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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

vom Theater durch die königliche Loge bewegte, da ehrte König Ludwig sich und die Künstler dadurch, daß er den Pseudo-Maximilian mit vollendeter Kourtoisie als kaiserliche Majestät behandelte, zu seiner Rechten sitzen ließ und dem strengen Ceremoniell entsprechend anredete. Und alle Augenzeugen stimmen überein, daß der Kaiser seine Rolle ebenso tadellos gespielt habe wie der König. Ein Umzug durch die vielen Gänge der Residenz und ein großes Festbankett schloß die Feier, welche unvergänglich in den Herzen der alten Münchener Künstlerschaft lebt. Freilich sind es heute nur noch sehr wenige, die aus eigener Erfahrung davon sprechen können!

König Ludwigs Berührungen mit seinen Künstlern waren allerdings nicht immer so freundlicher Natur. Es gab Mißhelligkeiten genug zwischen dem hitzigen König und dem hitzigen Cornelius, die den letzteren bewogen, von München zu scheiden. Beide aber hörten darum nicht auf, sich gegenseitig hochzuhalten. Kaulbach mit seiner ironischen Höflichkeit kam im ganzen gut mit ihm aus, und der stärkste Verdruß, den sie hatten, betraf nicht gerade die Kunst, sondern ihre Beziehung auf den empfindlichen Punkt: Lola Montez. Kaulbach, der immer den Drang fühlte, sich seine Entrüstungen vom Herzen herunter zu malen, hatte während der aufgeregten Zeiten von 1847 rein zu seiner Satisfaktion die Vielberufene auf die Leinwand gebracht als Zauberin, die Schlange um den Leib, den Giftbecher in der Hand. Das blieb selbstverständlich dem König nicht verborgen und eines Tages schoß er herein:

König Ludwig I. von Bayern.

„Kaulbach, was höre ich, was haben Sie gemacht! Das ist eine Beleidigung, gegen mich auch! Warten Sie nur, das wird Ihnen die Lola gedenken!“

Und ohne das Bild näher zu betrachten oder Kaulbach zu Worte kommen zu lassen, war er wieder hinaus. Jener aber, welcher wußte, wie schnell die heißblütige Tochter des Südens zum Angriff mit der Reitpeitsche überging, legte sich ein tüchtiges Scheit Holz neben die Staffelei, um kommendenfalls gerüstet zu sein. Er hatte nicht lange zu warten. Eine Stunde später wurde die Thür wieder aufgerissen und Lola Montez erschien mit dem großen Hunde, der sie stets begleitete, hinter ihr der König. Kaulbach ergriff sein Holzscheit und trat ihr entgegen; im nächsten Augenblick hatte sie den Hund auf ihn gehetzt; zu gleicher Zeit aber schoß hinter der Staffelei sein eigener riesiger Neufundländer heraus und dem andern an die Kehle. Nun fuhren die beiden Bestien heulend und beißend hinaus in den tiefen Schnee des Hofes, Lola in Angst und Zorn hinter ihrem Hunde drein, der König ihr nach, und hinter ihm Kaulbach. Und so nahm dieser Auftritt, der so bedrohlich begonnen, plötzlich ein lächerliches Ende. Die beiden Hundebesitzer hatten die größte Mühe, im tiefen Schnee hin- und herrennend, ihre vierbeinigen Vertheidiger aus einander zu bringen, und ein allgemeiner Rückzug nach verschiedenen Seiten schloß die bewegte Scene. Ich füge hinzu, daß mir diese Begebenheit von einem alten Freunde Kaulbachs erzählt wurde, dem er sie am nächsten Tage mittheilte.

Daß ihm Ludwig die Sache nicht weiter nachtrug, als Kaulbach das Bild dem allgemeinen Anblick entzogen hatte, beweist noch nichts für seine Mäßigung im allgemeinen. Von seinem berühmten Wahlspruch „Gerecht und beharrlich“ hielt er nur den letzten Theil unverbrüchlich und konnte im übrigen manchmal rachsüchtig genug sein, wo er sich beleidigt glaubte. In ihm war ein Gemisch von königlichem Größenbewußtsein und bürgerlicher Einfachheit, welches die widersprechendsten Aeußerungen zu Tage förderte. Man war nie sicher, welche Seite gerade herauskam: einmal schlug er einem Studenten, der ihn nicht grüßte, die Mütze vom Kopf; ein anderes Mal winkte er im starken Regenwetter schon von ferne ab: „Nicht, nicht! Zu schlechtes Wetter für Höflichkeiten!“ Einem Malergehilfen, der, um ihn vor dem Sturz von der ins Schwanken gerathenen Leiter zu retten beisprang und ihn unter den Armen faßte, rief er noch taumelnd mit einer Art von Entsetzen zu. „Majestät nicht anrühren!“ Und dann ließ er sich wieder von dem oben genannten alten Wagner Dinge sagen, die sich ob ihrer aristophanischen Derbheit jeder Wiedergabe entziehen, welche aber jedenfalls kein anderer Monarch und wenige Privatmänner ruhig angehört hätten. Er war eben von dessen unerschütterlicher Ergebenheit und Rechtlichkeit überzeugt und sagte höchstens: „Den Wagner muß man reden lassen; er kann nicht anders.“

Das war nun in der That richtig; keine Macht der Erde hätte der Elementargewalt von Wagners Grobheit gebieten können; außerdem aber war er für Ludwig unentbehrlich als der kunstverständige, tätige und schlaue Agent, der ihm die heute unschätzbaren Antiken der Glyptothek zu äußerst billigen Preisen einkaufte und ihre Auslieferung unter tausend Schwierigkeiten durchzusetzen wußte, mitten im Getümmel der aufgeregten Kriegszeiten. So sind die Aegineten, das hochbedeutsame Mittelglied zwischen archaistischer und freier Kunst in Griechenland, um 20 000 Skudi erworben worden und der glückliche Besitzer wies alle verzweifelten englischen Nachgebote hohnlächelnd ab, indem er zugleich die Zahlungsbedingungen so zu regeln wußte, daß an den Zinsen noch die Fracht herauskam.

Es würde viel zu weitläufig sein, hier auch nur eine einfache Aufzählung alles dessen zu geben, was König Ludwig in seiner reichen Kunstthätigkeit geschaffen, von den Münchener Monumenten an bis zur herrlichen Regensburger Walhalla und den zahllosen über das ganze Land verstreuten Kirchenbauten. Dies alles ist auch weltbekannt. Aber gerade für unsere Zeit ist es eigenthümlich rührend zu lesen, daß er bei seinen unzähligen Gaben an deutsche Schulen und Kirchen in allen Weltteilen immer den deutschen Gesichtspunkt hatte und überall die Konsuln anwies, darauf zu achten, daß die Deutschen über dem Meer ihrer Nationalität treu blieben. Niemals war ein Herz stolzer auf diese, als das König Ludwigs, und daß er diese Gesinnung in den elenden zwanziger und dreißiger Jahren stets behielt und unermüdlich aussprach: das ist ein Verdienst, welches viele seiner Fehler aufwiegt.

Dem hervorstechendsten derselben, der herrschsüchtigen Anmaßung, alles selbst am besten wissen und selbst ordnen zu wollen, hält doch auch die außerordentliche Gewissenhaftigkeit die Wage, mit der er trachtete, diese über die Kräfte des Einzelnen gehende Aufgabe zu erfüllen. Heigel giebt in seinem sehr schönen und lesenswerthen Buch über König Ludwig eine Auswahl seiner eigenhändigen Randbemerkungen über Strafvollzug, Straferlaß und Begnadigung, aus denen überall der ernste Wille spricht, das Rechte zu finden, sorgfältige Erwägungen anzustellen, ob der zu Begnadigende Aussicht auf Besserung biete, ob er wieder Arbeit finden werde, etc. Wie schön klingt folgender Beschluß:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_404.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)