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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Die österreichisch-ungarische Armee.
Von Alphons Danzer. Mit Originalzeichnungen von W. Gause.

Deutschmeister.

„Der Krieg kann in zehn Tagen und in zehn Jahren ausbrechen.“ Dieser denkwürdige Ausspruch, welchen der deutsche Reichskanzler vor wenigen Monaten offen im Parlamente gethan, wird noch geraume Zeit am treffendsten die europäische Lage kennzeichnen. Die allgemeine politische Unsicherheit erklärt aber zur Genüge die unablässige Thätigkeit aller Staaten auf militärischem Gebiete. Die alte habsburgische Monarchie ist hierbei nicht nur ihrer empfindlichen Grenzgestaltung wegen zu fortgesetzten militärischen Anstrengungen genöthigt, sondern auch, weil bei dem „in zehn Tagen oder in zehn Jahren“ ausbrechenden Entscheidungskampfe um die Herrschaft auf der Balkanhalbinsel die europäische Großmachtstellung Oesterreich-Ungarns überhaupt zu verfechten sein wird. Das wissen die leitenden Persönlichkeiten in Wien und Budapest sehr gut und darum wenden sie eine unausgesetzte, planmäßige Sorgfalt der Wehrmacht zu. Infolge dessen hat letztere in organischer, intellektueller und technischer Beziehung eine Entwickelung gewonnen, die vielfach noch nicht entsprechend gewürdigt wurde. Es erklärt sich letzteres aus den Katastrophen, die in rascher Aufeinanderfolge zweimal – 1859 und 1866 – über die kaiserlich-königlichen Waffen hereingebrochen.

Daß 1859 am Tage der Niederlage von Solferino das am rechten Flügel bei San Martino kämpfende Korps die ganze sardinische Armee zurückdrängte; daß 1866 die Südarmee die weit überlegene italienische Armee bei Custozza in Trümmer schlug, so daß es dem Erzherzog Albrecht freistand, nach Mailand oder nach Florenz zu marschiren; daß Tegetthoffs Eskadre 1864 bei Helgoland einen beachtenswerten Erfolg und bei Lissa 1866 einen glänzenden Seesieg errungen: das sind Ereignisse, welche infolge der gleichzeitigen Niederlagen auf anderen Operationsräumen und Kriegsschauplätzen im großen Publikum keine oder doch nur ebenso geringe Würdigung gefunden haben, wie der Umstand, daß im Jahre 1878 ein Bruchtheil der österreichisch-ungarischen Armee während eines kaum sechs Wochen dauernden Feldzuges Bosnien und die Herzegowina eroberte, zwei Provinzen, fast zweimal so groß als Hannover, ohne Straßen, ohne Hilfsquellen für die operirenden Truppen, von hohen Gebirgen durchzogen, mit Urwäldern bedeckt und von einer unbotmäßigen, kriegerischen Bevölkerung (1¼ Millionen Seelen) bewohnt. Der Kampf gegen eine wilde, waffengeübte Bevölkerung, in einem Lande, wo der Guerillakrieg von Geschlecht zu Geschlecht als Tradition sich fortgeerbt hat; der Kampf in der Bocca di Cattaro und in der herzegowinischen Felsenwelt,

„– wo alles klirrt in blanker Rüstung,
Wo jede Wohnung eine Feste,
Wo jeder Steinblock eine Brüstung,
Wo sich’s in jedem Felsenneste
Von Waffen und von Kämpfern regt –
Wo selbst das Weib die Waffen trägt,
Wo jeder Knabe schon ein Krieger; –“

ein solcher Kampf, sagen wir, stellt ganz außerordentliche Anforderungen an das physische Leistungsvermögen wie an die Entschlossenheit der Truppen und an die Umsicht der Führer.

Gleichwohl gelangten diese im „kleinen Kriege“ bethätigten Leistungen nicht zu allgemeiner Würdigung, weil das Urtheil des großen Publikums noch im Banne der Ereignisse auf den böhmischen Schlachtfeldern von 1866 lag. So ist es zu erklären, daß auch in jüngster Zeit, als ein bewaffneter Zusammenstoß zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland in die Nähe gerückt schien und die allgemeine Aufmerksamkeit sich in höherem Grade der kaiserlich-königlichen Armee zuwandte, über diese skeptische Stimmen laut wurden und Glauben fanden. Wer jedoch die Armee Oesterreich-Ungarns genau kennt; wer da weiß, mit welchem Eifer und Verständniß allerorten seit zwanzig Jahren ununterbrochen gearbeitet wird; wer die praktischen Uebungen auf den Uebungsplätzen und Manövrirfeldern kritisch beobachtet und die Erscheinungen der österreichisch-ungarischen Fachliteratur aufmerksam verfolgt: der wird einräumen, daß diese Armee zu hohen Erwartungen berechtigt. Sie befindet sich in einer so vorzüglichen Verfassung, wie es seit den Tagen des Prinzen Eugen von Savoyen nicht der Fall gewesen.

Man mag die Armee der österreichisch-ungarischen Monarchie mit den Augen des Freundes oder des eventuellen Gegners betrachten: man wird sie unter allen Umständen als eines der am schwersten wiegenden Machtmittel der großen europäischen Politik zu betrachten haben. Wer dies nicht thut, wird in der Stunde der Entscheidung erfahren, daß er schlecht unterrichtet war und einen unrichtigen Faktor in seine Rechnung aufgenommen hatte. Die rasch auf einander folgenden Niederlagen von 1859 und 1866 haben wie ein furchtbares, aber reinigendes Gewitter gewirkt. Was an Ehrgeiz, Talent und Vaterlandsliebe in dieser Armee geborgen war, wurde aufgewühlt und aufgewirbelt zu reger Mitarbeit an dem umfassenden inneren und äußeren Reorganisationswerke. Nicht vergeblich wurde zwanzig Jahre durchdacht und systematisch gearbeitet. Der erste reformirende Kriegsminister, Feldzeugmeister Baron Kuhn (1868 bis 1874), heute Korpskommandant in Graz, war ein Kraftgenie; mit rücksichtsloser Hand zerbrach er die alten Formen, stieß aber beim Wiederaufbau seines Radikalismus und seines Ungestüms wegen auf so heftigen Widerstand in den Hofkreisen, daß er weichen mußte. Nach ihm kam ein indifferenter Verlegenheitsminister, der aber schon nach zwei Jahren von einem wirklichen, auf der Höhe seiner Aufgabe stehenden Minister, dem Feldzeugmeister Arthur Grafen Bylandt-Rheidt, abgelöst wurde. Bis in die jüngsten Wochen war Bylandt unermüdlich thätig, die militärischen Machtelemente der habsburger Monarchie zu sammeln und zu kräftigen. Er war nicht der Mann der Inspirationen und zündenden Ideen wie der geistsprühende Kuhn, sondern der zielbewußten, positiven Arbeit, welche alle Gewaltthätigkeiten und Sprünge vermeidet. Er verband die Vorzüge des denkenden, wissenschaftlich gebildeten Generals, Technikers und Militärschriftstellers mit der Klugheit des zwischen den Gegensätzen vermittelnden Staatsmannes, welcher jedoch ein fachliches Interesse niemals den Opportunitätsrücksichten opferte.

Seit Mitte März dieses Jahres verwaltet Feldzeugmeister Ferdinand Freiherr von Bauer, bis dahin Kommandant des 2. Korps in Wien, das Kriegsportefeuille, welches Graf Bylandt-Rheidt nach fast zwölfjähriger Amtstätigkeit seiner tief erschütterten Gesundheit wegen niedergelegt hat.

Wie in der Gliederung, Verwaltung und Ausbildung, so hat die österreichisch-ungarischen Armee auch in ihrer äußeren Gestalt seit zwanzig Jahren eine durchgreifende Aenderung erfahren. Wie unsere Bilder, in welchen man die kaiserlichen Truppen von ehedem kaum wiedererkennen dürfte, zeigen, gab hierbei das Streben nach Vereinfachung, nach dem praktischen Bedürfnisse des Feldlebens und nach Beseitigung alles Parademäßigen den Ausschlag.

Der historische und elegante, aber für den Dienst im Felde aus mehrfachen Ursachen bedenkliche weiße Waffenrock ist längst verschwunden. Ja ins Feld nimmt die Truppe überhaupt gar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_386.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)