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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich bin gewiß nicht lax, aber wir sind menschlich. Wer keine Arbeit bekommt, kein Geld bekommt, wem beides abgeschlagen wurde und wer den ganzen Tag gehungert, der nimmt Brot, und dieses zu bestrafen wäre – wenigstens – sehr hart. Die ganze Strafe laß ich dem P. St. nach, der jedoch wohl zu warnen ist vor Wiederholung.“

Auch wo ihn momentan der Aerger ergriff, kam oft die mildere Ueberlegung nach. Am Rande eines sehr schlecht geschriebenen Berichtes findet sich die Note: „Der dies geschrieben, scheint auch zu allem eher zu passen, als zum Schreiber. Will diese Schrift nicht mehr sehen“ Zwei Tage später aber fügt er den Zusatz bei: „Damit soll aber nicht gesagt sein, daß er des Dienstes entlassen wird, zumal wenn er Familienvater.“

Das letztere Wort ist charakteristisch. Der König war in seinen Verfügungen für Witwen- und Waisenpensionen stets bedacht, „daß sie auch wirklich davon leben können“. Freilich, Luxus treiben durften sie nicht, wie die folgende mir von einem Augenzeugen berichtete Begebenheit zeigt. Er hatte einer Majorswitwe in Rücksicht auf ihre zahlreichen Kinder einen Zuschuß zur Pension aus seinen Mitteln verwilligt und sich ihren thränenüberströmten Handküssen rasch entzogen. Am Oktoberfest desselben Jahres aber, als er seiner Gewohnheit gemäß mit der Königin am Arm unter der dichten Volksmenge auf der Theresienwiese einherspazierte, erkannte sein scharfes Auge die Bittstellerin und zwar in einem neuen, eleganten Hute. Sofort drängte er, die Königin gewaltsam nachschleppend, durch die Wand der Bauern durch, pflanzte sich vor der Witwe auf und sagte mit unheimlicher Freundlichkeit. „Schön, daß ich Sie sehe, Frau Majorin; scheint Ihnen gut zu gehen, haben einen sehr schönen Hut auf. Nichtwahr, Therese, wenn Du einmal einen solchen Hut hättest?!!“ schrie er im Abschwenken der Königin zu. Die erstarrte Witwe sah, keines Wortes mächtig, dem königlichen Rücken nach, erhielt aber noch am selben Abend die Ankündigung, daß ihr die Pensionserhöhung wieder entzogen worden sei. Der König blieb unerbittlich trotz allen Flehens; vielleicht wirkte zu dieser Härte ein geheimer Haß gegen neue Hüte im allgemeinen mit; denn er selbst hatte, soweit sich die Münchener zurückerinnern konnten, nur alte und sagte bei Gelegenheit einer Gesellschaft, wo man ihm den Hut holen wollte, gutgelaunt: „Sie haben nicht lange zu suchen; nehmen Sie nur den schlechtesten, das ist der meinige.“

Viele Züge dieser Art kursiren noch heute in München und halten das Gedächtniß an Ludwigs Wunderlichkeiten frisch. Auch kann jeder im Hofgarten Spazierende stets von neuem den hoffnungslosen Versuch machen, die über Rottmanns Bildern stehenden allerhöchsten Hexameter zu skandiren, die schon soviel Anlaß zur Heiterkeit boten. Ein schalkhafter Kopf (Fernbacher) hat ihren holperigen Gang schon vor 30 Jahren sehr glücklich parodirt:

„O Hofgarten, der du genannt bist Garten des Hofes,
     Hofgarten bist du genannt, weil du der Hofgarten bist.“

Oder:

„Näher als Menterschweig nicht ist Hesselohe dem Münchner,
     Doch, weil die Eisenbahn geht, glaubt er halbweges sich heim.“

Ludwigs Distichon lautet:

„Näher der Heimath nicht als in Sicilien ist Reggio dem Deutschen,
     Doch weil dazwischen kein Meer, glaubt er halbweges sich heim.“

Ludwig selbst sah sehr wohl da und dort das siebente Füßlein aus seinen Hexametern gucken, ohne sich darüber zu betrüben. Einst stand ein Fremder kopfschüttelnd vor dem Bilde „Monte Cavo“ und skandirte angestrengt:

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„Steine warfst du Berg aus, einstens“ …

Nein, so kann es nicht sein.

ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘
„Steine warfst du Berg aus, einstens“ …

Nein! Da klopfte ihm eine lange Gestalt im grauen Ueberrock auf die Achsel und schrie ihm freundschaftlich ins Ohr: „Geben Sie sich keine Mühe; es hat’s noch keiner herausgebracht, Sie kriegen’s auch nicht heraus!“

Trotz solcher stellenweisen Erkenntniß und trotz seiner grausamen Partizipialformen hielt sich Ludwig doch für einen Dichter und ritt sein Steckenpferd mit der Ausdauer und Begeisterung des echten Dilettanten.

Die Nachwelt wird seinen langen und formlosen Gedichten keine Kränze reichen, aber sie wird doch zugestehen müssen, daß heiliges Feuer in seinem Herzen loderte, und daß er der Poesie wärmer und voller zu eigen war, als mancher Berufspoet. Die Klassiker aller Völker und Zeiten bildeten seine stete Lektüre, Schiller und Goethe kannte er auswendig. Nichts anderes auch, als die Begeisterung für die alten Griechen triebe ihn an, die Sache ihrer unterdrückten Enkel zu seiner eigenen zu machen und in Wort und Schrift unermüdlich dafür zu wirken.

„Nach Deutschlands Befreiung, unter Napoleons Zwingherrschaft gebeugt, glühte ich für nichts so, als daß Hellas siegen möge … Thätig war ich, thätig bin ich, daß Unterstützung ihm werde …“

Er ließ bei seinen häufigen Rundreisen überall sich den feierlichen Empfang und die Beleuchtungen verbitten, aber zugleich auffordern, die dafür beabsichtigten Summen ihm für Griechenland zu geben. Junge begabte Griechen ließ er nach München kommen und auf seine Kosten studiren, ohne sich an das Gerede von Menschen zu kehren, die, wie er sehr richtig sagte, „es ganz in der Ordnung fänden, wenn ich diese paar tausend Gulden jährlich auf meinen Marstall verwendete.“

Er wiegte sich in der Illusion, daß die Neuhellenen bald ihrer großen Ahnen würdig sein würden, und überhörte geflissentlich Fallmereyers Warnungsrufe über die slavisirte Rasse. Als dann, nachdem das große Werk gelungen und Griechenland befreit war, Thiersch und andere den Prinzen Otto von Bayern für den griechischen Thron in Vorschlag brachten, da hielt sich König Ludwig ganz zurück, er wollte auch den Schein meiden, mit dieser großen Sache einen Vortheil für sich und sein Haus bezweckt zu haben. Er hat auch wahrlich keinen damit erreicht: in dem Jahre, als er die Propyläen, das Siegesdenkmal für Griechenland, vollendete, jagten die Griechen seinen Sohn aus dem Lande und den Vorschuß von 1 800 000 Fl., den er ihnen einstens gegeben, mußte er der Staatskasse aus seinem Vermögen ersetzen. Von Rückzahlung an ihn aber war keine Rede mehr.

Diese schlimme Erfahrung mit dem einstigen Ideal schlug ihn aber nicht nieder; sein Herz war und blieb begeisterungsfähig bis in die späten Jahre, wo er, der Regentenpflichten ledig, einer seligen Freiheit genoß unter den Palmen und Cypressen der Villa Malta in Rom, deren Erdgeschoß er dem alten Wagner als Atelier eingeräumt hatte und wo er interessante Fremde und Einheimische zu kleinen Diners um sich versammelte, bei denen es, trotz der störenden Schwerhörigkeit des Königs, heiter genug zuging. Er war unerschöpflich in Erzählungen und Erinnerungen. Wenige Herrscher, seit Diocletian, haben es verstanden, mit solcher Heiterkeit die Krone zu entbehren, und Ludwig erreichte sogar in seinen späteren Jahren in München einen Grad von Popularität, wie er ihn in der Vollgewalt seines absoluten Königthums nicht gehabt hatte. Jeder freute sich, den alten Herrn im Odeonskonzert seine gewohnte Runde machen zu sehen, nach allen Seiten sprechend und grüßend. Allerdings verfiel er dabei gelegentlich wieder in seine alte Unart, Damen und besonders verblühte Damen, die ihm ein ästhetisches Aergerniß waren, in Verlegenheit zu setzen. Eine sehr schöne Frau pflegte er früher regelmäßig zu begrüßen. „Ah, Frau N…, freue mich, freue mich; was macht der Gemahl, ist er recht eifersüchtig?“ und ihr „Nein, Majestät“ hartnäckig zu ignoriren. Nach jahrelanger Abwesenheit ihrerseits sah er sie wieder im Odeonssaal, schoß auf sie zu und rief, wie früher: „Freue mich, lange nicht gesehen, haben sich sehr verändert. Was macht der Gemahl, ist er immer noch so eifersüchtig?“

„Nein, Majestät!“

„Glaub’ ich gerne,“ rief der König lachend, „hat es jetzt auch nicht mehr nöthig!“

Derlei ungezogene Späße konnte er sich nun einmal nicht versagen, aber im ganzen kamen doch bei zunehmendem Alter die liebenswürdigen Seiten seiner Natur überwiegend zum Vorschein; er bewegte sich mit jugendlicher Rüstigkeit und guter Laune unter den Menschen und pflegte auf den Künstlerbällen, wenn gegen Mitternacht das junge Königspaar verschwand, lachend zu rufen: „So, Kinder, jetzt ist der Hof fort, jetzt wollen wir unter uns lustig sein!“ In der Pfalz, in Berchtesgaden, wo er abwechselnd seine Sommer zubrachte, hing das Volk mit aufrichtiger Liebe an ihm, der stets ein freundliches Wort und eine offene Hand für die Armen und Geringen hatte.

Deshalb war die Trauer tief und aufrichtig, als am 29. Februar 1868 die Nachricht aus Nizza kam, daß nach längerem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_405.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2021)