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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

da am Bergeshang zerstreut waren, beim Näherkommen aber entdeckte man bald, daß es kein Bauernhof war, der da auf der weiten grünen Matte lag. Das Haus hatte festgefügte steinerne Wände und niedrige, aber breite Fenster und Thüren; die beiden halbrunden Erker, die mit ihren spitzen Dächern wie Thürmchen aufragten, gaben ihm ein noch stattlicheres Ansehen, und über dem Eingange prangte, kunstvoll in den Stein gemeißelt, ein Wappenbild.

Es war einer jener alten Herrensitze, wie sie sich bisweilen noch ganz vereinzelt im Gebirge finden, schlicht und einfach, mit einem halb bäurischen Anstrich, grau und verwittert, aber kräftig dem Verfall trotzend, dem schon manche stolze Burg zum Opfer gefallen war. Der aufsteigende Bergwald gab ihm einen äußerst malerischen Hintergrund und darüber hinaus ragte ein mächtiger Berggipfel mit nackten starren Felswänden und schneegekröntem Haupte einsam und stolz empor.

Das Innere des Hauses entsprach seinem Aeußeren. Durch einen gewölbten Flur mit Steinfliesen gelangte man in ein weites, niedriges Gemach, das fast die ganze Vorderseite des Gebäudes einnahm. Das altersbraune Wandgetäfel, der riesige Kachelofen, die hochlehnigen Stühle und der schwere geschnitzte Eichenschrank, das alles war derb, einfach und zeugte von langjährigem Gebrauche. Die Fenster standen weit offen und boten einen prachtvollen Ausblick auf das Gebirge, aber die beiden Herren, die am Tische saßen, achteten nicht auf die sich immer mehr entschleiernde Landschaft, sie befanden sich in lebhaftem Gespräche.

Der eine, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, war eine Hünengestalt, mit breiter Brust und kraftvollen Gliedern. Durch das volle Haar und den dichten blonden Bart zog sich noch kein einziger Silberfaden und das wettergebräunte Gesicht strotzte von Leben und Gesundheit, wie die ganze Erscheinung. Sein Gefährte mochte in dem gleichen Alter stehen, aber die schmächtige Gestalt mit den scharfen, klugen Zügen und das schon völlig ergraute Haar ließen ihn weit älter erscheinen. Das Antlitz und die hohe Stirn, in die sich manche tiefe Falte grub, sprachen von rastlosem Sorgen und Ringen, freilich auch von einer Energie, die diesem Ringen gewachsen war; aber es lag zugleich ein Zug von Hochmuth darin, der nichts weniger als angenehm berührte, und in Haltung und Sprache verrieth sich das Selbstbewußtsein eines Mannes, der gewohnt ist, seine Umgebung zu beherrschen.

„So nimm doch Vernunft an, Thurgau,“ sagte er in einem Tone, dem man die Ungeduld anhörte. „Dein Sträuben hilft Dir nichts, Du mußt unter allen Umständen Deine Besitzung abtreten.“

„Ich muß?“ rief Thurgau heftig. „Das wollen wir doch abwarten! So lange ich lebe, wird kein Stein angerührt auf dem Wolkensteiner Hofe.“

„Der Hof liegt uns aber direkt im Wege. Gerade hier soll die große Brücke ihren Ausgang nehmen und die Bahnlinie geht mitten durch Dein Eigenthum.“

„Dann ändert Eure verwünschte Bahnlinie! Führt sie, wohin Ihr wollt, meinetwegen über den Wolkenstein da oben, aber mein Haus laßt in Ruhe. Gieb Dir keine Mühe, Nordheim; ich bleibe bei meinem Nein.“

Nordheim lächelte, halb mitleidig, halb sarkastisch.

„Du scheinst es in Deiner Einsamkeit vollständig verlernt zu haben, mit der Welt und ihren Anforderungen zu rechnen. Bildest Du Dir denn wirklich ein, ein Unternehmen wie das unsrige würde Halt machen, weil es dem Freiherrn von Thurgau beliebt, uns einige Quadratruthen seines Bodens zu verweigern? Wenn Du dabei beharrst, dann bleibt uns nichts übrig, als von unserem Zwangsrechte Gebrauch zu machen. Du weißt ja, daß uns die Vollmacht dazu längst ertheilt worden ist.“

„Oho, mein Recht ist auch noch da!“ rief der Freiherr, indem er dröhnend mit der Faust auf den Tisch schlug. „Ich habe protestirt und werde protestiren bis zum letzten Athemzuge. Der Wolkensteiner Hof bleibt stehen und wenn die ganze Eisenbahngesellschaft, mit dem Herrn Präsidenten Nordheim an der Spitze, sich auf den Kopf stellt.“

„Aber wenn man Dir das Doppelte des Werthes bietet –“

„Meinetwegen das Zehnfache! Ich schachere nicht mit dem letzten Erbe meiner Väter. Der Wolkensteiner Hof bleibt stehen, Punktum!“

„Dein alter Starrsinn, der Dir schon so vieles im Leben verschüttet hat,“ sagte der Präsident gereizt. „Ich hätte es voraussehen können, aber angenehm ist es mir allerdings nicht, wenn mein eigener Schwager die Gesellschaft, an deren Spitze ich stehe, zu einem gewaltsamen Vorgehen zwingt.“

„Deshalb hast Du Dich auch höchstselbst heraufbemüht,“ spottete Thurgau, „zum ersten Male seit Jahren.“

„Ich wollte es noch einmal versuchen, Dir Vernunft zu predigen, da meine Briefe wirkungslos blieben. Uebrigens weißt Du ja, wie sehr ich mit meiner Zeit geizen muß.“

„Ja, das weiß der Himmel! Ich würde mich bedanken für die ruhelose Hetzjagd, die Du Leben nennst. Was hast Du denn eigentlich von Deinen Millionen und von Deinen unglaublichen Erfolgen? Bald bist Du hier, bald da, immer im Fluge, immer mit einer Last von Geschäften. Das geht vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und Nachts, wenn vernünftige Leute sich zu Bette legen, setzest Du Dich noch stundenlang an Deinen Schreibtisch. Daher stammen Deine grauen Haare und die Falten auf Deiner Stirn. Sieh mich an!“ Er richtete sich empor und reckte die mächtigen Glieder. „Ich bin ein volles Jahr älter als Du!“

Nordheim blickte auf seinen Schwager, dessen Stirn allerdings noch keine Falten zeigte, aber seine Lippen zuckten spöttisch dabei.

„Ganz recht, aber es ist nicht jedermanns Sache, hier oben bei den Murmelthieren zu leben und Gemsen zu schießen. Du hast ja schon vor zehn Jahren Deinen Abschied genommen, obgleich Dir Dein alter Name die Karrière überall verbürgte.“

„Weil ich nun einmal nicht für den Herrendienst tauge. Die Thurgaus haben alle nicht dafür getaugt – deshalb sind sie auch so heruntergekommen, meinst Du? Ich sehe das an Deinem Spottlächeln. Ja, viel ist freilich nicht übrig geblieben von der einstigen Herrlichkeit, aber ich habe doch wenigstens noch ein Dach über dem Kopfe, und der Grund und Boden, auf dem ich stehe, ist mein: da hat mir niemand zu befehlen und dreinzureden, am wenigsten Deine verwünschte Eisenbahn – Nun, nichts für ungut, Schwager, wir wollen uns nicht zanken über die Geschichte, und vorzuwerfen haben wir uns beide nichts, denn wenn ich starrsinnig bin, so bist Du ein Tyrann. Du regierst Deine hochlöbliche Gesellschaft ja, daß ihr Hören und Sehen vergeht, und wenn Dir einer widerspricht, wird er einfach gemaßregelt und hinausgeworfen.“

„Was weißt Du denn davon?“ fragte Nordheim, der bei den letzten Worten aufmerksam wurde. „Du kümmerst Dich ja nie um unsere Angelegenheiten.“

„Nein, aber ich sprach neulich ein paar von den Ingenieuren, die hier in der Nähe die Vermessungen vornehmen und natürlich keine Ahnung von unseren verwandtschaftlichen Beziehungen haben. Sie schimpften wie die Rohrsperlinge auf Dich und Deine Tyrannei und die Günstlingswirthschaft, die Du eingeführt hättest; es waren recht erbauliche Dinge, die ich da zu hören bekam.“

Der Präsident zuckte gleichgültig die Achseln.

„Vermuthlich die Ernennung des Oberingenieurs für diese Strecke, die den Herren nicht genehm ist. Sie drohten allerdings in eine förmliche Revolte auszubrechen; sie fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt, weil man ihnen einen jungen Mann von siebenundzwanzig Jahren zum Vorgesetzten giebt, der mehr in seinem Kopfe hat als sie alle zusammen.“

„Sie behaupten aber, er sei ein Streber, dem jedes Mittel recht sei, um emporzukommen,“ sagte Thurgau derb. „Und Du als Präsident des Verwaltungsrathes hättest Dich überhaupt nicht darum zu kümmern; der Chefingenieur hätte allein das Recht, seinen Stab zu ernennen.“

„Offiziell allerdings und es geschieht auch nicht oft, daß ich meinen Einfluß auf seinem Gebiete geltend mache; thue ich es aber einmal, so erwarte ich auch, daß meinen Wünschen Rechnung getragen wird. Genug, Elmhorst ist Oberingenieur und wird es bleiben. Wenn das den Herren nicht paßt, so mögen sie ihre Entlassung nehmen, ich kümmere mich sehr wenig um ihre Meinung.“

In den Worten lag das ganze hochmütige Selbstbewußtsein eines Mannes, der gewohnt ist, seinem Willen unbedingt und rücksichtslos Geltung zu verschaffen. Thurgau wollte antworten, aber in diesem Augenblick wurde die Thür geöffnet oder vielmehr aufgerissen. Es stürmte etwas herein, das mit nassen Kleidern und wehenden Locken an dem Präsidenten vorüberflog und sich ungestüm an den Hals des Freiherrn warf, dann folgte ein zweites, zottiges Etwas, ebenso naß, das gleichfalls auf den Herrn des Hauses zustürzte und mit lautem Freudengeheul an ihm emporsprang. Die unerwartete und lärmende Begrüßung glich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_390.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)