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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ueberlegen faßte er den kühnen Entschluß, einzelne seiner Gedichte der Grazer „Tagespost“ einzusenden. Der Redakteur, Dr. Svoboda, brachte auch wirklich einzelnes zum Abdruck und verlangte die Zusendung der übrigen Dichtungen. Das aber war eine schwierige Sache. Wo das Porto für diesen Berg von Schriften auftreiben, wenn schon der einzelne Brief fünf Kreuzer kostete? Glücklicherweise hatte just sein Firmpathe in Graz ein Geschäft. Der nahm die Dichtungen in einem großen Tragkorbe mit, indem er meinte, wenn der Peter den ganzen Kram im Kopfe hätte tragen können, werd’ er ihn doch leicht auf dem Buckel tragen. „Und jeder, dem heute meine Schriften zur Last werden,“ sagt Rosegger mit liebenswürdiger Bescheidenheit, „möge Geduld haben und bedenken, wie oft damals der Firmpathe unterwegs nach Graz hat rasten müssen.“

Dr. Svoboda fand Wohlgefallen an den Dichtungen dieses urkräftigen Talentes und veröffentlichte in der „Tagespost“ einen warm geschriebenen Aufsatz, der das Interesse für den steirischen Naturdichter erweckte und ihm zahlreiche Freunde erwarb.

Es war gerade zur Weihnachtszeit, als dies sich ereignete. Rosegger kam zu seinen Eltern nach Alpel, um dort die Feiertage zu verbringen. Die Mutter trat in die Stube und sagte: „Du Bub’, weißt es schon? – Auf der Post in Krieglach sollen allerhand Briefe und Sachen für Dich da sein. Und in der Zeitung sollst auch stehen. In Krieglach thäten die Leut’ seit etlichen Tagen nichts reden als von Dir.“

Sofort ging der Peter nach Krieglach, wartete dort bis zum frühen Morgen, bis der Postschalter geöffnet wurde, und verlangte dann seine „Briefe und Sachen“. Da erhielt er die „Tagespost“ mit seinen Gedichten und dem Aufsatze Svobodas, erhielt Glückwünsche, Bücher und Geldspenden von unbekannten Gönnern, und überdies noch das Anerbieten eines Buchhändlers in Laibach, den jungen Dichter unentgeltlich aufzunehmen.

Rosegger konnte das über ihn hereinströmende Glück kaum erfassen. Im Jubelrausche eilte er nach Hause und las den Seinen alles vor, doch sie verstanden noch weniger davon als er selbst. Die Mutter aber sagte: „Du Bub, gieb Acht, daß sie Dich nicht zum Narren machen.“

Noch standen ihm schwere Stunden des Abschieds bevor beim Meister und bei den Eltern. Dann aber flog er jauchzend hinaus in die Welt, voll von kühnen Hoffnungen und glühender Sehnsucht.

Doch der Bücherstaub in Laibach konnte dem Knaben das geträumte Glück nicht bieten. Er trug still die Schmerzen bitterer Enttäuschung, weinte des Nachts heiße Thränen und litt tiefstes Heimweh.

Eines Tages ermannte er sich; er dankte seinem Wohlthäter, schnürte das Bündel und trat die Reise an nach seiner Waldheimath. – In Graz aber hielten ihn seine Freunde zurück. Er fand Aufnahme in einer Schule; durch weitere Veröffentlichung einzelner Gedichte wurde das Interesse des Publikums für ihn wach gehalten. Und der stetige Verkehr mit seinem ersten Kritiker, Dr. Svoboda, regte ihn zu immer neuem Schaffen an, obgleich ihm dessen hoher, ästhetischer Standpunkt lange Zeit unverständlich blieb. Als er eines Tages sagte, Rosegger müsse ein in ganz Deutschland gelesener Schriftsteller werden, lachte ihm dieser dreist ins Gesicht, so wenig glaubte er – selbst damals noch – an seine eigene Kraft.

Er hatte die Schule kaum hinter sich, als sein erstes Büchlein erschien: eine Sammlung von Dialektgedichten unter dem Titel „Cither und Hackbrett“. Der Verleger hatte die Bedingung gestellt, daß Robert Hamerling ein Vorwort zu dem Buche schreibe, und Hamerling hat diese Bedingung redlich erfüllt. Es entwickelte sich ein herzliches Verhältnis zwischen den beiden Dichtern, das auf Rosegger einen starken und wohltätigen Einfluß übte.

„Cither und Hackbrett“ fand beim Publikum Beifall, und Rosegger, der eben im Begriffe stand, eine Stelle zu suchen, bekannte sich nun als zünftigen Schriftsteller. Er zog in seine Waldheimath zurück und schrieb ein neues Werk in steirischer Mundart „Tannenharz und Fichtennadeln“, und zudem noch „Sittenbilder aus dem steirischen Oberland“. Im Winter lebte er in Graz, hörte Vorlesungen an der Universität und suchte seine Kenntnisse auf jede Weise zu ergänzen. Später bereiste er ganz Oesterreich, Deutschland, die Schweiz und Italien, wodurch seine Weltanschauung geklärt, sein Gesichtskreis erweitert wurde.

Roseggers materielle Existenz als Schriftsteller hat der verstorbene Buchhändler Heckenast in Budapest begründet, in dessen Verlage vierzehn Bände seiner Werke und sechs Jahrgänge eines von ihm redigirten Volkskalenders „Das neue Jahr“ erschienen sind. Später gründete unser Dichter in Graz die Monatsschrift „Heimgarten“, welche die Tendenz erfüllt, den Sinn für Häuslichkeit, die Liebe zur Natur, das Interesse an dem Ursprünglichen und Volksthümlichen zu wecken und zu verbreiten. Hier veröffentlichte er eine unendlich große Zahl von Novellen, Erzählungen, ernsten wie heiteren Bildern aus dem Bauernleben und selbständigen Aufsätzen. In den zweiundzwanzig Bänden „Ausgewählte Schriften“, die kürzlich bei A. Hartleben in Wien, Pest und Leipzig erschienen sind, hat Rosegger so ziemlich das Beste, was er bis jetzt geschrieben, zusammengestellt.

Am meisten kennzeichnend für die dichterische und menschliche Eigenart Roseggers sind die Erzählungen aus der Waldheimath. Er schildert die Verhältnisse, die dort bestanden, mit liebevoller Sorgfalt und bringt dieselben mit den zufälligen Ereignissen, die in sein Leben hineinspielten, in sinnige Beziehung.

Rosegger versteht die seltene Kunst, seine eigene Person zum Mittelpunkt der Erzählung zu machen, ohne sie in den Vordergrund zu drängen. Das Böse, das man ihm zugefügt, die Unbill, die er erlitten, hat er vergessen oder doch zu vergessen gesucht. Dem Guten aber, das er empfangen, dem Schönen, das er durchlebt, ist seine Erinnerung treu geblieben. Und so ist es ein lieber, freundlicher Eindruck, den man beim Lesen dieser Erzählungen empfängt. Wahrhaft rührend wirkt die tiefe Verehrung für seine Mutter und die bittere Reue über jede Kränkung, welche er der nun Verstorbenen einstmals zugefügt. „Daß die Kinder nur immer so ins Weite und ins Fremde streben,“ ruft er aus, „nach Liebe hungern und nach Liebe haschen, die sie doch so rein und reich und unendlich nimmer finden, als daheim an der ewigen Liebe Quell – am Mutterherzen!“

Mit wohltuender Ehrlichkeit erzählt er auch die dummen Streiche seiner Knabenzeit und verschweigt sogar das nicht, was er selbst heute als schlecht und unrecht bezeichnen muß. So enthüllt er sich dem Leser ganz und gar und zeigt seine Seele in „ihrer schönen Nacktheit“, wenngleich er selbst einmal in scheinbarem Widerspruch hiermit geschrieben hat. „Das Gute und Beste will ich schon sagen, aber das Allerbeste, das ist ganz mein eigen, das gebe ich nicht aus, es sei denn, daß hier und da zwischen den Zeilen etwelches davon zerstreut werde, wie bisweilen Körner zwischen den Furchen liegen, die dann von den leckern Vögeln aufgepickt werden mögen.“

Wenn wir bei Rosegger etwas bedauern, so ist es, daß er sich noch nicht ernsthaft als Dramatiker versucht hat. Gar häufig kam uns beim Lesen seiner Dichtungen der Gedanke. „Welch prächtiger Stoff für ein Volksschauspiel!“ – So erzählt er einmal in einem Beitrag zur Charakteristik der Aelpler vom Arsenikessen. „In vielen Alpengegenden nehmen die Leute Arsenik zuerst in geringen, dann in größeren Dosen zu sich und schwören darauf, daß es stark und munter mache, das jugendliche Aussehen und den Glanz des Auges erhalte. Wer einmal begonnen hat, Arsenik zu essen, der darf, heißt es, nicht mehr aufhören; denn sobald die einmal daran gewöhnte Natur des Mittels entbehren muß, hebt sie an zu welken, und es ist keine Rettung. So soll es vorkommen,“ fügt Rosegger diesen trockenen Thatsachen bei, „daß eifersüchtige Dirnen ihren Liebsten täglich Arsenik beizubringen wissen. Manche ist der That fähig, ohne daß der Geliebte es merkt. Bleibt der Bursche bei ihr, so kommt das Gift ihm und ihr zu statten; verläßt er sie aber und hält es mit einer Andern, dann entbehrt er eben des Elixirs, welkt hin und stirbt.“ Ist das nicht der Vorwurf für eine Bauerntragödie? Dieses dämonische Weib, das die Rache vorbereitet, noch ehe es beleidigt wurde, wäre eines Anzengruberschen Schauspiels würdig. Rosegger hat noch gar manche Typen geschildert (den „Elendstifter“, den „Langen Toni“), die sich für die Bühne verwerthen ließen. An seinen ersten dramatischen Versuch, eine einaktige Skizze in steirischer Mundart, knüpft sich freilich eine trübe Erinnerung: Josefine Gallmeyer nahm mit der Vorlesung derselben auf ewig von uns Abschied.

Beim Worte „Vorlesung“ fällt mir Roseggers eigenes Recitationstalent ein, das hier nicht übergangen werden soll. Er bekundet als Vorleser nicht nur bedeutende Begabung, sondern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_366.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)