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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

den Gesetzen des Stoffwechsels sorgfältig Rechnung tragenden Art darf der Fettansatz verhütet werden. Da wir wissen, daß nicht bloß das Fett der Nahrung den Fettansatz begünstigt, sondern daß sich auch aus dem Eiweiß Fett abspaltet und die in den Nahrungsmitteln enthaltenen Kohlenhydrate (Stärkemehl, Dextrin, Zucker und Gummiarten) vorzügliche Fettsparer sind, so vermögen wir den stärkeren Fettansatz im Körper dadurch in erster Linie zu verhüten, daß wir dem Fettleibigen überhaupt nicht zu viel Nahrungsstoffe zuführen, das heißt nicht wesentlich mehr, als zu seiner Erhaltung absolut nothwendig sind. Die Menge der zu gestattenden Nahrungsstoffe muß mit Rücksicht auf das Alter, die körperliche Größe, die Gewohnheit und die Blutbeschaffenheit des Individuums sorgfältig normirt werden. Die Kost soll eine gemischte sein, derart, daß die Nahrungsmittel vorwiegend Eiweiß, daneben geringe Mengen Kohlenhydrate und nur äußerst wenig Fett enthalten. Als Mittel für die Kostnorm des erwachsenen Fettleibigen möchte ich angeben, daß sie täglich 160 Gramm Eiweiß, 10 Gramm Fett und 80 Gramm Kohlenhydrate enthalten.

Vorwiegend, aber keineswegs (wie nach Banting) ausschließlich, soll also die Kost der Fettleibigen aus Fleisch bestehen, welches das zweckmäßigste Nahrungsmittel ist, um den Eiweißbedarf zu decken. Da unleugbar der Satz Geltung hat. „Fett der Nahrung macht wieder Fett“, so lege ich Gewicht darauf, daß solche Fleischarten gewählt werden, welche großen Eiweißgehalt mit wenig Fettgehalt verbinden, und hiervon nur die mageren Fleischstücke. Am fettreichsten ist aber unter den Fleischarten das Schweinefleisch, dann Kalbfleisch, demnächst Hammelfleisch, dann kommt erst Rindfleisch. Ferner reihen sich daran betreffs des Fettgehaltes in absteigender Linie: das Fleisch der Ente, von Reh, Krammetsvogel, Haushuhn, Feldhuhn, Taube. Von Fleischkonserven ist geräucherte Ochsenzunge am fettreichsten, demnächst geräucherte Gänsebrust, minder fett Rauchfleisch vom Ochsen und am fettärmsten geräucherter Schinken. Würste sind im Allgemeinen nicht empfehlenswert, weil sie viel Fett neben verhältnißmäßig wenig Eiweiß enthalten. Das Fleisch der Fische kann, schon um Abwechselung in den Speisezettel zu bringen, genossen werden; doch darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, daß der Eiweißgehalt des Fischfleisches ein weit geringerer ist als derjenige des Fleisches von Säugetieren und Vögeln. Die bedeutend fettreichen Lachs, Bücklinge, Sprotten, Heringe und Kaviar sollen vom Speisezettel der Fettleibigen gestrichen werden. Am wenigsten Fett hat der Schellfisch, ihm zunächst der Hecht, fettreicher ist der Karpfen. Austern und Krebse sind nicht reich an Fett, können daher von Fettleibigen, wenn diese sonst gute Verdauungsorgane haben, genossen werden.

Mit dem Genusse von Fleisch ist der von Gemüsen zu verbinden, doch sollen die letzteren nie mit Butter, Schmalz oder Oel angemacht werden. Die Kartoffeln, als am reichsten an Kohlenhydraten, dürfen nur in geringer Menge genossen werden. Frisches Obst, besonders Pflaumen, Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, ferner grüner Salat sind gestattet. Süßes Kompot, Krême, Gefrorenes sind wegen ihres Zuckerreichthums von der Tafel zu verbannen. Sämmtliche Käsearten sind wegen ihres sehr bedeutenden Fettgehaltes ungeeignete Nahrungsmittel.

Brot darf nur in solcher Menge genossen werden, daß die oben angedeutete Menge der Kohlenhydrate in der Nahrung nicht überschritten werde, also etwa 50 Gramm Weißgebäck des Morgens, 25 Gramm des Mittags und 20 Gramm des Abends. Dem frischen, brosamenreichen Brote ist geröstetes Brot, Zwieback ohne Zucker und Mandeln, Grahambrod vorzuziehen. Die an Fett und Kohlenhydraten so reichen Mehlspeisen, Backwerke, Konfituren, Lebkuchen sind gänzlich zu meiden.

Von Getränken sind fette Bouillon, nicht abgerahmte Milch, ferner Chokolade und Kakao, die letzteren wegen ihres bedeutenden Gehaltes an Kohlenhydraten und Fett, schädlich; ebenso müssen des Alkoholgehaltes wegen Bier, Branntwein und Likör vermieden werden, in gleicher Weise die an Kohlenhydraten reichen Champagner und süßen Ungarweine. Als Frühstücksgetränke ziehe ich bei Fettleibigen den Thee dem Kaffee vor, weil der erstere eine weit größere Vermehrung der Kohlensäureausscheidung durch die Lungen und eine intensivere Steigerung der Hautausdünstung verursacht. Zum Mittagsmahle sind 1 bis 2 Gläser leichten, guten Weißweines gestattet. Um den Verdauungsakt nicht zu beeinträchtigen, soll während der Mahlzeiten nicht viel Wasser getrunken werden.

Sonst bin ich aber bei Fettleibigen mit guter Blutbeschaffenheit und kräftiger Herztätigkeit gegen die in letzter Zeit so vielfach empfohlene und geübte Wasserentziehung. Ich gestatte solchen Fettleibigen den Tag über, so viel sie wollen, reines gutes Trinkwasser oder kohlensäurehaltiges Wasser, Sodawasser, Selterswasser, Säuerlinge zu trinken. Ein reichlicher Wassergenuß vermag direkt auf den Fettumsatz fördernd einzuwirken, die Verbrennung des Körpermateriales zu erhöhen, die Absonderungen und Ausscheidungen zu vermehren. Bei strenger Entziehung des Wassers, dessen Einführung als Getränk eine mächtige auslaugende Kraft auf den Körper übt, kann es leicht zu einer Stauung der Auswurfstoffe im Körper und zu einer Ueberladung der Gewebe mit denselben kommen; dadurch wird weiters die Entstehung von Gicht, die Bildung von Gallensteinen und Harnsteinen bei Fettleibigen begünstigt. Blutarme Fettleibige dürfen nicht so viel trinken wie blutreiche; sonst ist es nur bei gewissen Stauungserscheinungen im Gebiete des Venensystems gerechtfertigt, die Flüssigkeitseinnahme herabzusetzen.

Von großer Wichtigkeit bei der diätetischen Behandlung des Fettleibigen ist es, diesen, der als Wohlleber häufig in der unregelmäßigsten Weise ißt und trinkt, an eine bestimmte Regelmäßigkeit der Mahlzeiten zu gewöhnen. Mit eiserner Strenge muß daran festgehalten werden, daß zu festgesetzten Zeiten dreimal bis viermal des Tages gespeist, in der Zwischenzeit aber keinerlei Nahrung genossen werde; bei keinem Mahle jedoch darf das Gefühl der Uebersättigung auftreten. Darum ist auch in der Küche dafür zu sorgen, daß alle pikanten Zuthaten und reizenden Saucen zu den Speisen vermieden werden, um den Appetit nicht in einer Weise anzuregen, daß dessen Befriedigung über das erlaubte Maß der Nahrungsmenge hinausgreife.

Wenn die oben kurz angedeutete Regelung der Ernährung das erste Gebot einer rationellen Entfettungsmethode ist, so muß als zweites die geeignete körperliche Bewegung bezeichnet werden. Es ist bekannt, daß hochgradig fettleibige Personen zumeist sehr behäbig, zu größeren körperlichen Anstrengungen ebenso wenig wie zu geistigen Arbeiten aufgelegt sind, und in der stetigen Ruhe, welche die Dicken so sehr lieben, ist gerade ein Anlaß zu stärkerem Fettansatze gegeben.

Wenn der Körper arbeitet, ist der Verbrauch von Fett gesteigert. Durch die Aufnahme von Sauerstoff in erhöhter Menge und durch die vermehrte Kohlensäureausscheidung, welche mit starker Muskelthätigkeit verbunden ist, wird der Fettvorrath des Körpers am wirksamsten angegriffen. Das wissen die Jockeys, welche bei den Pferdewettrennen eine solche große Rolle spielen, ganz genau und bedienen sich darum auch zu dem Zwecke, um sich auf das geeignete Körpergewicht zu bringen, also um abzumagern, der Methode, täglich große Lauftouren mit möglichster Schnelligkeit durch zwei bis drei Stunden vorzunehmen. Der Altmeister der Heilkunde, Hippokrates, empfiehlt bereits fettleibigen Personen, sich nüchtern vor dem Frühstücke durch einen längeren Spaziergang zu ermüden. Es ist in der That von großer Wichtigkeit, daß Fettleibige geeignete Körperbewegungen vornehmen daß sie durch häufiges Spazierengehen, größere Fußtouren, Bergsteigen, Reiten, Turnen, Schwimmen etc. ihre Muskeln in Uebung halten. Aber auch hierbei ist vor Uebertreibungen eindringlich zu warnen. Das richtige Ausmaß der körperlichen Bewegung kann nur der Arzt noch sorgfältiger Untersuchung des Fettleibigen, besonders mit Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit seines Herzens, bestimmen, und immer muß das allmähliche Steigern der Körperbewegung überwacht werden. Im Beginne einer jeden Entfettungskur darf der Fettleibige nur so viel Körperbewegung vornehmen, als für ihn und für sein vom Fette bedrängtes Herz ohne Ermüdung möglich ist. Mit der Zeit, mit der Abnahme des Körpergewichtes und mit der Gewöhnung des Herzens an die Arbeit kann die Bewegung in der Ebene vermehrt werden; dann können sich die Spaziergänge auf kleinere Anhöhen ausdehnen und allmählich kann auch das Besteigen von Bergen unternommen werden.

Bei blutarmen Fettleibigen und wenn das Herz sehr geschwächt ist, erscheint angestrengtes Bewegen, forcirtes Bergsteigen oft als ein höchst gefährliches Unternehmen. Ich habe gerade in den letzten Jahren, wo das Wort „Terrainkur“ vielfach mißbraucht ward und wo Fettleibige ohne die nöthige Auswahl es als Entfettungspflicht betrachten, auf den Bergen herumzukeuchen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_331.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)