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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Blätter und Blüthen.

Die Tekke-Frau. In seinen „Reiseschilderungen durch Centralasien“ giebt Heinrich Moser, der jugendliche Reisende, interessante Bilder aus der Kirgisensteppe, aus Taschkend, Bochara, Chiwa und Persien, die Kapitel des Werkes aber, die vorzugsweise die Theilnahme fesseln, behandeln die durch ihren Widerstand gegen die russische Uebermacht rühmlich bekannten Turkmenen und geben uns von Land und Leuten ein anschauliches Bild. Die Illustrationen und Schilderungen aus der Turkmenenwüste und den andern Gebieten, welche dieser Volksstamm bewohnt, sind durchaus stimmungsvoll. Von den Frauen der Tekke-Turkmenen berichtet der Reisende, daß ihre Kleidung, obschon sehr einfach, ihre Reize zur Geltung kommen läßt; sie besteht aus einem langen walleneden, blau- oder rothseidenen Hemde, das von keinem Gürtel gehalten wird. Dieses Hemd ist um den Hals und bis zum Ende der Taille mit Münzen und Silberplatten überladen, woraus eine Art Panzer entsteht, zu dem kleine Silberglöckchen gehören, die bei jedem Schritte erklingen. Diese verschiedenen Münzen, Platten, Glöckchen sowie auch die Armbänder, womit alte Frauen geschmückt sind, beweisen nicht allein den Reichthum des Mannes, sondern auch seinen Muth; denn diese Kleinodien, obgleich von einheimischen Künstlern in turkmenischem Geschmack gearbeitet, stammen von den Raubzügen des Gemahls: die Frau trägt die Siegeszeichen. Der Kopf der verheiratheten Frau ist mit einer kleinen runden gestickten Mütze bedeckt, aus der das lange Haar hervorquillt. Das junge Mädchen trägt die Haare unbedeckt in Flechten. Die Tekke-Frau ist schön, groß und schlank; sie ist die einzige Frau in Centralasien die das Gehen versteht.

„Nichts ist anmuthiger, als ein Mädchen dieser Rasse mit dem großen Krug auf der Schulter nach einem Brunnen wandern zu sehen; oft stand ich still, um dieses Schauspiel zu genießen, das mich die häßlichen Masken von Chiwa und Bochara vergessen ließ. Ich hatte noch einige Arm- und Halsbänder und sonstige Kleinigkeiten übrig, die ich unter meine schönen Besucherinnen vertheilte; sie brachten mir dafür von ihnen angefertigte Handarbeiten, denn die Tekke-Frau ist eine Künstlerin, und unsere feinen europäischen Damen würden sich sehr verwundern, wenn sie sähen, was eine arme Wilde mit ihren Fingern zu Werke bringt. Die Teppiche, welche die Weiber herstellen, sind die schönsten und dauerhaftesten von allen. Uebrigens stehen die Preise sehr hoch; denn in der Achaloase selbst kostet wohl ein kleiner Bettteppich, wenn er schön ist, vierzig Rubel. Größere Arbeiten dieser Art, die ich zu Gesicht bekam, werden bis zu 6000 bis 8000 Mark geschätzt. Im Nothfall wird diese Frau eine Heldin; bei der Eroberung von Gök-Tepe durch die Russen kämpften die Frauen neben den Männern; ein Blatt ihrer langen Schere, am Ende eines Stockes befestigt, bildete die Lanze, von der noch heute mancher russische Soldat die Spuren trägt.“

Obgleich die Vielweiberei im turkmenischen Lande sehr verbreitet ist, behält dennoch die Frau ein gewisses Ansehen. Es giebt sogar einige, die auf die öffentlichen Angelegenheiten Einfluß ausüben. In Merw z. B. erfreute sich die Witwe Nur Werdi Chans eines großen Ansehens und die Tekke sagten: sie regiert in Merw.

Der Bräutigam kauft seine Frau von ihrem Vater. Der Kalim (Kaufpreis) bestand ehemals in einer gewissen im voraus bestimmten Zahl von Sklaven. Vor der russischen Eroberung schwankte der Preis einer Frau zwischen 1000 bis 1600 Mark; aber seit dem Blutbad von Gök-Tepe sind die Frauen viel zahlreicher als die Männer und ihr Preis ist sehr gefallen. Die Frau, die sich verheirathet, bringt als Mitgift eine gewisse Anzahl Filze, welche sie in ihren Mußestunden angefertigt hat und unter denen sich eine sehr feine Decke für das Pferd ihres Gemahls befinden muß. Eines der Sprichwörter der Tekke sagt: Je feiner der Filz für den Renner ist, desto größer ist die Liebe für den Reiter.


Eine Thüringer Bauernfrau. (Mit Illustration S. 277.) Daß die auf dem heutigen Titelbilde dargestellte alte Frau aus Thüringen und zwar aus dem thüringischen Flachlande stammt, das bezeugt die charakteristische Bändermütze, die, das Haar gänzlich verhüllend, auf ihrem Haupte sitzt, wie nicht minder der ebenso charakteristische Frauenmantel. In diesem Mantel, denn das ist hauptsächlich seine Bestimmung, hat die gute Alte nach der Reihe gewiß alle ihre Kinder, und es waren deren nicht wenige, getragen und groß gezogen, bis sie auf ihren eigenen Füßen zu stehen vermochten, wenn der kattunene Ueberzug auch inzwischen ein paar Mal erneuert wurde. Nun sind sie zum Theil schon wieder selbständig geworden. Die älteste Tochter, die Gretliese, hat schon vor mehreren Jahren in das Nachbardorf geheirathet, und nun hat eines Sonntags nach der Nachmittagskirche sich die alte Großmutter aufgemacht, die Enkelkinder zu besuchen. Sie darf dabei nicht mit leeren Händen kommen. Die Flasche Milch und der locker gebackene Striezelkuchen werden den kleinen Wildfängen sicher gut munden. Die anderthalb Wegstunden sind aber für die alten Füße zu viel auf einmal.

So hat sie unterwegs sich auf einem blumigen Feldraine zur Rast niedergesetzt, den schweren Henkelkorb bei Seite gestellt und den Griff des rothen Regenschirms mit beiden Händen gefaßt zur Stütze des von der Last des Alters gekrümmten Leibes. Es mögen auf der kurzen Raststation der guten Alten gar mancherlei Gedanken durch den Kopf gehn, Erinnerungen an die nun längst dahingeschwundenen Jahre der Jugend, da sie, eine frische muntere Dirne, denselben Weg zog hinüber in das Nachbardorf zum Kirchweihtanze und trotz der durchtanzten Nacht am frühen Morgen noch frisch und lustig den Heimweg antrat am Arme des strammen Burschen der nicht ohne Kampf und Hindernisse ihr treuer Lebensgefährte geworden war. Sie hatte ihn überlebt; drei Jahre deckte ihn nun schon die Erde. Der älteste Sohn hatte das Gut übernommen und sie lebte als Auszüglerin auf dem Hofe. Sie würde wohl ganz still und einsam gelebt haben, wenn sie nicht oft die Kinder der Tochter hätte besuchen können; denn diese sorgten mit ihrem muntern sorglosen Wesen schon dafür, daß es ihr nicht an Freude und Abwechslung gebrach. Wie fröhlich wird sie von ihnen empfangen werden, wie werden sie sich an ihren Mantel hängen den den Korb neugierig durchstöberen! „Großmutter, hast was mitdebringt?“ wird das Mädchen rufen. Und nun jetzt flugs ans Auspacken. Ja, das Alter hat auch noch seine Freuden!


Ernst von Wildenbruchs Festgedicht. Die Einweihung und Eröffnung des deutschen Buchhändlerhauses zu Leipzig, jenes neuen glänzenden Heims für den deutschen Buchhandel, findet am 29. April statt. Nach einer Hauptversammlung des Börsenvereins in der alten Buchhändlerbörse geht der Festzug nach dem neuen stattlichen Gebäude, von dem wir bereits in unserem Blatte eine Abbildung brachten. Dort findet die Festversammlung des Börsenvereins, ein Umzug durch die Räume des neuen Hauses, eine Besichtigung der Ausstellungen und das Festmahl statt.

Damit dem Fest auch die dichterische Weihe nicht fehle, hat Ernst von Wildenbruch diesen Weihegruß der begeisterten Muse über das neue Heim der Buchhändler gesprochen, der in der Festschrift „Das alte und das neue Deutsche Buchhändlerheim“ zum Abdruck kommt und den wir auch hier unsern Lesern mitttheilen.


Aus dem Nachlasse Albert Lindners, des verstorbenen unglücklichen Dichters, theilen wir einige Lieder mit, welche beweisen, daß der preisgekrönte Dramatiker auch stimmungsvolle lyrische Gedichte zu schaffen verstand.


Waldsegen.

Die stillen Sonnenlichter
Spielen im Waldesdom;
Weit unten im Thale gleißet
Von ihrem Gold der Strom.

5
Mit meines Herzens Schlägen

Allein, so weit ich späh’!
Fernab in der Schlucht nur wiegt sich
Lautlosen Flugs die Kräh’.

Ist’s doch, als raunte leise

10
Der Wald mir etwas zu.

Sei nur fein still, mein Herze,
Vielleicht vernimmst es du.
„Ich bin des Ew’gen Priester,
Lad’ dich zur Beicht’ herein.

15
Mein Schweigen ist meine Sprache,

Will nur verstanden sein.

Ich soll dich freundlich locken,
Du armes Menschenherz,
Daß still du hier dein Sorgen

20
Abthust und deinen Schmerz.

Und willst du’s auch nicht geben,
Du trotz’ger Menschensinn,
Schenk’ ich dir doch den Frieden,
Weil ich der Friede bin.

25
Gestein und Moos und Welle

Wollen zu Diensten sein.
Schütt’ hin, schütt’ hin dein Grämen,
Die sargen’s treulich ein.
Die Blätter läutens’s zu Grabe,

30
Und weiter wird’s nicht kund;

Der braucht die Welt nicht weiter,
Wer mit dem Wald im Bund.“


Wiesenbach.

Das Bächlein rauscht durch Wiesengrund
Geschwätzig hinab zu Thale,
Putzt sich mit Schilf und Blumen bunt,
Schminkt sich mit dem Sonnenstrahle.

5
Und wo ein Zweig sich niederbiegt,

Da muß es küssen und kosen;
Und wo ein Stein im Wege liegt,
Da muß es zanken und tosen.

„Wohin?“ fragt Schilf und Blümelein,

10
„Komm, spiel’ mit uns, Geselle!“ –

„„Muß rauschen in die Welt hinein,
Muß wachsen zur Meereswelle!““

Und Blümchen sagt ihm still Lebwohl,
Das Schilf empfiehlt sich neigend.

15
Die Erle steht gedankenvoll

Daneben, und vornehm schweigend.


Die rothe Mütze. Mit der deutschen Einigung sind endlich auch die Vorstände der Eisenbahnstationen zwar nicht unter einen Hut, wohl aber unter eine Mütze gebracht. Die rothe Mütze ist charakteristisch für das Deutsche Reich. Während Roth im Signalwesen der Eisenbahnen Halt! Hier droht Gefahr! bedeutet, ist der Mann mit der rothen Mütze der Ziel- und Angelpunkt aller Reisenden, die irgend ein Anliegen haben, mag es sich nun um einen Rath, eine Auskunft, eine Entscheidung, oder um eine vermeintliche Unbill, eine Beschwerde handeln.

Wie wir zur rothen Mütze gekommen sind?

Die – eigentlich orangefarbene – Kopfbedeckung wurde Anfangs der sechziger Jahre bei den preußischen Staatsbahnen eingeführt in Uebereinstimmung mit den gleichfarbigen Vorstößen der preußischen Eisenbahnuniform. Der letztere Grund war es auch, weshalb man die rothe Farbe vorzog vor dem viel weiter sichtbaren Weiß. Von Preußen aus machte die rothe Mütze ihren Siegeslauf durch das ganze Reich, und wie buntscheckig unsere Eisenbahnuniformen auch immer noch sein möge – haben die Franzosen ihr „Bonnet“, die Oesterreicher ihre „Kappen“, so haben wir als nationales Einheitszeichen „die rothe Mütze“.


Frau Obrist Hooker. Die Pensionskommission des nordamerikanischen Freistaates Indiana war nicht wenig überrascht, als bei ihr das Gesuch einer Dame um Pension eintraf, welche nicht etwa als Offizierswitwe, sondern wegen ihrer eigenen militärischen Leistungen auf eine solche Anspruch machte. Frau Hooker wies nach, daß sie sich während des Bürgerkriegs als Soldat hatte anwerben lassen, daß sie drei Jahre gedient hatte und zweimal verwundet worden war. Sie begleitete damals ihren Gatten, einen Premierlieutenant, ins Feld, und zwar nicht als seine Frau, sondern als Soldat. Es galt bei diesem kühnen Unternehmen indeß von Hause aus eine Klippe zu umschiffen, welche dasselbe leicht vereiteln konnte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_291.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)