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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ein Spiel, die Beschwerden des Lagerlebens ein Zeitvertreib“. In seiner Abwesenheit ist sie es, die den ersten Kanonenschuß auf die feindliche Flotte feuert, sie wird die Vorsehung der Verwundeten; sie ermuthigt die Wankenden, hält die Fliehenden auf, thut unter den feindlichen Feuerschlünden Adjutantendienste oder stellt sich selbst mit ihrem Karabiner in die Reihe der Kämpfer. Sie irrt durch das Schlachtfeld, um die Leiche ihres Geliebten zu suchen, dessen Tod ihr fälschlich gemeldet wird; aus der Gefangenschaft entkommt sie zu Pferd und durchschwimmt, an die Mähne ihres Thieres geklammert, geschwollene Ströme. In einer Hütte bringt sie ihren Erstgeborenen, den kleinen Menotti, zur Welt, auf dessen Stirn eine Narbe an ihren schweren Sturz vom Pferde erinnert. Doch während der Vater fort ist, um die nöthigsten Bedürfnisse zu beschaffen, bricht eine Abtheilung feindlicher Infanterie unter dem schrecklichen Moringua in ihren Zufluchtsort ein und metzelt alles vor sich nieder. Anita gelingt es zu entfliehen; ihren zwölf Tage alten Säugling vor sich auf dem Sattel, flüchtet sie mit Garibaldis Matrosen bei stürmendem Ungewitter in den Wald. Ein anderes Mal irrt sie mit seinen zersprengten Scharen in endloser Wildniß, ohne Nahrung, bei immer strömendem Regen auf steilen Felsensteigen, zwischen wilden Volksstämmen durch, über reißende Bergströme, wo der Vater den drei Monate alten Menotti in einem um den Nacken geschlungenen Sacktuch trägt, um ihn durch den Athem warm zu halten. In immer gleicher Begeisterung theilt sie sein immer wechselndes Glück, das ihn noch zum Viehhändler, zum Makler, zum Privatlehrer der Mathematik und dann wieder zum Begründer und Kommandanten der ruhmreichen italienischen Legion in Amerika macht – und sie ist es, die in Garibaldis Seele die unausrottbare Ueberzeugung pflanzt, daß das Weib von höherer Natur sei als der Mann, also auch kühner, ritterlicher; nur die knechtische Erziehung, zu der es verdammt sei, mache die Beispiele davon seltener.

Doch das ungetrübte Liebesglück der armen Anita hat nun am längsten gedauert; ihr droht eine furchtbare Rivalin, von der der leiseste Wink genügt, ihr den Helden aus den Armen seines Glückes zu reißen: diese Rivalin heißt Italien. Denn „der Italiener ergötzt sich nicht am blauen Himmel des Auslandes, an den Reizen einer fremden Schönen; er verpflanzt sich nicht wie die Söhne des Nordens auf immer in ein fremdes Land. Er vegetirt, er wandelt düster und gedankenschwer auf der fremden Erde und nie verläßt ihn das Heimweh nach dem wunderschönen Vaterland und das Berlangen, für seine Befreiung zu kämpfen.“[1]

Auf die erste Nachricht von den freiheitlichen päpstlichen Reformen führte er seine „Italienische Legion“ über den Ocean und legte dem König Karl Albert von Savoyen, der ihn vor vierzehn Jahren zum Tode verurtheilt hatte, seinen ruhmreichen Degen zu Füßen. Anita mit den Kindern war ihm schon auf die italienische Erde vorangeeilt, der sie eine glühende Hingebung entgegenbrachte und die ihr zum Dank nichts zu bieten hatte als ein Grab. In Garibaldis Memoiren begegnen wir ihr erst wieder beim Rückzug von Rom, wohin sie ihrem Gatten gegen seinen Willen gefolgt war. Noch einmal endlose Märsche im glühenden Sonnenbrand über schroffe Gebirgspässe, pesthauchende Sümpfe, bei Tag ohne Nahrung und Nachts ohne Schlaf: so windet sich das decimirte, demoralisirte Häuflein zwischen den französischen Kolonnen durch, ein österreichisches Korps auf den Fersen und unter den zu Tode Gehetzten Anita zu Pferd in Männerkleidern, ein Kind unter dem Herzen und schon jenes schleichende Fieber in den Adern, das ihr nur noch wenige Tage vergönnte. Doch keine Klage kommt über ihre Lippen – kann sie der Sache ihres Gatten keinen Vorschub mehr leisten, so wird sie ihm doch nimmermehr eine Last oder ein Hinderniß sein. Noch einmal wallt ihre starke Seele auf, als sie nahe der Grenze von San Marino ihre Nachhut vor den noch nicht einmal recht zum Vorschein gekommenen Oesterreichern die Flucht ergreifen sieht, und sie wirft sich mit dem englischen Obersten Forbes entrüstet den Fliehenden in den Weg.

Unweit des Adriatischen Meeres im damaligen Kirchenstaat erhebt der Monte Titano sein steiles Zackenhaupt und aus seinem schroffsten Scheitel liegt das befestigte Städtchen San Marino, die kleine uralte Republik. Auf diesen neutralen Boden warfen sich die Verfolgten und legten vor den Thoren der Stadt die Waffen nieder; doch auch dort war ihres Bleibens nicht. Der kleine Staat konnte die Geächteten nicht in seinen Mauern behalten; Garibaldi wies jeden Pakt mit den Fremden zurück, und so beschloß er, sich mit wenigen treugebliebenen Gefährten einen Weg nach Venedig zu bahnen. Er beschwor Anita, in der gastlichen Stadt zurückzubleiben, die wenigstens dem unglücklichen Weibe ein Asyl und Pflege bieten konnte; doch sie wollte von keiner Trennung mehr hören; verzweifelt klammerte sie sich an den bedrängten Gatten an, und alles, was ihr gequältes Herz fern von ihm gelitten hat, seitdem sie den amerikanischen Boden verließ, macht sich in dem verzweifelten Ausruf Luft: „Ich sehe, Du willst mich verlassen!“

Ihm blieb nichts übrig als nachzugeben, und in der Nacht wurde die kranke Frau, in der unterdessen das bis dahin versteckte Fieber mit voller Gewalt ausgebrochen war, die schwierigen Bergpfade hinunter in die Ebene geschleppt. In der nächsten Nacht erreichten sie Cesenatico, und durch einen Handstreich gelang es Garibaldi, mit unsäglichen Mühen bei hohem Meer dreizehn requirirte Schiffernachen flott zu machen, in denen er mit den Seinigen nach dem noch kämpfenden Venedig überzusetzen hoffte. Aber Anita litt unsäglich und keine Linderung war zur Hand; brennender



Steirisches Mädchen.
Nach dem Oelgemälde von Joseph Lieck.
Photographie im Verlag der Photographischen Gesellschaft in Berlin.

  1. Garib. Mem.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_349.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)