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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

eigener Grube schürfte, wurde Lohnarbeiter. Im vorigen Jahrhundert vollzog sich eine weitere Konzentrirung; eine Anzahl kleinerer Gewerkschaften verschmolz sich zu einer einzigen großen Gewerkschaft unter dem Namen „Vereinigt Feld im Zwitterstock“. Diese Gewerkschaft besteht noch heute, obwohl sie schwere Zelten gesehen hat. Im vorigen Jahrzehnt war sie gezwungen, den Centner Zinn 17 Mark 50 Pfennig niedriger zu verkaufen, als er bei Wochenlöhnen von 5 bis 6 Mark zu erzeugen kostete; freilich wurde dabei der Reservefonds von 150 000 Mark bis auf 50 000 Mark aufgezehrt.

Besuchen wir den Zinnbergmann an seiner Arbeitsstätte.

Wenn die Sterne dem Morgen entgegenflimmern und langsam verblassen, verläßt er die schlafenden Seinen und pilgert oft stundenweit gen Altenberg, das Grubenlicht vor der Brust und Lebenssorgen darinnen.

Neben dem Huthaus steht das Bethaus. Der Obersteiger spricht ein kurzes Gebet zu dem großen überirdischen Bergherrn und dann geht’s hinab in die Tiefe. Vielleicht vergoldet gerade die Morgensonne die Fenster des Treibehauses, wenn sich vor dem Bergmann der schwarze Schlund aufthut, dessen Mündung kaum so groß ist wie eine Grabesöffnung.

Die Fahrten (starke Leitern) stehen fast senkrecht auf kleinen Bühnen, und nun denke man sich an diesen Gerüsten Hunderte von Menschen klammern, die in einem ganz bestimmten Tempo „einfahren“. Daneben, hinter einem Bretterverschlag von mehreren hundert Metern Höhe, werden die „Hunte“ mit den Erzmassen emporgetrieben, und auf der andern Seite des engen Schachtes ist die Wassersäulenmaschine eingebaut.

Tiefer und tiefer steigen wir hinab. Ein Blick nach oben zeigt uns das Mundloch des Schachtes wie einen blassen Nebelfleck am tintenschwarzen Nachthimmel. Nach unten blicken wir lieber nicht: die kleinen Lichtel da unten in dem grauenhaften Abgrund möchten uns unsicher machen. Endlich vermeldet der uns begleitende „Steiger“ „erste Gezeugstrecke“, die sogenannte „Kugelstollnsohle“, das ist, weniger bergmännisch ausgedrückt, das oberste Geschoß des Bergwerks. Ein dunkler, einsamer Felsengang nimmt uns auf und dieser führt zu einem ganzen Labyrinth solcher Felsengänge – alle einsam, öde, das Schweigen der Ewigkeit herrscht in ihnen – es sind verlassene Baue, schon vor Jahrhunderten verlassen.

Links und rechts von den Gängen liegen oft ungeheure Höhlen, die ihrer Größe nach mit Kirchengewölben wetteifern. Das sind alte Brennörter, wo man in früheren Jahrhunderten das Erz durch Ausbrennen gewann. Man sprengte zunächst kleine Höhlen in den Zinnzwitter und setzte diese mit dürrem Holz aus. Die Feuersgluth machte das Gestein der Decke mürbe, es brach in Massen herein. Aus den Trümmern wurde ein neuer Feuerherd ausgerichtet, bis abermals die Decke zusammenbrach, und so fort. Erst wenn man ungeheure Vorräthe von Schuttmassen angesammelt, dachte man ans Fördern derselben, und dadurch waren Hohlräume entstanden von ungeheurer Größe. In einem solchen könnte das Straßburger Münster aufrecht stehen, berichtet die Chronik. Aber der Berg rächte sich für solche Wühlerei in seinen Eingeweiden.

Schon 1545 fand ein großer Tagebruch statt, durch welchen 10 Bergzechen verschüttet wurden; 1578 folgten zwei andere Zechen nach; der größte Bergbruch aber vollzog sich am 24. Januar 1620. Es war eine stürmische Winternacht, erzählt der Chronist; der Schnee lag in Massen auf dem rauhen Gebirg, ruhig arbeitete der Bergmann in der Tiefe. Plötzlich, als eben die Glocke vier Uhr schlug, erfolgte ein Krachen, als wenn das jüngste Gericht anbrechen sollte, der Berg mit vier Göpeln und einem Dutzend Zechenhäusern ging in den Abgrund. Der in einem Augenblick entstandene Schlund hatte 304 Lachter im Umfang und war 30 Lachter tief (etwa 700 und 70 Meter). Glücklicherweise war ein Treibeschacht unbeschädigt geblieben und – welch ein Wunder! – man konnte Hunderte von Bergleuten bis auf vier Mann unversehrt herausfördern. Drei von den Verschütteten fand man nach drei Tagen auch noch lebend auf in einem Hohlraum inmitten des zerdrückten Gebirgs; nur der Vierte ward nie wieder gesehen.

Wir fahren noch zwei Gezeugstrecken tiefer und kommen endlich „vor Ort“, das heißt an die eigentlichen Abbauörter. Hier erhält das ganze Bergwerk ein anderes Gesicht. Wir stehen nicht mehr im festen Gestein, sondern befinden uns inmitten eines mehrere hundert Meter hohen Trümmerhaufens, wie man das schiebende Gebirg recht wohl nennen kann. Der Berg ist zermürbt und darum sind alle Gänge mit starken Hölzern ausgezimmert.

Aber wie sehen diese Zimmerungen aus?! Ganze Reihen von Stämmen sind zersplittert und zerborsten wie Streichhölzchen von dem furchtbaren Druck der Gebirgsmassen. Dem Laien ist es unbegreiflich, daß nicht täglich Unglücksfälle vorkommen; aber glücklicherweise ist der Druck des Gebirgs ein sehr gleichmäßiger, langsam wirkender, sodaß das kundige Auge des Bergmanns rechtzeitig an den Bewegungen erkennen kann, ob Gefahr an den Mann geht. Dieser Umstand macht es erklärlich, daß in den letzten 30 Jahren nur zwei größere Unglücksfälle vorgekommen sind.

Gerade diese beständig drohenden Gewalten sind gleichzeitig die besten Freunde des Bergmanns; sie erhalten ihn konkurrenzfähig, ja, das Bergwerk zu Altenberg würde wahrscheinlich längst zum Erliegen gekommen sein, wenn es nicht im „schiebenden Gebirg“ läge. Der natürliche Druck arbeitet dem Bergmann in die Hände und ermöglicht die Anlage von sogenannten „Schubörtern“. Jahrelang schieben sich an einem solchen Ort die Erzmassen ganz von selbst herein, der Bergmann braucht nur abzufahren.

Die „Bruchörter“ liegen im festeren Gestein; hier muß das Pulver die Hauptarbeit übernehmen; doch sind diese nicht beliebt, weil der Abbau nicht lohnt; sie müssen dennoch betrieben werden, am neue abbauwürdige Strecken aufzuschließen.

Böse Wetter, „Schwaden“, kennt glücklicherweise der Altenberger Zinnbergbau nicht. Es herrscht ein so frischer Wetterzug in dem tollen Durcheinander von Gängen, daß man einzelne mit Thüren versehen muß, um die Leute vor Erkältungen zu schützen. Die Zinnbergleute sind denn auch im ganzen gesünder als die Kohlen- und Silberbergleute, unter denen man weniger silberbehaarte Gestalten findet, als zu Altenberg.

Das Ausfahren auf den „Fahrten“ ist abermals ein mühselig Stück Arbeit, von dem nur ein Thürmer eine blasse Ahnung haben kann. Und doch wird es so gern gethan nach einer sieben- bis vierzehnstündigen Schicht. Die Freude der Erlösung und Auferstehung, wenn die letzte Sprosse erklommen und das goldene Licht des Tages noch über die Welt dahinfluthet, kennt der Bergmann allein.

Das Ausscheiden des Zinnes geschieht durch einen endlosen Schwemm- und Waschprozeß der zu Sand zerstoßenen Erzmassen. Siebzehn Pochwerke mit 1272 Pochstempeln, sowie 15 Wäschen mit 80 Stoß-, Schüttel- und Glauchherden sind thätig. Ihre Spuren sind noch viele Meilen von Altenberg sichtbar; sie färben die Müglitz und selbst noch die Elbe auf eine weite Strecke hin roth wie Zinnzwitter. Zuletzt erscheint das Zinnerz als ein grauer, unansehnlicher Sand, der sich erst im Schmelzofen zu dem weichen, geschmeidigen Metall veredelt. Man gießt es in Blöcke und in Stangen, und in dieser Form wandert es von Altenberg vorwiegend nach Wien, wo sich ein bedeutender Zinnbedarf für den Orient erhalten hat. Dort wird es in Zinnsalze zum Rothfärben aufgelöst.

Möchte es auch wieder Eingang in die deutsche Familie finden und wieder in seiner Ehrlichkeit und Gemüthlichkeit ein Schmuck des gutbürgerlichen Haushaltes werden, gegenüber manchen äußerlich schillernden, aber wenig haltbaren und gehaltvollen Erzeugnissen des modernen Kunstgewerbes.

Th. Gampe.




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Alle Rechte vorbehalten.
Der Student von Salamanca.
Novelle von Rosenthal-Bonin.
(Schluß.)

Inesilla verging vor Schreck und Angst; sie machte sich alle möglichen furchtbaren Vorstellungen; sie sah Untreue, Nebenbuhlerinnen, Dolch und Revolver in den Händen von beleidigten Rivalen; denn sie fürchtete, ihr Verhältniß sei trotz aller Vorsicht bekannt geworden – da erfuhr sie, daß Pablo Verros krank, sehr krank sei und von einem bösen Fieber ergriffen im Universitätsspital liege.

Dorthin konnte sie unmöglich gehen, selbst als seine Verlobte nicht; sie mußte sich also in Geduld fassen und allen Kummer und alle Angst, alle Sorge allein für sich hinunterwürgen und froh sein, daß es ihr gelang, mittels kluger Vertheilung von Cigarros durch Lazarethdiener hier und da zu erfahren, wie es ihrem Freunde ging.

Die Krankheit dauerte wochenlang; dann kamen bessere Nachrichten und eines Tages hieß es, Señor Pablo würde am nächsten Sonntag, zwar sehr schwach, aber doch geheilt entlassen werden.

Dieser Sonntag war ein Festtag für Salamanca – die Studentenschaft hatte nämlich ankündigen lassen, daß sie ein Mandolinen- und Gesangskonzert Nachmittags zwei Uhr vor dem Café de Madrid auf der Plaza Mayor geben werde.

Solch ein Konzert war etwas Seltenes, ebenso amüsant wie schön, kostete nichts und ganz Salamanca hatte sich demnach am Konzertort eingefunden.

Man saß auf Strohstühlen an kleinen Tischen, zu zwei bis drei Personen an einem, vor dem Café auf der Straße, und die Tische reichten bis über den halben Marktplatz. Dort vorn hatte die konzertirende Studentenschaft Platz genommen, in ihren saubersten schwarzen Talaren und schwarzen Baretten (eigentlich sind es kahnförmige Hüte, die breit getragen werden). Alles befand sich in bester Stimmung, und man wartete, Kaffee, Chokolade und Limonade schlürfend, der schönen Dinge, die da kommen sollten.

Auch Inesilla saß mit ihrem Vater ziemlich weit vorn an einem Tischchen, unruhigen Herzens erwägend, ob der heute entlassene Pablo auch hier zugegen sein würde. Wohl nicht als Mitwirkender, denn dazu würde er zu schwach sein, doch als Zuhörer und Zuschauer, wie viele andere seiner Kameraden, und in dieser halben Erwartung hatte sie einen dritten Stuhl an den Tisch gezogen, den sie vorläufig mit ihrem Fächer belegte. Das Konzert nahm seinen Anfang.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_351.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)