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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

gern getauscht mit Claudine Gerold. – Dort innen in dem Gemache der Herzogin-Mutter war es still. Einigemale nur erhob sich des Barons Stimme, dann ein schrilles helles Lachen der Prinzeß Thekla, und im nächsten Augenblick stand die hagere, von fliederfarbener Seide umrauschte Gestalt Ihrer Durchlaucht vor der erschreckten Hofdame.

„Prinzeß Helene! Suchen Sie die Prinzessin!“ stieß sie mühsam hervor, und die Stäbe ihres Elfenbeinfächers klappten an einander, als schüttele die Hand, die sie hielt, das Fieber.

Fräulein von Böhlen flog davon; athemlos kam die Prinzessin herauf.

„Wir fahren nach Neuhaus! Wo ist die Komtesse?“ schallte es ihr entgegen.

„Um Gotteswillen, Mama, was ist geschehen?“ Prinzessin Helene kannte so gut die Stimmung, die sich auf dem Gesichte der alten Durchlaucht abspiegelte.

„Komm!“ war die Antwort.

„Nein Mama – liebste Mama, laß mich hier – ich halte es vor Angst in Neuhaus nicht aus!“ flehte die Prinzessin.

„Wer sagt Dir, daß Du es aushalten sollst? Wir gehen heut Abend mit dem Schnellzuge nach Berlin. Komm!“

„Nein, ich kann nicht!“ klang es zurück von den blassen Lippen. „Zwinge mich nicht, ich laufe Dir unterwegs davon – ich kann nicht fort von hier!“

Die alte Dame übermannte der Zorn; sie ergriff mit ihren knöchernen Händen den zierlichen Arm. „En avant! Wir haben nichts mehr hier zu thun!“ zischte sie.

Aber die Prinzessin Tochter riß sich los. „Ich thue, was meine Pflicht ist!“ rief sie außer sich und floh aus dem Zimmer. Als die alte Dame ihr nacheilte, war es, als hätte die Luft die weiße Gestalt aufgesogen, so still und verlassen lag der Korridor.

Prinzessin Thekla fuhr mit Komtesse Moorsleben allein nach Neuhaus. Vor ihnen rollte der Wagen mit Beate und den Kindern. Das Jauchzen ihrer kleinen Enkelin scholl bis zu ihr hinüber.

Die Komtesse stand dann mit blassem Gesicht vor Frau von Berg, die eiligst herbeigekommen. Das junge Mädchen war außer sich über die Behandlung, die Ihre Durchlaucht während der Fahrt ihr hatte angedeihen lassen.

„O, ich reiste am liebsten auf der Stelle zu Mama!“ rief sie; „was kann ich dafür, daß königliche Hoheit einen Blutsturz bekam?“

Frau von Berg lächelte noch immer, aber sie war plötzlich blaß geworden. „Einen Blutsturz?“ fragte sie.

„Ja, und zwar recht schlimm. Sie haben nach H. telegraphirt.“

„Und Prinzeß Helene?“

„Sie wollte nicht mit; sie thut, als möchte sie sich am liebsten auf die Schwelle des Krankenzimmers legen.“

„Und wo ist der Baron?“

„Bei Ihrer Hoheit der Herzogin-Mutter; wenigstens war er da, als wir wegfuhren. Die Böhlen sagte, er habe um eine Unterredung bitten lassen bei der alten Hoheit.“

„Nun, und Fräulein von Gerold?“

Die hübsche Komtesse zuckte die Achseln. „in aller Leute Mund,“ erwiderte sie. „Sie thut mir leid. – Man sagt, die Herzogin habe die Untreue ihres Gatten entdeckt; Seine Hoheit sieht aus, als wolle er die Welt in Brand stecken.“

„Mein Gott, einmal mußte doch dieser Skandal zum Klappen kommen,“ sagte Frau von Berg achselzuckend. „Aber wo in aller Welt ist sie denn nun? Sitzt sie im Thurm des Eulenhauses und lugt erwartungsvoll nach Altenstein hinüber – oder – ist sie in den Schloßteich gelaufen, die stolze Claudine?“

Komtesse Moorsleben sah in das Antlitz, das so wenig seine Genugthuung zu verbergen verstand; die wilde Freude flackerte nur so aus den schwarzen Augen. Freude an einer überführten Uebelthäterin war das nicht; Frau von Berg hatte ja auch so wenig Grund, sich zu den Gerechten zu zählen.

„Gnädige Frau,“ sagte die niedliche Komtesse boshaft, „ich habe mich schon den ganzen Morgen besonnen – von wem ist das Wort: ,Wer im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen‘?“

„Ich fragte Sie, Komtesse, wo Fräulein von Gerold geblieben ist nach dem eklatanten Beweis von Ungnade?“ betonte die Dame zornesroth.

„Ich verstehe Sie nicht, liebe Frau von Berg,“ antwortete die Komtesse so sanft, als ihr möglich war. „Sie wissen mehr als ich – Ungnade? Eklatant? – Fräulein von Gerold sitzt am Krankenbette Ihrer Hoheit.“

Frau von Berg schnappte nach Luft und rauschte in das Zimmer Ihrer Durchlaucht, von wo soeben ein wahres Sturmgeläute ertönte.




Die Herzogin schlief; im ganzen großen Gebäude herrschte eine Todesstille.

In dem Zimmer des Rittmeisters von Rinkleben saß Baron Gerold; er hatte den liebenswürdigen Officier gebeten, sich hier aufhalten zu dürfen, er wolle die nächste Nachricht von dem Befinden Ihrer Hoheit abwarten. Er hatte auch die dargebotene Havanna angezündet, aber er rauchte meistens kalt; er hatte ein Buch genommen, aber ihm fehlte die Ruhe zum Lesen. Eine finstere Sorge lag über seinem Gesichte und eine qualvolle Unruhe ließ ihn unaufhörlich hin und her wandern.

Herr von Palmer hatte seine Stube verriegelt, er befand sich in der denkbar schlechtesten Laune. Ein netter Tag, der heutige, wahrhaftig! – Als er diesen Morgen zum Vortrag über eine unumgänglich nothwendige bauliche Veränderung des Residenzschlosses in das Arbeitskabinett Seiner Hoheit trat, war ihm der Herzog mit einer ziemlich verwunderten Miene und einem offenen Briefe entgegengekommen. Es war ein vertrauliches Schreiben des Prinzen Leopold, seines Vetters, und enthielt die Frage, wie es zugehe, daß das Hofmarschallamt seit nahezu drei Jahren der Firma C. Schmidt in R. am Rhein keinerlei Zahlung mehr geleistet habe. Der Chef der Firma habe nun des Prinzen Vermittlung erbeten, da auf direkte Anfragen zwar stets neue Bestellungen, aber immer nur ausweichende Antworten betreffs der Rückstände eingetroffen seien. Ja, in dem letzten Schreiben sei mitgetheilt, daß bei fernerem Drängen die Lieferungen dem Hause entzogen werden würden. – Herr von Palmer hatte gelächelt und gesagt, es liege ein grobes Mißverständniß vor, Seine Hoheit aber energisch den Wunsch ausgesprochen, diese Angelegenheit so bald als möglich und bestens geordnet zu sehen.

Es war sehr unangenehm, sehr! Als ob solch Krämerpack nicht borgen müßte bis in alle Ewigkeit, wenigstens so lange – bis Herr von Palmer nach einigen Jahren in der Lage sein würde, mit aller Ruhe irgendwohin abzureisen! Es war doch ein Trost, diese Berg zur Seite zu haben; wie brillant hatte sie dieses „Unmöglichmachen“ in Scene gesetzt am Geburtstage des Prinzen! Die alte Herzogin hatte Claudine fallen lassen, das war so unbezahlbar! Der Mutter gegenüber würde selbst Seine Hoheit nicht den Muth finden, dieses Schäferspiel weiter zu agiren. Wundervoll! Ganz wundervoll! –

Durch das hohe breite Fenster im Schlafzimmer der Herzogin fielen die letzten Strahlen der scheidenden Sonne.

„Claudine!“ flüsterte eine matte Stimme.

Das Mädchen, das in tiefen schweren Gedanken gesessen, erhob sich und knieete neben dem Bette der Kranken. „Wie geht es Dir, Elisabeth?“ fragte sie.

„O – es geht – es geht besser; ich fühle, daß das Ende kommt –“

„Elisabeth, sprich nicht so!“

„Ist jemand hier, der uns hören könnte?“ fragte die Herzogin.

„Nein, Elisabeth, Seine Hoheit ist hinunter gegangen zu den kleinen Prinzen, die Kammerfrau ist im Nebenzimmer, die Frau von Katzenstein bei der Herzogin-Mutter und die Diakonissin schläft dort über ihrem Gebetbuch.“

Die Kranke lag ganz still und folgte mit den Augen dem glühendrothen Sonnenfleck auf dem Bilde der Madonna, der unmerklich höher und höher glitt, zuletzt noch auf dem Blattweck des Goldrahmens funkelte und dann erlosch.

„Warum hattest Du kein Vertrauen zu mir?“ fragte sie plötzlich mit trauriger Stimme, „warum sagst Du mir nicht offen alles, alles?“

„Elisabeth – ich hatte Dir nichts zu verbergen.“

„Lüge nicht, Claudine!“ rief die Herzogin feierlich, „einer Sterbenden soll man nicht lügen!“

Claudine hob stolz den Kopf. „Ich habe Dich nie belogen, Elisabeth.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_326.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)