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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Der Wind führte die seltsamsten Reigentänze auf; bald blies er aus Nord, dann aus Süd; nun gar verhielt er sich gänzlich still, dann aus irgend einer Ecke unvermuthet hervorzubrechen. Dadurch ward die Schiffsmannschaft fortwährend in Athem gehalten; hier mußte ein Segel fortgenommen, dort ein anderes gesetzt werden. Gegen Abend hin, unter einem jähen Windstoß, dem ebenso jähe Stille folgte, flatterte der Dunst wie eine ungeheure Schar großer Raubvögel aus einander; im Westen, wo die niedergehende Sonne sich befinden sollte, hing eine Masse grell roth und grün gefärbten Gewölks. Das alles bedeutete den Passagieren des „Wotan“ nichts Merkwürdiges; aber die Mannschaft zeigte sich unruhig und Kapitän und Steuerleute machten eigentümlich ernste Gesichter und wichen nur von ihrem Posten, um Beobachtungen an den Instrumenten vorzunehmen. Durch den innigen Umgang mit der Natur sind die Sinne der Seefahrer derartig geschärft, daß sie nahende Veränderungen in der Naturphysiognomie schon ahnen, ehe bestimmte Vorboten erscheinen. Hier aber häuften sich bereits drohende Anzeichen, und so war es selbstverständlich, daß der Führer des „Wotan“ keine Zeit an Kavaliersdienste verschwendete, sondern kurz und bündig von Frau Howard forderte: „Madam, benützen Sie gefälligst die Bank mittschiffs. Ihr Bambusstuhl muß unter Deck, daß die Brassen am Steuerbord frei werden.“

Dies hatte Walter Iversen vernommen, er trat jetzt zu dem Kapitän, der mit seinen scharfen Augen das krause Meer, den drohenden Horizont musterte.

„Sie fürchten, Kapitän?“

„Fürchten? Da kommen Sie schlecht an, Herr, aber –“ was die beiden Männer jetzt halblaut redeten, drang nicht zum Ohr der Dame. Nina und ihre Gefährtin waren beordert, die beängstigende Schwüle der Luft für die Herrin erträglich zu machen mit duftenden Wassern und Fächerschlagen.

Die Nacht brach an. Um acht Uhr war alles zur Ruhe gepfiffen; jedermann hatte dem Befehle gehorcht und sich zur Koje begeben. Doch kein einziger Mensch am Bord fand Schlaf. Nach mehrstündiger vergeblicher Mühe, die Spannung der Atmosphäre und der Nerven durch festen Willen zu überwinden, erhob sich Walter Iversen und ging an Deck. Beim Passiren der Kajüte sah er Licht durch das Schlüsselloch der Kabine Nummer Zwei dringen. „Haha, sie kann auch nicht schlafen!“

Oben bot sich ein wunderbares Bild tropischer Seelandschaft. Fast ganz schwieg der Wind, aber das Meer bewegte sich in vibrirender Erregung und versetzte dadurch das Schiff in ungleiche hilflose Aufregung. Dabei schimmerte die See in stumpfem Weiß, ähnlich einer Schneelandschaft, doch ohne deren Leuchten. Die Himmelskuppel aber lag schwer, niedrig über der Erde; die Entfernung zwischen dem Wasserspiegel und den regellos herabhängenden Wolkenballen schien nach wenigen Metern zu bemessen. Dabei war das gleichmäßige elektrische Leuchten der Tropennächte einem grellen Lichtflimmer gewichen, der den engen Raum zwischen Wasser und dumpfer Wolkendecke unaufhörlich durchzuckte. An mehreren Stellen zeigte sich die Wolkendecke zerrissen und durch den Spalt sah man in die unergründliche Himmelswölbung, von wo die Sterne in grünem Lichte schimmerten. Kaum gestattete die elektrische Spannung einen vollen Atemzug; kalte Schweißtropfen standen auf jeder Stirn; mühselig rang jede Lunge nach Luft.

Iversen wagte nicht, die drei Männer, den Kapitän und die beiden Steuerleute, welche auf dem Hinterdeck stumm und reglos der Entwickelung eines grausigen Schauspiels entgegenharrten, durch Fragen zu belästigen. Er suchte die Region „vor dem Mast“, und er fand hier die aus zwanzig Köpfen bestehende Mannschaft schlaff auf den Planken ausgestreckt, theils in finsteres Brüten versunken. Er wankte zurück und wollte auf der Bank am Großmast seinen matten Gliedern Halt gönnen. Die Bank war inzwischen von Frau Howard eingenommen worden, zu deren Füßen je ein dunkles Mädchen in dürftigster Nachtkleidung kauerte, die Gesichter angstvoll in die Falten des weißen Kleides ihrer Gebieterin gedrückt.

„Auch Sie, Frau Konsul?“

„Drunten ist’s unerträglich warm.“

„Gestatten Sie mir, neben Ihnen Platz zu nehmen?“

Sie antwortete nicht, machte aber Anstrengungen, sich zu erheben, um dem Feind das Feld zu überlassen. Es gelang nicht; eine zitternde Schwäche in den Gliedern nöthigte sie auf den Sitz zurück. Er dagegen blieb stehen und mit prüfendem Auge verfolgte er die Vorgänge in Luft und Wasser.

„Was hat das seltsame Gebahren der Mannschaft zu bedeuten? Erst unvernünftiges Arbeiten an Schiff und Takelage und nun liegen sie wie die Fliegen?“ fragte die Engländerin, da der Deutsche beharrlich schwieg.

„Empfinden Sie nicht, daß etwas Außerordentliches in der Natur sich vorbereitet oder herannaht?“

„Bah, ein wenig Wind wird kommen, ich kenne das aus meinem indischen Leben.“

„Ein wenig Wind? Es dürfte leicht genug sein, um den ‚Wotan‘ mit allem drauf und dran spurlos zu verwischen,“ erwiderte Walter mit scharfer Bitterkeit.

„Furcht?“ spöttelte Frau Ellen, indeß grelle Blitze lautlos über ihr zuckten. In diesem Moment erschien ihm die schöne Frau wie ein Zerrbild. Er ging zu dem Kapitän, der im Heck mit seinen Steuerleuten lehnte und Vermuthungen aussprach über die Gegend, aus welcher das Wetter zu erwarten stehe.

Zwischen fünf und sechs Uhr Morgens hörten die grellen Lichterscheinungen auf, undurchdringliche Finsterniß hüllte das Schiff ein. Doch nicht lange. Mit zischendem Pfeifen raste her Wind heran und alsbald begannen die Taue zu schlagen, die Rundhölzer zu dröhnen, die See zu brüllen. Sechs Uhr. Das Dunkel lichtete sich zu aschfarbener Dämmerung. Die Morgenröthe hing oben im Zenit, wo aus grünschwarzen Wolken (der seemännische Ausdruck sagt: schmierige Luft), die wild durch einander gepeitscht wurden, röthlich angestrahlte Flecken und Fetzen umherjagten, aber vergebens suchte man im Osten die Sonne. In dem aufgeregten Meere arbeitete das Schiff unter Aechzen und Stöhnen.

Ein furchtbarer Sonnenaufgang.

„Madam, Sie werden sich nach unten verfügen müssen“ rief der Kapitän Ellen Howard zu, die nun doch mit fliegendem Athem und starren Augen in das wilde Schreckniß blickte und nicht mehr im Stande war, für die schwankenden Füße einen sicheren Halt zu gewinnen. Aber der Deutsche beobachtete sie und daher kam es gepreßt aus ihrem Munde. „Ich fürchte mich nicht, ich bleibe.“

Sie werden nach unten gehen, nötigenfalls mit Gewalt,“ schrie der Seemann noch einmal durch den zunehmenden Tumult in Luft und Wasser. Da sprang Walter Iversen hinzu, faßte energisch zu und geleitete Ellen und ihre Dienerinnen die krachende Treppe hinab. Es war das erste Mal, daß er die schöne Frau berührte, sein Arm lag fest um ihren Körper, er trug sie fast. Ellen athmete schwer.

„Und Sie?“ fragte sie nun in offenbarer Angst, als er mit einer stummen Verbeugung die Kajüte wieder verlassen wollte.

„Mein Platz ist bei der Arbeit, bei den Männern in Gefahr“. Er ließ sie wirklich allein mit den beiden Mädchen, die sie ja „nicht zu den Menschen rechnete“.

Immer mehr schwoll das Getöse an und dazwischen tönte die Stimme des Kapitäns, der durch ein Sprachrohr seine Befehle gab. Mit übermenschlicher Kraft arbeiteten die Schiffsleute an den letzten Sicherheitsvorkehrungen: Stengen und Raaen doppelt zu stützen, die Segel, bis auf ein winziges Sturmsegel, welches dem gemarterten Schiffe Halt geben soll, fest einzubinden, die Boote, Fässer, alles was in Klampen und Schrauben ruht, mit starken Tauen an seinem Platz zu befestigen.

„Kapitän, ich stelle mich zu Ihrer Verfügung,“ hatte der Deutsche gerufen.

„Gut! Gut! Der Mann am Steuer muß festgebunden werden, daß er nicht fortgespült werden kann, besorgen Sie das.“

Und Walter Iversen arbeitete wie ein gemeiner Matrose.

Noch konnten die festen, seegewohnten Männer sich aufrecht halten, wenn sie einen festen Stützpunkt hatten.

„Das ist –?“ fragte Iversen.

„Ein Taifun“ antwortete der Kapitän, seinen Mund dicht an Iversens Ohr legend und an der Reeling sich haltend; das Gesicht voll dem Sturm zugekehrt, deutete der Seemann seitwärts über seine rechte Schulter: „Dort liegt das Centrum.“ In der angedeuteten Richtung lagerte tief auf dem Horizont eine blauschwarze Wolkenbank, mit schwefelfarbigen Streifen durchsetzt. Die Bank lagerte unbeweglich; alles andere Gewölk jagte aber in wilder Hast über die brüllenden Wogen dahin. Frühzeitig hatte der Kapitän das Schiff an den Wind legen lassen, die einzige Lage, in welcher ein Schiff den Taifun bestenfalls überstehen kann. Nun lag es in einer Stellung von 40 Grad schräg im Wasser – die Köpfe der hohl und wirr durch einander laufenden Wellen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_382.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)