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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Pst!“ flüsterte die Herzogin. „Ganz recht! Ich verstand ihn gestern nicht, heute erklärte mir Adalbert seine Bedeutung selbst. Er hat mir alles gesagt; es ist ihm nicht leicht geworden. Ich weiß alles, Claudine, und er dauert mich, weil Du ihm nun verloren bist.“

„Elisabeth!“ stotterte das Mädchen, dem aus Mitleid fast die Sprache versagte. „Es war ein Irrthum Sr. Hoheit, und welcher Mensch –“

„Ja, ein Irrthum! O, ich verstehe, ich kann es begreifen; aber hier innen ist’s so öde, so still geworden, Claudine.“ Sie legte einen Augenblick eine Hand auf die Brust und strich dann schmeichelnd über Claudinens Arm, der in der Binde hing.

„Elisabeth,“ sprach diese, „Du bist immer eine so fromme Natur gewesen, Du richtest sonst so mild die Handlungen der Menschen; willst Du hier ein harter Richter sein?“

Die Herzogin schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe verziehen. Die kleine Spanne Zeit, die mir noch bleibt zum Leben, soll freundlich verfließen. Ach, Claudine, zum ersten Male, seit ich sein Weib bin, hat er heute früh mit mir gesprochen, wie ich es immer ersehnt habe wachend und träumend; herzlich und aufrichtig, mild und gut hat er gesprochen. Es kommt zu spät, ja, ja – aber es ist so schön, so süß, und deshalb habe ich ihm verziehen. – Es ist nur noch ein Rest,“ und sie dämpfte ihre Stimme, „so ein Rest dummer Eitelkeit in mir. Weißt Du, ich wollte ihm immer gefallen und bedachte gar nicht, daß ich ein so elendes krankes Geschöpf bin. – Da habe ich mir rasch den Spiegel hier genommen und hineingeschaut; es that ein bißchen weh zuerst, aber dann –“

Sie verstummte, und in ihren Augen schimmerte es feucht, während sie sich zum Lächeln zwang.

Claudine konnte es nicht hindern, ihr rollten ein paar große Thränen über die Wangen.

„Er dauert mich so,“ sagte die Herzogin noch einmal; „ich will gut und geduldig und liebevoll gegen ihn sein. – Und wer mir noch leidthut,“ fuhr sie fort, „das ist Helene – sie liebt Deinen Bräutigam.“

„Ja!“ hauchte das Mädchen.

„O, Du schönes, von Gott begnadetes Geschöpf Du,“ sagte die Kranke, „dem aller Herzen sich zuneigen! Wie mag es wohl sein, wenn man so geliebt wird?“ Es klang so traurig, so hoffnungslos.

Claudine stand auf und wandte sich zum Fenster; sie durfte nicht zeigen, wie weh ihr war.

„Ich will Dich nicht länger zurückhalten, Claudine,“ fuhr die Herzogin fort; „Du hast so viele, viele Pflichten heute. Du mußt Dich Mama als Braut präsentiren und Deinem Kindchen als Mutter, und Ihr werdet so viel zu sprechen haben, Du und Er. – Geh’, Claudine, geh’ mit Gott!“ Sie lächelte; der kleine Prinz hatte ihr jauchzend das Spitzenhäubchen von dem dunklen Haar gezogen und brachte seinen geöffneten Mund an ihre blassen Lippen. Hastig wandte sie das Gesicht. „Mein Liebling,“ hörte Claudine sie flüstern, „Mama darf Dich so nicht küssen, Mama ist krank.“

Das erregte Mädchen vermochte kaum mit Fassung die durchsichtige Hand zu küssen und ruhig hinauszugehen. Sie sank in ihrem Zimmer auf einen Sessel und barg die weinenden Augen in den Händen. Verwundert schaute das Kammermädchen sie an. Das sollte eine Braut sein? Eine reiche glückliche Braut, die da so blaß und finster saß? – Die Zofe bückte sich und nahm ein Etui auf, das eben achtlos von dem Schoß ihrer Dame geglitten; es war beim Fallen aufgesprungen und den überraschten Augen der Dienerin sprühte es buntfarbig entgegen, ein wunderbares Halsband aus Brillanten. Claudine beachtete es nicht; sie fühlte nur eines, sie würde die Verstellung, welche nun beginnen sollte, nicht ertragen. – –

Gedankenlos kleidete sie sich endlich um. Da das Kleid von gestern verdorben war und sie keine weitere Toilette hier hatte, war sie genöthigt, ein schwarzes Spitzenkleid anzulegen, welches sie mit ein paar Rosen aufputzen wollte. Diese aber, farblos wie ihr Gesicht, machten die dunkle Toilette nicht freundlicher, ebenso wenig als die weiße Armbinde, welche sich grell von dem Schwarz der Robe abhob. So ging sie am Arme Lothars in die Gemächer der alten Herzogin, wo Beide dann bei einem Dejeuner, zu dem das Brautpaar von Seiner Hoheit befohlen wurde, die Glückwünsche des kleinen Hofstaates entgegennahmen.

Am frühen Nachmittag fuhr Lothar mit ihr in seinem Wagen nach Neuhaus. Die ganze Dienerschaft des Gutes war auf der Freitreppe versammelt und rief dem jungen Paar ein schallendes Hurrah! entgegen. Beate stand mit ausgebreiteten Armen, in der rechten Hand einen Rosenstrauß, auf der Schwelle; neben ihr die alte Dörte, welche die Kleine im weißen Kleidchen auf ihren Armen tanzen ließ. Ueber Beatens großes lachendes Gesicht liefen die hellen Freudenthränen.

„Dina, Herzenskind,“ rief sie, das Mädchen an sich ziehend, „wer hätte Das gedacht!“ Und sie riß das Kind von dem Arm seiner Wärterin. „Da hast Du eine Mutter, Du Wurm! Und was für eine!“ jubelte sie.

Lothar wehrte der allzu lauten Freude mit einem Blick auf die stumme Claudine.

„Sie kann Leonie ja nicht halten, Beate,“ sagte er und gab das Kind der Wärterin zurück, um gleich darauf seine Braut in das nächste Zimmer zu führen, sie den Blicken der Leute entziehend. „Du quälst mir Claudine heute nicht mit Fragen, sorgst jetzt für eine Erfrischung, Schwesterchen, und dann machst Du mit uns eine Spazierfahrt nach Brötterode.“

„Aber, Lothar, da ist ja heute großes Konzert vor dem Kurhause –“

„Gerade deshalb, liebe Beate!“

Die Schwester ging kopfschüttelnd, ihre Befehle zu geben, und während sie rasch Toilette machte, murmelte sie, ganz gegen ihre Gewohnheit, vor sich hin: „Ich denke, Brautleute sitzen immer am liebsten in einer einsamen Laube, und die, welche sonst von Natur nicht zu solchem Trarah neigen, fahren am ersten Verlobungstage mitten hinein unter die Lästermäuler!“

Fortsetzung folgt.)




Aus Garibaldis Memoiren.[1]


Nahezu sechs Jahre mußten seit dem Tod des greisen Helden verfließen, ehe seiner eignen Bestimmung gemäß Garibaldis Memoiren das Licht erblickten.

Wer nun ein Buch der Abenteuer erwartet hat, farbenreich wie das Leben des Schreibers selbst, der mag den Band etwas enttäuscht bei Seite legen; denn allzugroß im Verschweigen verschmäht der Verfasser das pittoreske Detail oder er hat dasselbe vermutlich bei der letzten Ueberarbeitung ausgeschieden, wiewohl das Manuskript davon keine Spuren zeigt. Ein seltsames Buch ist es, ohne Plan und Ordnung, abrupt und fragmentarisch, oft schwungvoll bei kleinen Ereignissen verweilend, wenn die Erinnerung feuriger Jugendeindrücke den Verfasser hinreißt, und dann wieder mit trockenen Daten über das Größte weggehend.

Doch wer die Sprechweise der Bewohner der Riviera kennt, in der sich die Erfahrung des Seemanns mit der Poesie des Kindes paart, für den haben die schlichten Zeilen einen eigenen und wohlbekannten Reiz; es weht daraus hervor wie frische salzige Seeluft, gemacht mit exotischen Düften der Tropenwelt.

Ebenso merkwürdig ist der Inhalt, nicht weil er die bekannte Gestalt mit neuen Zügen ausstattet, sondern weil er zeigt, wie sich sein eigenes Schicksal in der Brust des Helden spiegelt. So berührt es vor allem charakteristisch, daß Garibaldi wie die Condottieri des Mittelalters sich bei jedem Anlaß nicht seinem Genie, sondern zumeist dem Glück verpachtet bekennt, und dieses Glück, das an der Person des Feldherrn haften muß, ist für ihn ebenso wenig wie für Napoleon I. ein blindes Ungefähr; er fühlt seine ganze Auszeichnung – und wer möchte leugnen, daß dieser tollkühne General, von dem in den Schlachten zweier Welttheile die Kugeln abzuprallen scheinen, der Seefahrer, der aus Stürmen und Schiffbrüchen wieder und wieder den Rettungsweg findet, der Mann, der mit der zwingenden Persönlichkeit seine Landsleute wie ein Taumeltrank ergreift, der nicht schlafen kann,

  1. Garibaldi, Autobiographische Memoiren, Florenz, Barbera. 1888
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_346.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2018)