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eines der Thore den ungestümen Drängern, daß sie sich austoben. Eine Pforte war auch Jakobäas stürmischer Künstlerseele aufgethan worden, breit und lichtumstrahlt, sich hinauszuschwingen in die Höhen und Weiten. Aber als sie sich zu ihr hindrängte, schrumpfte das weite Thor zum Pförtlein zusammen und zuletzt, sobald sie dicht davor stand, zur engen Ritze. Und da sie sich durch diese hinauszwängen wollte, war auch der letzte schmale Lichtstreifen geschwunden, weil sich jener dünne Spalt gleichfalls zugethan hatte. Sie stand wieder da, von dem knappen Raume der eigenen Körperlichkeit umschlossen, vor der Pforte, die sich nicht mehr öffnen wollte.

So ging sie denn hin, dieselbe zu sprengen. Sie ging daran wie zu einem nothwendigen und unaufschiebbaren Vorhaben, ohne Zögern, ruhig, sicher. Sie hielt nicht einmal an, um sich erst von der Brücke ihr nasses Grab anzusehen. Sie rang auch nicht mit dem Elemente; eine einzige Welle genügte, und der Körper sank augenblicklich unter, als habe der alte Wassernix nur darauf gelauert, um nach ihr zu langen – aber es war bloß die eigene Seele, welche den Leib niederzwang und in der Tiefe festhielt. Dies alles war so ohne Hilferuf, Ringen, Todesschrei abgegangen, daß die Neugierigen ganz enttäuscht waren. Es waren Leute darunter, die beständig an den Geländern des Donaukanals oder auf den Brücken herumlungern und geradezu als Fachmänner bei Beurtheilung solcher Selbstmorde gelten können, welche in der Großstadt sich nur allzu häufig ereignen; aber sie erklärten, einen so raschen und farblosen Vorgang noch nie beobachtet zu haben.

Ebenso rasch und schlicht gestaltete sich das nun folgende Nachspiel: ein großer starker Mann stürzte in das Wasser nach und tauchte hinab. Auch das bot den Maulaffen und Nichtsthuern an dem Brückengeländer keinerlei Erregung und nicht die mindeste Spannung. Man wußte recht gut, welch ein Schwimmer der wohlbekannte Hausbesitzer und Maler Haushuber war, und wie er es ruhig und fast geringschätzig mit der gewaltigen Strömung der großen Donau aufgenommen hatte – und jetzt hier dieser lächerliche Wasserfaden des Donaukanales! Man hatte ihn bei seinen sommerlichen Schwimmkünsteleien mit Erfolg nach winzigen Kieseln und Kreuzern tauchen sehen – und hier galt es, einen ganzen Menschen aufzufinden! In der That, er hatte sie auch bald aus der Tiefe gefischt und trug sie dann wie ein Kind an das Ufer und in die nächste Rettungsanstalt.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.



Fastnachtsspiele. Zu der Dichtweise des wackern Hans Sachs, des Nürnberger Schuhmachermeisters, und seiner volksthümlicher Bühnenerzeugnisse ist der mit Recht anerkannte Dramatiker Heinrich Kruse zurückgekehrt, indem er ein Bändchen „Fastnachtsspiele“ (Leipzig, S. Hirzel) herausgab; sie sind ganz in dem naiven Ton gehalten, in welchem der Meister gesungen. In einem Prolog schildert uns der Dichter einen Besuch in des Sängers Wohnung:

„Das hohe Haus ist freilich schmal
Und dieses Stübchen ist kein Saal
Doch muß es uns ehrwürdig sein,
Hier ging der Meister aus und ein,

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Hans Sachs, ein Schuster lobesan,

Deß seine Stadt sich rühmen kann.
Er schlägt noch ein paar Nägel ein,
Der Kunde kann zufrieden sein.
Dann greift er zu der Schwanenfeder –

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Er ist nicht bloß ein Mann vom Leder –

Und tunkt sie in die Tinte ein,
Das Lied will aufgeschrieben sein,
Denn rastlos, wie er näht und sticht,
Geht immer vorwärts sein Gedicht.

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Er kann nur alles nicht behalten,

Zu rasch die Reime sich entfalten.
Er hat auf diesem Stuhl gesessen,
Der wacklig auf drei Beinen steht,
Und oft vor Arbeitslust vergessen,

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Daß man um zwölf zu Tische geht.

Ich setzte mich auf manchen Thron
Und dachte mich als König schon;
So lud der Stuhl, gering und klein,
Mich auch zum Niedersitzen ein.

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Zu meiner Unterhaltung trug

Man mir herbei ein großes Buch,
Des Meisters Werke, und ich las
Darin gar manchen heitern Spaß,
Der Schwänke und Legenden viele –

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Und allerliebste Fastnachtsspiele.

Es gingen fröhliche Gesellen
Um Fastnacht, um sie vorzustellen,
Von Haus zu Haus und auf dem Flur
Bedarf’s zur Bühne wenig nur.

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Sie stellten frisch und kurz und klar

Alsbald die ganze Handlung dar,
Und die Personen sind so schlicht
Und wahr, als wär’ es kein Gedicht:
Wie’s Gänsemännchen ist es eben

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Genommen aus dem vollen Leben.

Und haben sie ihr Spiel vollendet,
Daß alles lacht und Beifall spendet,
So nehmen ein paar Kannen schon
Erlanger Bier sie gern zum Lohn.“

Wenn aber der Dichter sich dann später gegen die Weimarschen Klassiker wendet, wenn er meint:

„Wenn wir bei Nürnbergs Art geblieben,
Wer weiß, wir hätten’s weit getrieben“,

so ist es doch erlaubt, hinter diese Bemerkung einige Fragezeichen zu machen. Der Glanz und die geistige Bedeutung unserer Dichtung hat aus reicheren und tieferen Quellen geschöpft: bei einer Fortbildung der primitiven Hans Sachsschen Manier wäre uns die Litteratur jene großen Meisterwerke schuldig geblieben.

Indeß hat auch Goethe einzelnes im Stile des Hans Sachs gedichtet und den treuherzigen Ton desselben recht gut getroffen. Dies läßt sich auch von Kruses Fastnachtsspielen sagen: sie sind von ungekünstelter Naivetät und volksthümlicher Frische. „Der Teufel zu Lübeck“ möchte von einem Maler der Hansestadt nicht mit dem üblichen furchteinflößenden Gesicht, oder mindestens so heilig gemalt werden, wie’s mit der Bibel sich verträgt. Der Maler weigert sich, da fädelt’s der Teufel ein, daß er eines Diebstahls verdächtig und zum Tode durch den Strang verurtheilt wird; doch der Herr giebt das nicht zu und der Teufel muß mit dem Maler tauschen und selbst den Strick um den Hals sich gefallen lassen. „Der eifersüchtige Müller“ behandelt eine lustige Anekdote, in welcher ein geistlicher Herr den Teufel spielen muß, um mit Hilfe eines fahrenden Schülers sich aus der Klemme zu retten, in welche ein Liebeshandel mit der schönen Müllerin ihn gebracht. Ernster ist das letzte Fastnachtsspiel „Standhafte Liebe“. Ein Pariser Goldschmied verliebt sich in die Magd eines Klosters und heirathet sie, obgleich er selbst durch die Ehe nach dem Gesetze ein Höriger des Klosters wird. Doch der steinalte Abt spricht beide schließlich zur Freude der Pariser frei. Es finden sich drollige und anmuthige Verse in dieser Dichtung.

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Ein Hôtelgenie. Es giebt in allen Lebenskreisen Talente und Genies, die auch zur Anerkennung durchdringen. So berichten amerikanische Blätter über den besten „Hôtel-Clerk“ in ganz Amerika, und es mag uns mit Genugthuung erfüllen, daß derselbe ein deutscher Landsmann war, aus Bayern gebürtig, von wo er vor vierzig Jahren nach Amerika kam. Georg H. Smith oder „Count Smith“, wie er allgemein genannt wurde, war seit dem Jahre 1874 oberster Clerk in einem Riesenhôtel in San Francisco, dem Palace-Hôtel. Er besaß ein bewundernswerthes Gedächtniß, so daß er Personen, die er nur einmal in seinem Leben gesehen hatte, nach Jahren wiedererkannte und sogleich ihren Namen zu nennen wußte; ohne seine Bücher zu Rathe zu ziehen, konnte er den Namen jeder im Hôtel wohnenden Person und ihr Zimmer angeben. Ein Herr Charles W. Krinkel von Memphis wohnte vor vier bis fünf Jahren nur eine Nacht im Palace-Hôtel und reiste dann weiter. Als er unlängst wieder nach San Francisco kam und wieder im Palace-Hôtel Quartier nehmen wollte, empfing ihn Count Smith mit den Worten: „Herr Charles W. Krinkel von Memphis, Sie können ein Zimmer neben demjenigen nehmen, welches Sie zuletzt hier bewohnten. Nr. 573 ist frei; vor vier Jahren hatten Sie Nr. 571.“

Und so verhielt es sich in der That. Smith besaß bedeutende Sprachkenntnisse. Er starb vor kurzem an Blutvergiftung infolge einer mißglückten Hühneraugenoperation.

Nicht bloß zum Dichter, auch zum Oberkellner muß man geboren sein. Count Smith lieferte den Beweis dafür.

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Ein chinesischer Examinand. China ist bekanntlich das Land der Examina, die große Prüfungskommission in Peking führt den Namen „Der Wald der Pinsel“; im Reich der Mitte schreibt man bekanntlich mit dem Pinsel. Bei diesem Wald der Pinsel passiren oft merkwürdige Dinge. Wir erfahren, daß der junge Tscheong, der Sohn des Vicekönigs Tschang-Tschi-Tung, sein Examen vor der Oberprüfungskommission ablegen sollte. Der Vicekönig schickte derselben deshalb seine Karte, eine Aufmerksamkeit, deren Erwiderung nur darin bestehen konnte, daß der junge Tscheong wohl oder übel seine Prüfung bestand. Dieser war seiner Sache ganz sicher, lebte lustig in Futscheu und auch in Shanghai mit anderen jungen Kavalieren und jenen leichtfertigen Damen des „grünen Gürtels“, die von den chinesischen Dumas und Sardous in ihren Lustspielen zu Hauptpersonen gemacht werden. Unser Don Juan vergißt darüber ganz die Stadt Peking, den Wald der Pinsel und sein Examen. Die Visitenkarte des Vicekönigs thut inzwischen ihre Schuldigkeit und Tscheong wurde, obwohl er gar nicht erschienen war, nach Beendigung der Examina als einer der Kandidaten proklamirt, welche die Prüfung vorzüglich bestanden hatten. Indessen wurde, als er die öffentliche Belobigung erhalten sollte, seine Nichtanwesenheit allgemein bemerkt. Da mußte ihn doch der Vorsitzende der Kommission zur Rechenschaft ziehen; das Resultat war indeß nur, daß Tscheong jetzt wieder sein Examen