigen Aufregung, bisweilen freilich auch mit banger Erwartung begrüßt. Er mag es wohl fühlen, daß er eine wichtige Person ist, aber bei den Strapazen seines Dienstes hat er keine Muße, mit Behagen darüber nachzudenken. Wenn er an heißen Hundstagen Straße auf, Straße ab laufen, die Treppen hinaufklettern muß bis ins vierte oder fünfte Stockwerk und in Schweiß gebadet sich keine Ruhe gönnen darf, so ist er gewiß nicht in der Stimmung, den Eindruck nachzuempfinden, den er bei den Empfängern seiner Briefe hervorruft.

Ist dieser Dienst aber schon in der Stadt ein beschwerlicher, so ist er’s noch mehr auf dem Lande, wo der Briefträger weite Entfernungen durchmessen muß bei jedem Wetter, den Gewitterstürmen und Schneestürmen ausgesetzt ist und selbst räuberischer Anfällen bei seinem einsamen Gang durch die Wälder und über die Felder. Daß es sich hier nicht um romanhafte Phantasiegebilde handelt, das beweist die Statistik mit ihren unerbittlichen Zahlen, denen sich nichts abhandeln läßt. Während der zwei Jahre Oktober 1885 bis 1887 sind im Post- und Telegraphenbetriebe im ganzen 83 Unfälle eingetreten, von denen 26 auf den Landbriefträgerdienst und auf die Bestellung von Telegrammen auf dem Lande kamen; darunter waren 16 Todesfälle. Fünf jener Unglücksfälle erfolgten durch Ausgleiten bei herrschender Glätte, einer durch das Umstürzen eines Landbriefträgerwagens auf glatten Wegen, zwei durch Einbrechen auf dem Eise, sechs durch Erfrieren, zwei durch Verirren bei herrschender Dunkelheit, einer durch Schneetreiben und Nebel, zwei durch Hitzschlag. Auch wurden ein Landbriefträger und ein Posthilfsbote ermordet.

Der Winter besonders erweist sich den Landbriefträgern gefährlich, deren Dienst weder durch die größte Kälte, noch durch den dichtesten Schneefall, noch durch die lichtloseste Dunkelheit Unterbrechung erleiden darf. Mögen daher die Postboten auf dem Lande wegen ihres aufopfernden Dienstes überall mit der Freundlichkeit behandelt werden, welche den Menschen gegenüber am Platze ist, die mit Erfüllung schwerer Pflichten uns willkommene Dienste leisten.

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Die wiedererstandene Bastille. Unsere Leser erinnern sich unserer Mittheilungen über die Bastille im Jahrg. 1886 (S. 857 u. 910). Es wird sie interessiren, zu erfahren, daß in Paris diese Bastille neu erbaut worden ist und zwar nicht aus Pappe oder Papiermaché, sondern aus Steinen. Zwei Pariser, der Baumeister Colibert und der Großindustrielle Perrusson haben dies im Juli 1789 zertrümmerte Bauwerk, wie es kurz vor der Zerstörung aussah, wieder ins Leben gerufen und zwar auf dem Marsfelde beim Ausgang der Avenue Suffret, und nicht bloß die Bastille, sondern auch einen Theil der zu ihr führenden Rue Antoine mit 30 kleinen einstöckigen Häusern und an Schnüren hängenden Oellampen, welche die Straße erleuchten. Da sieht man das alte Hôtel Mayenne mit einem Café im Parterre, wo die Wirthin sitzt im Kostüm Louis’ XVI., kleine Schusterläden, Modengeschäfte, Wirthshäuser, Goldschmiedläden mit Silberfiligranarbeiten; hier hausen Schreiber, Friseure, Bäcker; durch die Straße ziehen Soldaten, Blumenmädchen, Gaukler und Seiltänzer, alles im Kostüm der Zeit, in den Läden und Wirthshäusern sieht man Mädchen mit weißen Perücken, breiten Tüllkragen und der Frisur der Marie Antoinette. An die Bastille selbst lehnen sich kleine Buden mit Büchern und Antiquitäten. Im Innern allein ist der historische Charakter nicht vollständig durchgeführt. Es sieht hier nicht so unheimlich düster aus wie früher; an der Stelle des ersten großen Hofes liegt ein Festsaal um einer kleinen Bühne, auf welcher bei der Eröffnung eine Operette Grétrys aus dem Jahre 1769 aufgeführt wurde. Daß diese Bastille nur eine geringe Zahl von Gefangenen zu beherbergen vermochte, haben wir bereits früher erwähnt und das neuerstandene Bauwerk liefert den Beweis dafür.

Ein merkwürdiges Volk, die Franzosen! Mit solchen architektonischen Spielereien illustriren sie ihre Geschichte, und doch sind sie nicht sicher davor, daß gelegentlich eine ernstgemeinte Bastille in Paris aus dem Boden wachse; denn es ist hier nicht recht geheuer und es spukt etwas wie das Gespenst einer Säbelherrschaft.

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